US-Waffenlieferungen: Wie die Ukraine unabhängiger werden kann
Analyse
Trumps Unzuverlässigkeit:Wie Kiew unabhängiger von den USA werden kann
von Christian Mölling und András Rácz
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Die Einstellung und anschließende Wiederaufnahme der US-Waffenlieferungen zeigen die Unberechenbarkeit der USA. Die Ukraine muss nun ihre Abhängigkeit verringern. Wie gelingt das?
Von den USA geliefert: Patriot-Flugabwehrsystem. (Archivbild)
Quelle: dpa
Mit einer überraschenden Entscheidung stoppten die USA am 2. Juli die nächste Waffenlieferung an die Ukraine. Betroffen waren rund 30 Patriot-PAC-3-Luftabwehrraketen sowie Stinger-, AIM-7- und andere Raketen und 155-mm-Artilleriegeschosse.
Offiziell wurde die Entscheidung mit der Notwendigkeit begründet, die schwindenden US-Bestände zu überprüfen, wie der Staatssekretär für Verteidigungspolitik, Elbridge Colby, mitteilte. Einige Tage später stellte sich jedoch heraus, dass die Entscheidung über die Einstellung der Lieferung wohl einseitig von Verteidigungsminister Pete Hegseth getroffen worden war, ohne Rücksprache mit dem Weißen Haus oder anderen Regierungsstellen.
... ist Senior Advisor beim European Policy Centre. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Trumps Telefonat mit Putin und die folgende Demütigung
Unterdessen rückte nach einem einstündigen Telefonat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am 3. Juli die Aussicht auf einen ausgehandelten Waffenstillstand nicht einen Zentimeter näher. Der russische Präsident bekräftigte gegenüber Trump alle seine ursprünglichen Kriegsziele und zeigte keine Kompromissbereitschaft.
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Darüber hinaus startete Russland in der Nacht zum 4. Juli den bis dahin größten kombinierten Drohnen- und Raketenangriff gegen die Ukraine und demonstrierte damit seine offensichtliche Missachtung der Wünsche Trumps.
Der US-Präsident reagierte bitter: Zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt verurteilte er den russischen Präsidenten klar und offen und erklärte, Putin sei überhaupt nicht an Frieden interessiert. Darüber hinaus kündigte die US-Regierung nicht nur die Fortsetzung der Waffenlieferungen an, sondern Trump versprach, die Ukraine mit noch mehr Waffen zu beliefern, "damit sie sich verteidigen kann".
Man könnte zu dem Schluss kommen, dass die US-Regierung nach fast sechs Monaten vergeblicher Bemühungen endlich erkennt, dass Russland nicht an einem Kompromiss zur Waffenruhe interessiert ist, sondern einen militärischen Sieg anstrebt. Doch Politikwechsel sind in Washington eher Regel als Ausnahme.
Die Frage ist daher, ob sich die Politik der USA gegenüber Russland und der Ukraine dauerhaft ändern wird.
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10.07.2025 | 2:31 min
Nicht die erste Unterbrechung bei Waffenlieferungen
Diese mögliche Kursänderung ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die USA bereits zum zweiten Mal in den letzten vier Monaten auf überraschende Weise ihre Lieferungen an die Ukraine eingestellt haben.
Als sie dies zum ersten Mal im März 2025 taten und die Unterstützung im Bereich Nachrichtendienst und Kommunikation einstellten, kam es zum Tod von Hunderten ukrainischen Soldaten und trug zum Zusammenbruch des ohnehin schon schwachen Kursk-Bogens bei.
Diese zweite Unterbrechung der Unterstützung, diesmal bei Waffenlieferungen, hat erneut die grundlegende Unberechenbarkeit der Trump-Regierung als militärischem Verbündeten gezeigt.
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Mögliche Maßnahmen der Ukraine
Diese wiederholte Unberechenbarkeit zwingt die Ukraine zweifellos zu vielfältigen Maßnahmen. Zwar ist und bleibt Kiew auf die Unterstützung der US-Geheimdienste und auf viele Waffensysteme angewiesen, doch verfügt es noch über einen erheblichen Handlungsspielraum, um sich an das Risiko der Unberechenbarkeit anzupassen und so die Gefährdung durch mögliche künftige Kürzungen zu mindern.
Alternative Kommunikationsmittel
Die erste Maßnahme besteht darin, nach Alternativen zum Starlink-System zu suchen, einem wichtigen Kommunikationsmittel, sowohl durch die Entwicklung eigener Alternativen als auch durch den Kauf europäischer Varianten, sobald diese in ausreichender Stückzahl verfügbar sind. Dies gilt auch für die Ausrüstung ukrainischer Marine-Drohnen mit anderen Kommunikationssystemen als Starlink.
Europa habe die letzten drei Jahre unter der Biden-Administration verschlafen. Nun müsse man der Ukraine bei der Produktion helfen, sagt Politikwissenschaftler Masala.04.07.2025 | 4:40 min
Elon Musk hatte Starlink bereits im Herbst 2022 einseitig abgeschaltet und damit einen laufenden ukrainischen Angriff auf die russische Schwarzmeerflotte verhindert. Die Ukraine ist entschlossen, dies nicht noch einmal zuzulassen.
Heimische Industrie weiter stärken
Zweitens muss die Entwicklung und Produktion eigener Waffensysteme, der heimischen Rüstungs- und Munitionsindustrie, insbesondere von 155-mm-Artilleriegeschossen, intensiviert werden, um die Abhängigkeit von US-Lieferungen zu verringern.
Bei diesen Projekten spielen Finanzmittel aus Europa und anderen G7-Partnerländern eine entscheidende Rolle und werden dies auch weiterhin tun.
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Positive Diplomatie gegenüber Trump verstärken
Drittens soll als kurzfristige Maßnahme die "Smile-Diplomatie" gegenüber den Vereinigten Staaten noch verstärkt werden, um das Vertrauen von Präsident Trump und seiner Regierung zu stärken. Auf diese Weise kann die Ukraine hoffen, die Wahrscheinlichkeit ähnlicher negativer Überraschungen wie die Einstellung der Waffenlieferungen zu minimieren.
Vor Kurzem hat die Ukraine begonnen, über die Möglichkeit der Abberufung ihrer Botschafterin in Washington D.C., Oksana Markarova, zu diskutieren, die aufgrund ihrer Rolle unter der Biden-Regierung bei vielen MAGA-Anhängern sehr unbeliebt ist. Sollte Markarova tatsächlich abberufen werden, könnte dies durchaus als weitere demonstrative vertrauensbildende Maßnahme Kiews interpretiert werden.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.