Wie die Ukraine gegen Soldatenmangel kämpft

Analyse

Probleme bei Rekrutierung:Wie die Ukraine gegen Soldatenmangel kämpft

von Christian Mölling und András Rácz
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Die ukrainische Armee sucht verzweifelt nach neuen Soldaten - und setzt auch auf begnadigte Häftlinge und Söldner aus Südamerika. Doch das kann die Verluste kaum ausgleichen.

Ukraine Soldaten nehmen an einem Training in der Region Dnipropetrowsk teil.
Soldatenmangel wird für die Ukraine zum wachsenden Problem bei der Verteidigung gegen Russland.
Quelle: AFP

Während derzeit viel über neue Waffenlieferungen der USA an die Ukraine diskutiert wird, ist das größte Problem der ukrainischen Streitkräfte der gravierende Mangel an Personal.
Die Ukraine hatte am 25. Februar 2022 das Kriegsrecht verhängt. Es beinhaltet die Verpflichtung zur Verteidigung des Vaterlandes im Falle einer Einberufung. Ursprünglich lag das Mobilisierungsalter zwischen 27 und 60 Jahren, wurde jedoch im April 2024 auf 25 Jahre gesenkt, um die Verluste auszugleichen.
Derzeit ist die Mobilmachung die wichtigste Form der Aufstockung der Streitkräfte. Doch das System ist durch mehrere bürokratische und verfahrenstechnische Ineffizienzen beeinträchtigt.
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Mobilisierte müssen meist bis Kriegsende dienen

Eine Besonderheit ist, dass nach ukrainischem Recht ein Mann, sobald er mobilisiert ist, kein festes Dienstende hat, solange der Kriegszustand besteht. Er kann die Armee nur verlassen, wenn er getötet oder dauerhaft verwundet wird oder Vater von drei Kindern wird. Ansonsten muss er so lange dienen, wie der Krieg andauert.
Diese Unvorhersehbarkeit ist, in Verbindung mit den schweren Verlusten, ein ernstzunehmender Abschreckungsfaktor für potenzielle neue Rekruten.



Hinzu kommen Probleme mit den territorialen Zentren für Rekrutierung und soziale Dienste, in der Ukraine allgemein als TTsK bekannt. Sie sind für die Suche und Mobilisierung einer ausreichenden Anzahl von Rekruten verantwortlich.
In vielen Regionen der Ukraine, insbesondere in Odessa und Transkarpatien, ist die Arbeit der TTsK jedoch häufig von systemischer Korruption sowie von Fällen von Gewalt gegen die zu mobilisierenden Männer geprägt.
Sicherheitsexperte Nico Lange.
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Unzureichende Ausbildung

Die Dauer und das Niveau der Ausbildung variieren stark je nach Einheit. Einige Eliteeinheiten, wie die Dritte Sturmbrigade oder die Asow-Brigade, verfügen über eigene Ausbildungsprogramme, die von kampferprobten Veteranen und auch von westlichen Ausbildern durchgeführt werden.
Andere, insbesondere die Brigaden der Territorialverteidigung und Infanterie, bieten nur wenige Wochen Ausbildung, bevor die neuen Soldaten an die Front geschickt werden - deshalb oft mit geringen Überlebenschancen.
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Pool der Freiwilligen ausgeschöpft

Zu Beginn der groß angelegten Invasion meldeten sich Hunderttausende ukrainische Männer und auch Frauen freiwillig, um zu den Waffen zu greifen und ihr Heimatland zu verteidigen.
Im Frühjahr und Sommer 2023 gab es eine weitere Welle von Freiwilligen, die sich den neu aufgestellten sogenannten Sturmbrigaden der Nationalgarde anschlossen. Doch seit Mitte 2025 melden sich nur noch sehr wenige Menschen freiwillig für den Kampfeinsatz.
Im Februar 2025 startete die Armee ein neues Programm, das Freiwilligen zwischen 18 und 24 Jahren befristete, gut bezahlte Verträge anbot, aber nur wenige Tausend Menschen entschieden sich dafür. Im Allgemeinen haben sich diejenigen, die kämpfen wollten, bereits den Reihen angeschlossen. Es gibt nicht mehr viele Freiwillige.
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Ausländische Kämpfer: Kiew sucht nach Lösungen

Die Regierung in Kiew sucht natürlich ebenso wie Russland nach verschiedenen alternativen Lösungen. Die Einstellung von Ausländern ist ein Weg.
Die Ukraine hat eine separate Internationale Legion, die dem Territorialverteidigungskommando unterstellt ist. Dies ist der organisatorische Rahmen, in dem ausländische Kämpfer eingesetzt werden, die entscheiden, sich dem Kampf der Ukraine anzuschließen. Zu Beginn des Krieges schlossen sich Tausende westliche Staatsbürger an, vor allem Veteranen aus dem Irak, Afghanistan und anderen Kriegen.
Dreieinhalb Jahre später spielen südamerikanische Söldner, vor allem Kolumbianer, eine wichtige Rolle. Diese Profis schließen sich für Geld an und kämpfen sehr effizient, aber die meisten von ihnen bleiben nicht lange und suchen sich nach Ablauf ihres Vertrags andere Aufgaben.
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Begnadigungen für Straftäter

Die Ukraine hat auch die Praxis Russlands übernommen, Gefangenen den Dienst anzubieten. Verurteilte Straftäter, die wegen leichterer Delikte wie etwa Diebstahl oder Einbruch inhaftiert sind, können sich im Austausch gegen eine Begnadigung zum Militärdienst melden.
Derzeit dienen nach offiziellen Angaben knapp 10.000 ehemalige Häftlinge, darunter auch in Einheiten an der Front.
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Maßnahmen gegen Personalmangel reichen nicht aus

All diese Ersatzmaßnahmen können jedoch den Personalmangel nicht beheben. Während die Verluste geheim sind, ist aus öffentlich zugänglichen Informationen bekannt, dass die Ukraine monatlich etwa 27.000 bis 30.000 Männer mobilisieren und rekrutieren kann.
Dies reicht jedoch nicht aus, um die Verluste zu decken und die Ablösung der erschöpften Frontverbände sicherzustellen. Mittelfristig wird die Ukraine entweder das Mobilisierungsalter weiter senken müssen, oder sie bekommt die administrativen und reputationsbezogenen Probleme des Mobilisierungssystems in den Griff.
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