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Interview
Fall Brosius-Gersdorf:Experte sieht drei Verlierer - und eine Gewinnerin
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Frauke Brosius-Gersdorf zieht ihre Kandidatur zur Bundesverfassungsrichterin zurück. Was bleibt von der gescheiterten Wahl? Fragen an einen Politikwissenschaftler.
Die von der SPD vorgeschlagene Bewerberin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, zieht ihre Kandidatur zurück. Sie stehe "für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung", schreibt sie in einer Erklärung. Die Unionsfraktion habe ihr "in den letzten Wochen und Tagen sehr deutlich signalisiert, dass meine Wahl ausgeschlossen ist". Teile der CDU/CSU-Fraktion lehnen meine Wahl kategorisch ab." Die SPD bedauerte den Schritt und kündigte einen neuen Vorschlag an.
- Die Gründe im Detail: So erklärt Brosius-Gersdorf ihren Rückzug
Für den Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke kommt der Rückzug von Brosius-Gersdorf nicht überraschend, "aber er kommt entschieden zu spät", sagt er bei ZDFheute live. Schon vor Wochen habe sie gesagt: 'Wenn es zu einer Krise in der Koalition kommt, dann ziehe ich zurück". "Diese Krise haben wir seit Wochen", so von Lucke.
Dieser Streit hat sich weit über die Wahl von Frau Brosius-Gersdorf zu einer echten Krise der Koalition entwickelt.
Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler und Jurist
Sehen Sie oben das komplette Interview mit Albrecht von Lucke oder lesen Sie es hier in Auszügen.
Warum scheiterte die Wahl von Brosius-Gersdorf?
In der Union habe es Vorbehalte gegenüber inhaltlichen Positionen der Juristin gegeben, sagt der Politologe. Das sei das "Kardinalproblem" gewesen.
Tatsächlich hätten sich aber im Richterwahlausschuss auch die CDU-Mitglieder für Brosius-Gersdorf als Richterkandidatin ausgesprochen. Jens Spahn habe allerdings den Umschwung in der eigenen Fraktion "völlig falsch eingeschätzt". Vor allem die CSU habe sich dezidiert gegen die Wahl der Juristin ausgesprochen.
Insofern ist ganz klar das Versagen auf Seiten der Union zu verorten.
Man hätte in der Koalition schon vorab zum Schluss kommen können, so von Lucke, von Anfang an von der Wahl von Brosius-Gersdorf abzusehen. Die Unionsfraktion und vor allem Jens Spahn hätten sich "nicht hinreichend mit den Positionen auseinandergesetzt".
Was bedeutet der Fall für die Koalition?
Für Albrecht von Lucke gibt es drei große Verlierer: Union, SPD und die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf selbst. Der Vorgang rund um die Richterwahl sei Ausdruck "tief liegender Zerwürfnisse" in der Koalition. Die SPD erscheine bereits jetzt zum Teil "ausgesprochen schwach" und sehe zu Recht Jens Spahn als "Hauptverantwortlichen". Die Partei werde laut von Lucke einen hohen Preis verlangen bei weiteren Themen wie Rente und Bürgergeld.
Die größte Verliererin ist aus der Sicht des Politologen allerdings die Kandidatin selbst - ihre Reputation habe großen Schaden genommen.
Sie ist sicherlich die allergrößte Verliererin.
"Brosius-Gersdorf hätte gute Gründe gehabt, für mein Verständnis schon früher zurückzuziehen. Es gab allerdings starke Kräfte in der SPD, die sehr an ihr festgehalten haben. Es gab starke Kräfte in der Opposition." Wahrscheinlich sei es kein Zufall, dass ihr Rückzug einen Tag nach Bekanntwerden neuer Plagiatsvorwürfe komme.
Gibt es Gewinner der Krise?
Als Gewinnerin sieht der Politikwissenschaftler die AfD. Die Partei habe bereits angedeutet, dass sie mit Kulturkämpfen einen "Riss in die Koalition" treiben wolle. Diesen Riss habe die Koalition - ganz ohne Zutun der AfD - sich nun selbst zugefügt.
"So haben wir also jetzt bereits einen Kulturkampf in den Reihen der Koalition aus Schwäche beider Parteien", sagt von Lucke. Die AfD sei damit "indirekterweise der Sieger dieses ganzen Streits".
Was heißt der Fall für das Bundesverfassungsgericht?
Für von Lucke ist die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts durch diesen Eklat noch einmal klarer geworden. Eine ernsthafte Beschädigung des Verfassungsgerichts sieht er aktuell nicht.
Allerdings würden sich Professoren künftig wahrscheinlich gut überlegen, ob sie für das Verfassungsgericht kandidieren. Das sei durchaus eine Schwächung des Bundesverfassungsgerichts.
Das Interview führte ZDFheute-live-Moderatorin Victoria Reichelt, zusammengefasst hat es ZDFheute-Redakteurin Laura Meyer.
Quelle: Mit Material von AFP
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