Richter-Wahl: So begründet Brosius-Gersdorf ihren Rückzug

Ex-Kandidatin fürs BVerfG:So begründet Brosius-Gersdorf ihren Rückzug

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Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf steht nicht mehr als Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht zur Verfügung. In einer Erklärung begründet sie ihre Entscheidung.

Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf ist abgebildet.
Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf verzichtet auf die Wahl zur Richterin am Bundesverfassungsgericht. Ein Grund: Fehlender Rückhalt aus der Union. ZDFheute live zu den Folgen. 07.08.2025 | 27:46 min
Wochenlang war ihre Kandidatur Thema im politischen Berlin. Die an der Universität Potsdam lehrende Juristin Frauke Brosius-Gersdorf war von der SPD für das Amt als Richterin am Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen worden. Die Wahl kam nicht zustande wegen Widerstands in der Union. Die Folge: erhebliche Verstimmungen in der Koalition.
Am Donnerstagmittag teilte Brosius-Gersdorf in einer Erklärung schließlich mit, sie stehe nicht mehr für die Wahl zur Verfügung. Als Begründung nannte sie die kategorische Ablehnung durch Teile der CDU/CSU-Fraktion. Aufgeteilt ist das mehrseitige Schreiben in acht Aspekte.
ZDF-Korrespondent Lars Bohnsack in Berlin
Frauke Brosius-Gersdorf zieht ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurück. ZDF-Korrespondent Lars Bohnsack zu den möglichen Folgen des Rückzugs aus Berlin.07.08.2025 | 1:09 min

1. Schutz anderer Kandidaten und Sorge vor Koalitionsstreit

In ihrem Statement erklärt die Juristin, dass ihr aus der Unionsfraktion in den letzten Tagen und Wochen - öffentlich und nicht-öffentlich - deutlich signalisiert worden sei, dass die Wahl ausgeschlossen sei. Auch wolle sie andere zur Wahl stehende Kandidaten nicht belasten.

Zudem droht ein Aufschnüren des "Gesamtpakets" für die Richterwahl, was die beiden anderen Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht gefährdet, die ich schützen möchte

Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin

Weiterhin müsse verhindert werden, dass sich der an der Richterwahl entzündete Koalitionsstreit nicht noch zuspitze. Die Auswirkungen auf die Demokratie seien "nicht absehbar", so Brosius-Gersdorf.

2. Kontextloses Verurteilen ihrer Aussage

Die Juristin bemängelt, dass sich trotz der Versachlichung der Debatte nach ihrem Auftritt in der ZDF-Sendung Markus Lanz die Unionsfraktion nicht mit ihren Themen und Thesen inhaltlich auseinandergesetzt habe. Auch sei sie nicht in eine Fraktionssitzung eingeladen worden.
Markus lanz vom 15. Juli 2025: Markus Lanz, Frauke Brosius-Gersdorf
Wie die SPD-Kandidatin für das Verfassungsgericht auf die geplatzte Richterwahl und die Berichterstattung über sie und ihre Standpunkte blickt.15.07.2025 | 84:20 min
Ihr viel kritisierter Satz, "es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt", sei Ausdruck wissenschaftlicher Freiheit, die durch die Nichtwahl sanktioniert werde. In ihrem Statement erklärt Brosius-Gersdorf nachfolgend das Dilemma der Thematik und die "denklogische", "verfassungsrechtliche Lösung".

3. Unions-Ablehnung widerspricht Koalitionsvertrag

In ihrem dritten Aspekt schreibt die Juristin, dass die ablehnende Haltung von Teilen der Unionsfraktion wegen ihrer Position zum Schwangerschaftsabbruch im Widerspruch zum Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot stehe.

Es ist paradox, jemanden wegen einer Position abzulehnen, die man selbst vertritt.

Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin

Brosius-Gersdorf benennt die im Koalitionsvertrag formulierte Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung. Die würde voraussetzen, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig, das heißt legal ist. Der Koalitionsvertrag gehe "also selbst von einer Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten Wochen der Schwangerschaft aus".
Philipp Sälhoff
Viele Faktoren seien zusammengekommen, so Philipp Sälhoff von der Denkfabrik polisphere zu der Verleumdungskampagne gegen Brosius-Gersdorf. Das zerstöre den demokratischen Diskurs.20.07.2025 | 6:27 min

4. Desinformation und Diffamierung in Medien

Frauke Brosius-Gersdorf kritisiert die Desinformation und Diffamierung in Medien (konkret einem "Qualitäts- und Leitmedium"). Männliche Journalisten seien dort "Speerspitze eines ehrabschneidenden Journalismus" gewesen, so die 54-Jährige.

Der Kampagnencharakter manifestierte sich auch in Artikeln über meine Position zum Schwangerschaftsabbruch.

Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin

Sie kritisiert die teils unvollständige oder falsche Darlegung ihrer Argumentation in besagtem Medium, welches "gerade in Juristenkreisen Verbreitung und Wertschätzung genießt". Die Medien würden eine besondere Verantwortung für das Gelingen und die Erhaltung der Demokratie tragen.
Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf ist abgebildet.
Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf verzichtet auf die Wahl zur Richterin am Bundesverfassungsgericht. Ein Grund: Fehlender Rückhalt aus der Union. ZDFheute live zu den Folgen. 07.08.2025 | 27:46 min

5. Fakenews und Schmähungen im Internet

Brosius-Gersdorf benennt explizit die Gefahr von Fakenews und Schmähungen im Internet.

Neu und bedrohlich ist jedoch, dass sich in sozialen Netzwerken organisierte und zum Teil KI-generierte Desinformations- und Diffamierungskampagnen Bahn brechen zur Herzkammer unserer Demokratie, dem Parlament.

Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin

Man müsse erwarten können, dass politisch verantwortliche Funktionsträger wie "Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion" solch ungeprüfte Behauptungen und Stimmungen nicht als Grundlage ihrer Entscheidungen nähmen. Die Politik müsse gegenüber "von bestimmten Seiten geführten Kampagnen" "Resilienz" zeigen, erklärt die Juristin.
Bundesverfassungsrichter.
Die Wahl dreier Richter für Deutschlands höchstes Gericht ist im Bundestag vorerst gescheitert, nach tagelangem Streit um SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf. ZDFheute live analysiert.11.07.2025 | 35:06 min

6. Beschädigung des Verfahrens droht

Wenn dies nicht der Fall sei, drohe eine "nachhaltige Beschädigung des Verfahrens der Bundesverfassungsrichterwahl", so Brosius-Gersdorf. Sie hofft künftig auf mehr Verantwortungsbewusstsein im Verfahren der Richterwahl.

Die fachliche Kompetenz als zentrales Entscheidungskriterium darf nicht von öffentlichen Diskussionen über vermeintliche politische Richtungen oder angebliche persönliche Eigenschaften überlagert werden, zumal wenn diese ohne Tatsachenbezug erfolgen.

Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin

7. Keine reelle Wahlchance

Ihr sei bewusst, dass ihr Verzicht viele Menschen enttäuschen werde, fährt Brosius-Gersdorf fort. "Durchhalten macht aber nur Sinn, wenn es eine reelle Wahlchance gibt, die leider nicht mehr existiert."

8. Dank und künftige Tätigkeit

Im letzten Absatz ihrer Erklärung bedankt sich die frühere Kandidatin für die Unterstützung, die sie in den vergangenen Wochen erfahren habe. Explizit nennt sie die SPD-Bundestagsfraktion, die Bundestagsfraktionen der Grünen und Linken und auch "einzelne Vertreter der Unionsfraktion", die ihr fair, sachlich und respektvoll gegenübergetreten seien. Hinzu kämen die Solidaritätsbekundungen ihrer Kollegen und "Tausende von Mails aus allen Teilen der Gesellschaft."

Ihnen allen sei versichert, dass ich mich weiterhin für die Werte unseres wunderbaren Grundgesetzes einsetzen werde.

Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin

ZDF-Hauptstadtkorrespondent Wulf Schmiese bei ZDFheute live.
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Quelle: kr

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