Ukraine: Experte erwartet russische "Angriffe mit 2.000 Drohnen"

Interview

Großangriff auf die Ukraine:Lange: "Werden Angriffe mit 2.000 Drohnen sehen"

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Immer mehr Drohnenangriffe treffen die Ukraine. Militärexperte Nico Lange erklärt, warum die Angriffe zunehmen und wie der Westen reagieren sollte.

Militärexperte Nico Lange bei ZDFheute live.

Sehen Sie das gesamte Interview aus ZDFheute live hier im Video.

07.09.2025 | 11:26 min

Seit Monaten intensiviert Russland seine Luftangriffe auf die Ukraine. In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde auch die Hauptstadt Kiew heftig getroffen - die Ukraine spricht von den massivsten Drohnenangriffen seit Kriegsbeginn. Besonders brisant: Diesmal wurde auch ein wichtiges Regierungsgebäude getroffen und teilweise in Brand gesetzt.

Bei ZDFheute live erklärt Militärexperte Nico Lange, was Russland mit den verstärkten Drohnenangriffen bewirken will und kann, wie die westlichen Unterstützer der Ukraine jetzt reagieren sollten - und wie es in den kommenden Wochen weitergehen könnte.

Sehen Sie das gesamte Interview oben im Video oder lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Nico Lange...

... zur Bedeutung der massiven Drohnenangriffe

Russland setze mit den jüngsten Angriffen systematisch fort, was es vor einiger Zeit mit der Massenproduktion von Geran-2-Drohnen begonnen habe - die Intensivierung von Drohnenangriffen. Immer mehr dieser ursprünglich iranischen Drohnen vom Typ Shahed seien bei den Angriffswellen im Einsatz. Die Ukraine spricht von über 800 Drohnen und 13 Raketen allein in der vergangenen Nacht.

Rauch steigt nach einem russischen Angriff in Kiew, Ukraine, auf.

Letzte Nacht feuerte Russland über 800 Drohnen und Raketen auf die Ukraine ab. Erstmals wurde ein Regierungsgebäude in Kiew getroffen - eine neue Eskalationsstufe in diesem Krieg.

07.09.2025 | 1:39 min

Lange erwartet künftig eine russische Produktionskapazität von 8.000 bis 12.000 Drohnen pro Monat und macht deutlich:

Ich befürchte, wir werden noch Angriffe mit 1.000, 1.500 und 2.000 Drohnen sehen.

Nico Lange, Militärexperte

Die schiere Masse an Drohnen überfordere die ukrainische Luftabwehr, sodass nicht alle abgewehrt werden könnten oder Trümmerteile auf die Städte herabfielen.

Russland setze aber auch verstärkt auf Luftangriffe, weil es "am Boden für Russland nicht läuft", sagt Lange. "Da wird zwar immer von Offensive gesprochen, aber da passiert wenig. Russland erreicht seine militärischen Ziele nicht."

... zur Gefährdung von ukrainischen Regierungsvertretern

Regierungsvertreter hielten sich bei Luftalarm nicht in ihren Büros auf, sondern seien an sicheren Orten, erklärt Lange mit Blick auf den jüngsten Angriff auf das Regierungsgebäude in Kiew, in dem sich etwa das Ministerkabinett trifft. "Es besteht für die handelnden Personen aus meiner Sicht keine Gefahr", so der Experte.

SGS vom 07.09.2025 mit Luc Walpot zu den massiven russischen Drohnenangriffen auf die Ukraine

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Die Gefahr liege viel mehr in der Symbolik solcher Angriffe. "Das geht heute um die Welt, dass das Regierungsgebäude in Kiew brennt, auch wenn es möglicherweise durch Trümmerteile ausgelöst wurde."

Kiew ist das Ziel von Russland, weil Russland weiter einen Anspruch auf die Kontrolle der gesamten Ukraine erhebt - deswegen auch Angriffe auf die Regierung.

