Wahlkampf-Thema Krieg: "Putins Choreographie" durchbrechen

Interview

Der Krieg als Wahlkampf-Thema:"Putins Choreografie der Angst durchbrechen"

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Historiker Karl Schlögel über 'geniale' russische Propaganda, falsche Lehren aus der Nazizeit - und seine Sorge, dass der Kanzler dem Druck von AfD und BSW nachgeben könnte.

Wahlplakat BSW mit Schriftzug "Krieg oder Frieden?" zur Europawahl

AfD und BSW seien "russische Parteien auf deutschem Boden", sagt Historiker Karl Schlögel.

Quelle: imago images

ZDFheute: Die SPD geht nun wieder mit Olaf Scholz ins Rennen, nicht mit Boris Pistorius. Erwarten Sie, dass sich das auf die deutsche Ukraine-Politik auswirkt?

Prof. Karl Schlögel: Ich hoffe ja, dass Olaf Scholz festhält an der Unterstützung der Ukraine. Es gibt aber Anzeichen, dass er unter der Rubrik "Friedenskanzler" Wahlkampf führen möchte.

Und ich hoffe nicht, dass das bedeutet, dass er dem Druck zweier Parteien - BSW und AfD - nachgibt.

Prof. Karl Schlögel, Historiker

ZDFheute: Immerhin hat Scholz seinerzeit sehr schnell und sehr entschlossen die Zeitenwende ausgerufen. War das nicht ein historisches Verdienst?

Schlögel: Das ist bestimmt so. Aber es ist ziemlich klar inzwischen, dass Zeitenwende nicht einfach bedeutet, einen Schalter umzulegen, sondern ein schwieriger, anstrengender, kostspieliger Prozess ist. Und fraglich erscheint, ob die Regierung den Mut hat, den Leuten reinen Wein einzuschenken und zu sagen, was auf sie zukommt. Und da hat es gewiss eine Zögerlichkeit bei Scholz gegeben, die zweifeln lässt, ob er verstanden hat, was Zeitenwende ist.

ZDFheute: Boris Pistorius scheint es sehr gut verstanden zu haben - er sieht es als seine Hauptaufgabe an, den Menschen zu vermitteln, was Zeitenwende bedeutet.

Schlögel: Er hat eine klare Sprache. Er hat davon gesprochen, dass die Bundesrepublik wehrhaft sein muss, hat sogar die Vokabel "kriegstüchtig" gebraucht. Manche legten ihm das als militaristisch aus, was nicht der Fall ist.

Es geht schlicht darum, Putins ungeheuren Drohungen etwas entgegenzusetzen. Und da hat Pistorius die klareren, eindeutigeren Worte gefunden.

Prof. Karl Schlögel, Historiker

Karl Schlögel
Quelle: ZDF

... Jahrgang 1948, ist Osteuropa-Historiker. Er ist Autor zahlreicher Bücher, u.a. "Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen" (2015/2022), "Der Duft der Imperien. 'Chanel No. 5' und 'Rotes Moskau'" (2020). In dieser Woche (25. November) erhält Schlögel in Düsseldorf den Preis der Gerda-Henkel-Stiftung. Zudem wurde er zuvor u.a. bereits mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland (2019), Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2018) geehrt.


ZDFheute: Sie sagten, Sie fürchten, Scholz könne dem Druck von BSW und AfD nachgeben. Inwiefern?

Schlögel: Ich glaube, dass es die Rücksichtnahme ist auf eine Strömung in Deutschland, die von BSW und AfD bewirtschaftet wird. Für mich sind sie russische Parteien auf deutschem Boden. Sie sind professionelle Bewirtschafter der Angst, die Putin erzeugt. Sie profitieren von dessen Aggressivität.

Und Scholz geht offensichtlich auf diesen Druck ein, um nicht noch mehr Stimmen zu verlieren. Es wäre sehr fatal, wenn Scholz im Wahlkampf diese Linie des Appeasements, die AfD und Wagenknecht propagieren, nachgäbe. Da muss sich die SPD, diese große und verdienstvolle Partei, entscheiden, was sie machen will.

ZDFheute: Aber ist die Situation nicht wirklich bedrohlich - und die Besonnenheit, derer Scholz sich rühmt, angemessen?

Schlögel: Wer so redet, unterstellt ja, dass andere Leute nicht besonnen sind. Besonnenheit ist eine Selbstverständlichkeit. Die Frage ist eher, ob Besonnenheit nicht auch eine Schutzvokabel ist, um Zögerlichkeit, Unentschiedenheit zu maskieren. Es ist klar, dass die gesteigerten Drohungen Ängste hervorrufen. Das ist genau der Effekt, mit dem Putin rechnet.

Es ist eine geniale Choreografie der Angst, die er betreibt. Sie zu durchbrechen, darum geht es.

Prof. Karl Schlögel, Historiker

ZDFheute: Erwarten Sie, dass dies den Wahlkampf prägen wird?

Schlögel: Es wird eine heftige Auseinandersetzung, und das ist auch gut. Es geht ja nicht nur darum, die Ukraine weiter zu unterstützen und Putins Eskalationsdrohungen zu widerstehen, sondern darum, ob die Bundesrepublik standhaft bleibt innerhalb der transatlantischen Gemeinschaft. Die Vorstöße des BSW gehen ja dahin, dass die Bundesrepublik ausscheiden soll. Es geht also um eine generelle Richtungsentscheidung.

ZDFheute: Auch Taurus bleibt Thema - und der Kanzler bei seinem Nein. Seine Begründung, die Sorge vor Eskalation, scheint zu überzeugen: Eine Mehrheit der Deutschen lehnt die Lieferung ab.

Schlögel: Ich finde es überhaupt nicht überzeugend. Es geht um Waffen, die helfen, den Überlebenskampf der Ukraine zu unterstützen.

Eine Eskalation findet ja längst statt - jeden Tag, jede Nacht, indem Putin die Lebensgrundlagen der Ukraine zerstören lässt.

Prof. Karl Schlögel, Historiker

Eigentlich wären solche Waffen ganz am Anfang notwendig gewesen. Man hat es nicht gemacht mit demselben Argument, mit dem Panzer verweigert wurden - wonach der Einsatz deutscher Waffen gegen Russland nicht möglich sei wegen unserer Geschichte. Das folgt Putins Narrativ, dass militärische Unterstützung der Ukraine die Fortsetzung der Nazi-Aggression gegen die Sowjetunion sei. Die richtige Lehre aus den Verbrechen der Nazis auf sowjetischem Territorium ist allerdings eine ganz andere.

ZDFheute: Nämlich?

Schlögel: Alles zu tun, um die Auslöschung einer selbstständigen Nation wie der Ukraine zu verhindern. Es geht also um Widerstand gegenüber diesem Narrativ - und gegenüber der moralischen Erpressung, mit der Putin gegenüber der deutschen Unterstützung der Ukraine arbeitet.

Das Interview führte ZDF-Hauptstadtkorrespondent Daniel Pontzen.

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