Von Benzinmangel bis Exportstopp:Der Krieg ist in Russlands Alltag angekommen
von Jenifer Girke
Ukrainische Drohnen treffen russische Ölraffinerien. Die Folge: Benzinknappheit, Schlangestehen an der Tanke. Der Krieg wird für viele Russen spürbarer - Putin will das vermeiden.
Schlangen an russischen Tankstellen werden häufiger, auch wegen ukrainischer Angriffe auf Raffinerien. Gleichzeitig gibt sich Russland zufrieden mit seinem Gas- und Öl-Geschäft.
16.10.2025 | 2:59 minAuf russischen Social Media-Accounts finden sich viele Videos, die zeigen, was der Kreml nicht zeigen will: brennende Ölraffinerien.
In den vergangenen Monaten haben ukrainische Drohnen zahlreiche Ölraffinerien und Depots in Russland getroffen. Die Folge: Weniger Kraftstoff-Produktion, damit auch Benzinmangel. Und das heißt: Schlange stehen an der Tankstelle. Der Krieg wird spürbarer, seine negativen Folgen erleben viele Russen im Alltag - etwas, das Wladirmir Putin immer vermeiden wollte. Seine Reaktion: So tun, als wäre alles bestens.
Benzinproduktion lahmgelegt, Benzinverkauf eingestellt
In Teilen Russlands wurde der Verkauf von Benzin auf 20 Liter pro Person beschränkt. Hupende Autos, ungeduldige Autofahrer - dieser Tage keine Seltenheit in Russland.
Man muss etwa zwei Stunden lang für Benzin anstehen.
Ludmilla
Die Rohölverarbeitung stockt, sagt der russische Ökonom Wladislaw Inosemzew, der in den USA lebt: "Mit den Angriffen der Ukraine auf die russische Ölverarbeitungsindustrie haben sie bis zu 20 Prozent der vorhandenen Produktionskapazitäten lahmgelegt."
Russland versucht, den Binnenmarkt zu stabilisieren: Ölkonzerne verkaufen Benzin im Inland zu regulierten Preisen und erhalten vom Staat Kompensationen für die Verluste. Doch das reicht nicht aus - innerhalb von zwei Monaten haben 360 Tankstellen den Benzinverkauf eingestellt, so die russische Beratungsfirma OMT-Consult. Auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim ist es sogar jede zweite.
Eine Maßnahme: Weniger Treibstoff exportieren
Eine weitere Maßnahme ist die Beschränkung von Treibstoffexporten und gleichzeitig eine massive Steigerung von Importen, besonders aus Belarus. Auf Nachfrage beim stellvertretenden Energieminister Russlands antwortet dieser achselzuckend: "Nein, alles ist gut. Der Bedarf an diesen Produkten ist einfach gestiegen."
Die Auswirkungen der Angriffe auf Raffinerien und Öldepots spürten die Russen im Alltag - an den Tankstellen und bei der Inflation, analysiert SWP-Russlandexperte Janis Kluge.
16.10.2025 | 4:48 minMenschen in Russland spüren den Krieg im Alltag
Die Drohnenangriffe hätten aber noch einen anderen Effekt, so Inosemzew: "Sie sind eine Folge des Krieges, den Putin begonnen hat." Den Russen könnte der Krieg also mehr bewusst werden, und die Probleme, die er für ihr Land mit sich bringt. Bedeutet: Der Krieg wird auch in Russland spürbarer, betrifft Menschen direkt im Alltag.
Und was macht der Kreml-Chef? "Putin will das Gefühl vermitteln: In Russland ist alles in Ordnung." Aber:
Angriffe auf Flughäfen oder Benzinknappheit zeigen den Menschen: Nein, es ist nicht in Ordnung.
Wladislaw Inosemzew, Ökonom und Soziologe
Russische Energiewoche als Selbstinszenierung
Da kommt Putin die Russische Energiewoche gerade recht: eine Selbstinszenierung unter dem Motto "Gemeinsam die Zukunft der Energie gestalten" mit etwa 8.000 Teilnehmern, unter anderem aus Afrika, Südostasien und dem arabischen Raum.
Es sind Kommunalwahlen in Estland, und die haben Symbolkraft. Denn zum ersten Mal seit der politischen Wende in den 90ern dürfen Bewohner Estlands mit russischem Pass nicht mehr wählen.
17.10.2025 | 2:10 minAuch Vertreter der Taliban applaudieren eifrig dem russischen Präsidenten, als er etwa eine halbe Stunde lang in seiner Rede betont, wie stark und stabil Russlands Energiewirtschaft sei und mit den Worten schließt:
Russland will seine Position als Weltführer festigen und Partnerschaften weiterentwickeln, um eine gerechte und stabile globale Energiewirtschaft aufzubauen.
Wladimir Putin, Präsident Russland
Kein Wort zu den ukrainischen Drohnenangriffen.
Russland trotzt Sanktionen, exportiert weiter Öl und Gas. Doch Lebensmittelpreise steigen, während Putin weiter die Ukraine angreift. Wie stabil ist Russlands Wirtschaft wirklich?
04.07.2025 | 14:55 minRusslands Benzinknappheit könnte noch Monate andauern
Währenddessen stehen Russlands Autofahrer weiter Schlange. Das könnte auch noch länger so bleiben, denn die Ukraine fliegt nach wie vor Drohnenangriffe auf russische Raffinerien. Und Russland kommt nicht so recht hinterher, sie zu reparieren.
Diese Angriffe sind die effektivste Methode, um die russische Hinterfront anzugreifen. Denn diese Anlagen sind sehr verwundbar.
Wladislaw Inosemzew, Ökonom und Soziologe
Dass Russland zum Normalbetrieb noch in diesem Jahr zurückkehren wird, hält Inosemzew für unwahrscheinlich. Putins Erzählung "Alles ist gut" bröckelt mit jeder geschlossenen Zapfsäule mehr.
Jenifer Girke ist Reporterin und Redakteurin im ZDF.
… ist ein russischer Ökonom und Mitbegründer des Center for Analysis and Strategies in Europe (CASE). Er lehrte an verschiedenen Universitäten, darunter an der MGIMO (Universität für Internationale Beziehungen) und an der Higher School of Economics in Moskau. Von 2002 bis 2009 war er Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Zeitschrift Russia in Global Affairs. Im Jahr 2011 war er Geschäftsführer des Global Political Forum, das unter der Leitung des damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew in Jaroslawl organisiert wurde.
Von Dezember 2011 bis März 2012 war er leitender Berater von Michail Prochorow, dem damaligen russischen Präsidentschaftskandidaten (der bei den Wahlen 2012 den dritten Platz belegte), und verfasste dessen Präsidentschaftsprogramm. Seit November 2012 ist er Vorsitzender des Hohen Rates der Zivilen Kraft, einer neu gegründeten russischen Mitte-Links-Partei, die sich für Europa einsetzt. Inosemzew lebt in den USA.
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