Schwarz-rote Koalition: Von Lucke spricht von "eklatanter Krise"

Interview

Albrecht von Lucke ordnet ein:Experte: Regierung steckt in "eklatanter Krise"

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Wie steht es um Kanzler Merz und seine Koalition? Bei seiner ersten Sommer-PK betont er innenpolitische Erfolge - doch Politologe von Lucke sieht tiefe Risse im Regierungsbündnis.

Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke
Der Kanzler habe zwar innenpolitische Akzente gesetzt, dennoch läge sein Fokus weiterhin auf der Außenpolitik, so Politikwissenschaftler von Lucke. 18.07.2025 | 21:28 min
Kurz vor der Sommerpause hat Bundeskanzler Friedrich Merz seine erste Sommer-Pressekonferenz absolviert. Diese jährliche Pressekonferenz, bei der sich die Kanzlerin oder der Kanzler den Fragen der Hauptstadt-Korrespondenten stellt, ist eine langjährige Tradition.
Im Vergleich zu Merz' Vorgänger Olaf Scholz erkennt der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke beim CDU-Kanzler einen deutlichen "Temperamentskontrast" im Auftreten. "Friedrich Merz kämpft ein stückweit mehr mit offenem Visier", erklärt der Autor der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik".
Eine Einordnung der Aussagen von Friedrich Merz während der Sommer-Pressekonferenz sowie eine Einschätzung zum kommenden halben Jahr gab Albrecht von Lucke bei ZDFheute live.
Sehen Sie das vollständige Interview oben im Video oder lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagte der Experte zu…

… dem Verhältnis von Merz zu Innen- und Außenpolitik

Zu Beginn der Sommer-Pressekonferenz blickte Merz positiv auf seine bisherige Amtszeit zurück, betonte vor allem den wirtschaftlichen Aufschwung und setzte bewusst einen Schwerpunkt auf die Innenpolitik. Das sei strategisch, analysierte von Lucke: Er versuche, dem Eindruck, "nur der Außenkanzler zu sein", entgegenzuwirken.
Bei den außenpolitischen Themen Ukraine-Krieg und Zoll-Politik habe er sich bewusst zurückgehalten und mit der Aussage "Außenpolitik ist immer auch Innenpolitik" deutlich machen wollen, dass er die Innenpolitik durchaus im Blick habe.
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Gerade beim Thema Ukraine habe sich Merz laut von Lucke Verdienste erworben.

Er hätte stärker noch herausstellen können, dass er es war, der bei Donald Trump (...) maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Nato zusammengehalten hat.

Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler

Doch Merz habe selbst erkannt, dass sich Erfolge in der Außenpolitik nicht automatisch in positive Resonanz in der Bevölkerung übersetzen. Im Gegenteil: Schlechte Umfragewerte zeigten, dass der Eindruck entstanden sei, er beschäftige sich zu wenig mit der Innenpolitik.

Er hat also heute dezidiert stark versucht, auch innenpolitisch als Innenkanzler gewissermaßen aufzutreten, auch wenn doch wieder sehr deutlich wurde, dass seine Leidenschaft sehr stark der Außenpolitik gilt.

Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler

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… dem Zustand der Koalition nach der geplatzten Verfassungsrichterwahl

Innenpolitisch dominierte vor allem ein Thema: die abgesagte Wahl der Verfassungsrichter und der Umgang mit SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf. Letzteren bezeichnete Merz als "völlig inakzeptabel" und bedauerte die allgemeine Atmosphäre. Die Kritik an ihr sei unsachlich, polemisch und herabsetzend gewesen.
Der generelle Ton gehe dabei eher in eine andere Richtung, sagte von Lucke: "Er hat sich in vielen Punkten überhaupt nicht eingelassen." Stattdessen betone Merz, dass er sich erst dann zu dem Thema positionieren werde, wenn die nächste Wahlrunde anstehe. Damit habe er deutlich gemacht, dass im Hintergrund bereits an einer neuen Nominierung gearbeitet werde, so von Lucke.
Die Debatte der vergangenen Wochen habe zudem die Frage aufgeworfen, ob die schwarz-rote Koalition in der Krise steckt. Während Merz den Begriff einer Krise entschieden zurückwies, sah von Lucke die Regierung sogar in einer "eklatanten Krise". Das zeige sich nicht nur an den Schwierigkeiten, Verfassungsrichter zu benennen. Auch bei der Stromsteuer sei keine einvernehmliche Lösung gefunden worden.

Es ist schon eine enorme Missstimmung, die die Schwäche der Koalition zum Ausdruck bringt.

Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler

Merz habe zudem seine Versprechen - eine Koalition zu bilden, in der beide Parteien wachsen, und einen "eklatanten Stimmungsumschwung in der Bevölkerung" herbeizuführen - bislang nicht einlösen können. Das sei kein gutes Zeichen für das kommende halbe Jahr.
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… den Herausforderungen, die nach dem Sommer warten:

Auf die zweite Jahreshälfte blickt von Lucke pessimistisch und rechnet mit weiteren Krisen.

Die strukturellen Probleme innerhalb dieser Koalition sind schon jetzt so groß.

Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler

Während Merz von erfolgreichen zehn Wochen spricht, sei das Bild in der Bevölkerung deutlich getrübter. Das liege auch an nicht eingehaltenen Wahlversprechen, etwa in Bezug auf die Schuldenbremse.

Wenn man genau die Schuldenbremse abschafft, die man im alten Wahlkampf noch versprochen hat, dann macht man sich durchaus nicht glaubwürdiger.

Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler

Zudem seien die Autoritäten des Führungspersonals - wie Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) - "ausgesprochen angeschlagen". Es herrsche ein Konkurrenzkampf zwischen beiden Parteien, der bei den anstehenden "großen Feldern" wie Rente, Pflege und Krankenversicherung zu heftigen Auseinandersetzungen führen könne.

Im nächsten Halbjahr kann man nur hoffen, dass sie in der Lage sind, etliche Themen gut über die Bühne zu bringen, sodass wir nicht von einem Streit in den nächsten kommen.

Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler

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Quelle: ZDF

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