Nico Lange, Militärexperte

... zur benötigten Ukraine-Unterstützung durch westliche Verbündete

Die Ukraine brauche wegen der verstärkten Drohnenangriffe vor allem Hilfe bei der Luftverteidigung. Lange verweist insbesondere auf die Möglichkeiten elektronischer Kampfführung mittels "Jamming" und "Spoofing". Deutschland habe in geringem Umfang angefangen, die Ukraine mit Technologien dieser Art zu unterstützen.

Beim sogenannten Jamming wird das Signal unterdrückt, beim sogenannten Spoofing wird hingegen eine falsche Position vorgegeben. Ein Signal zu jammen funktioniert üblicherweise so, dass ein anderes, sehr viel stärkeres Signal eingesetzt wird, um die ursprüngliche Kommunikation zu überlagern.

"Spoofing ist das sehr viel gefährlichere", betonte Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt jüngst bei ZDFheute live. Spoofing sei zudem deutlich komplizierter. "Aber auch das gibt es seit Ausbruch des Ukraine-Krieges und auch im Mittleren Osten inzwischen täglich."


Auch Investitionen in verhältnismäßig günstige Abwehrmethoden wie Schnellfeuerkanonen seien möglich. Lange mahnt zudem Investitionen in Anti-Drohnen-Drohnen an.

Aber am Ende muss man sich klar machen, man wird der Sache nur Herr, wenn man auch die Drohnenfabriken angreifen und zerstören kann.

Nico Lange, Militärexperte

Um militärische Ziele in Russland anzugreifen, brauche es etwa auch den Taurus-Marschflugkörper aus Deutschland. Ansonsten werde man immer wieder mit dieser Masse an Drohnen konfrontiert sein, so Lange. Und dann würden auch Menschen in Städten wie Kiew, die bisher eine gute Luftverteidigung hatten, überlegen, "ob sie bleiben oder ob sie gehen, ob die Kinder da noch zur Schule gehen können, ob man noch zur Arbeit gehen kann jeden Tag".

Putin hat auch das Ziel, mit solchen Angriffen eine neue Fluchtwelle auszulösen, die ja auch viele Probleme für uns beinhalten würde.

Nico Lange, Militärexperte

In der deutschen Ukraine-Unterstützung sei vieles richtig gemacht worden, "aber immer zu spät". Jetzt sei schnelles Handeln geboten.

... zu möglichen Entwicklungen in den nächsten Wochen

Die ukrainischen Angriffe auf die russische Energieversorgung zeigen laut Lange erste Erfolge. "In einigen Gebieten Russlands gibt es schon Probleme mit der Versorgung mit Benzin", sagt er.

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Problematisch sei jedoch, dass einige europäische Staaten noch immer russisches Öl über Drittstaaten kaufen würden, das ursprünglich aus Russland komme.

Angesichts dieser Angriffe Putins Kriegskasse weiter zu füllen und gleichzeitig rumzujammern, der US-Präsident solle bitte mal was machen, das ist, glaube ich, eine echt schwache Position der Europäer.

Nico Lange, Militärexperte

Mit Blick auf die jüngsten Verhandlungsversuche, etwa den Putin-Trump-Gipfel in Alaska, wird Lange deutlich: "Man könnte sagen, diese ganze Scheindiplomatie hat überhaupt gar nichts gebracht. Russland macht einfach das weiter, was es sowieso gemacht hätte." In Bezug auf Putins Verhandlungsbereitschaft habe sich nichts verändert. Er empfiehlt daher ein Umdenken:

Wenn diese Serie an Gipfeln keine Veränderung des Verhaltens Putins bewirkt, dann muss man sich was anderes überlegen.

Nico Lange, Militärexperte

So könne man "mit europäischer Stärke" sagen: "Wir stoppen alle Zahlungen an Wladimir Putin, wir beschlagnahmen sein Geld, wir liefern der Ukraine weitreichende Waffen und dann setzen wir uns selbst an den Tisch und vertrauen nicht darauf, dass Trump das für uns löst."

Das Interview führte Christian Hoch bei ZDFheute live. Zusammengefasst wurde es von Torben Heine. Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

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Quelle: ZDF

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