Demonstration der Jugend:Wie Madagaskars Gen Z den Präsidenten stürzte
von Verena Garrett und Marie Scholl
Ob Marokko, Madagaskar oder Nepal - weltweit geht die Generation Z aus Frust und Perspektivlosigkeit auf die Straße. In Madagaskar hat das jetzt zum Sturz des Präsidenten geführt.
In Afrika, Asien und Südamerika gehen junge Menschen auf die Straße. Vor allem die Generation Z demonstriert in Marokko, Madagaskar oder Nepal - was treibt sie an?
16.10.2025 | 2:11 minWenn Madagaskars junge Generation auf die Straße geht, dann tut sie das nicht still und leise - und schon gar nicht ohne Symbolik. Eines ihrer auffälligsten Zeichen ist ein Totenkopf mit gekreuzten Knochen - bekannt aus dem Kult-Anime One Piece.
One-Piece-Totenschädel als Maskottchen
Und dieser Totenschädel aus der Animationsserie trägt nicht einfach nur eine Piratenflagge zur Schau - er bekam einen traditionellen madagassischen Strohhut verpasst und steht nun als rebellisches Maskottchen für den Widerstand der Jugend des Landes.
Es geht ihnen um alles in ihrem Land: seit Wochen gehen sie zu Tausenden auf die Straße, protestieren gegen Vetternwirtschaft, Perspektivlosigkeit, Korruption. Der Staat im Indischen Ozean gehört zu den ärmsten Ländern der Welt.
Oft es die einzige Einnahmequelle für arme Familien: das gefährliche Schürfen nach Glimmer in den Minen Madagaskars. Etwa 15 Tausend Kinder zwischen fünf und 17 Jahren arbeiten dort.
17.09.2025 | 6:26 minProteste in Antananarivo: Kanister als Begleiter
Neben Manga -Ikonen symbolisiert noch etwas Anderes ihre Wut: gelbe Wasserkanister - sogenannte "jerrycans" - die sie bei ihren Protestmärschen in den Händen halten. Sie stehen für den alltäglichen Kampf um Wasser und Elektrizität.
Denn weil Madagaskars Hauptstadt Antananarivo in Dunkelheit versinkt und die Wasserhähne trocken bleiben, schleppen viele Familien täglich diese Kanister kilometerweit durch die Straßen.
Jetzt sind diese gelben Behälter zum Protestsymbol geworden - eine lautlose Forderung nach einer Regierung, die endlich liefert.
Generation Z umfasst Menschen, die etwa zwischen 1997 und 2012 geboren wurden. Im Jahr 2025 sind sie also etwa 13 bis 28 Jahre alt. Sie ist die erste Generation, die vollständig mit Smartphones, Internet und Social Media aufgewachsen ist - Plattformen wie TikTok und Instagram prägen ihren Alltag.
Wichtige Themen für Gen Z sind Klimaschutz, Diversität, mentale Gesundheit und soziale Gerechtigkeit. Im Berufsleben streben viele nach Work-Life-Balance, Sinnhaftigkeit und flexiblen Arbeitsmodellen.
Sie gilt als technikaffin, anpassungsfähig und engagiert, wird aber auch mit Vorurteilen, übermäßig digitale Medien zu konsumieren, konfrontiert.
Demonstanten beklagen Vetternwirtschaft und Korruption
Elie Rabarijaona ist 32 Jahre alt und gehört eigentlich eher zu den Millenials als zur Generation Z - auf die Straße geht er trotzdem. Der Frust der Jungen in Madagaskar sitzt tief, auch bei ihm: "Man muss jemanden bezahlen oder jemanden kennen, der jemanden kennt, um überhaupt einen Job zu bekommen", sagt er.
Einfach alles hier hat mit Vetternwirtschaft und Korruption zu tun.
Elie Rabarijaona, Protestierender in Madagaskar
Gebrochene Versprechen provozieren Zorn der Gen Z
Ob Marokko, Kenia, Madagaskar, Peru oder Nepal - in vielen Ländern der Welt fühlen sich junge Menschen abgehängt und von ihrer Regierung ignoriert. Sie sind frustriert, ihr Zorn treibt sie auf die Straße.
Die politischen Hintergründe unterscheiden sich, die Beweggründe sind die gleichen: Die Demonstranten weigern sich, gebrochene Versprechen ihrer Politiker hinzunehmen - in Asien, Afrika oder Südamerika. "Die Hilflosigkeit, das ist der Punkt, der alles miteinander verbindet", erklärt Elie Rabarijaona:
Wir werden nicht gefragt, wenn die Verantwortlichen Entscheidungen treffen. Und wenn wir versuchen, auf den Arbeitsmarkt zu kommen, haben wir keine Chance, weil der nicht für uns gemacht ist.
Elie Rabarijaona, Protestierender in Madagaskar
Auch junge Menschen in Nepal proben den Aufstand – gegen eine als korrupt empfundene Regierung und die Sperrung sozialer Medien.
17.09.2025 | 6:18 minSoziale Netzwerke als Bindeglied
Die Kommunikation der Gen Z findet fast ausschließlich über digitale Plattformen wie TikTok, Instagram, Telegram oder die Gaming-App Discord statt. Das verschiebt die Grenzen, sagt Micheline Ravololonarisoa, madagassische Feministin und Expertin für Entwicklungsfragen.
Die Rolle der sozialen Medien ist enorm. Da geht es nicht nur um Organisation, sondern auch um Informationsvermittlung und Austausch von Erlebtem und Wissen.
Micheline Ravololonarisoa, Expertin für Entwicklungsfragen
Persönliche Erfahrungen, die auf sozialen Medien geteilt würden, wüchsen an zu kollektiver Wut, sagt sie.
Durchschnittsalter in Madagaskar: 19 Jahre
Das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Madagaskar liegt bei 19 Jahren. Doch genau die Jungen, die den größten Teil der Bevölkerung stellen, sehen keine Zukunft und setzen jetzt auf ihr demographisches Gewicht.
Sie verlangen ein Ende hoher Arbeitslosigkeit und steigender Lebenshaltungskosten; sie wollen sauberes Trinkwasser, Strom, gute Bildung und Gesundheitsversorgung. Und Mitspracherecht.
Präsident Andry Rajoelina flieht wegen der Proteste
Ihre Wut, und auch ihr Mut, für eine bessere politische und wirtschaftliche Zukunft zu kämpfen, hat in Madagaskar zur Auflösung einer Regierung und der Flucht des Präsidenten Andry Rajoelina geführt.
Aber auch zu Tausenden Festnahmen, Hunderten Verletzten und Toten: Anfang Oktober wurden die Demonstrationen brutal durch Sicherheitskräfte niedergeschlagen, mindestens 22 Menschen sollen dabei gestorben sein.
Reaktion auf die wochenlangen Demonstrationen: Der madagassische Präsident Rajoelina hat Madagaskar am 13.10.2025 fluchtartig verlassen.
14.10.2025 | 0:24 minWie geht es weiter in Madagaskar?
"Die Flucht des Präsidenten ist nur der erste Schritt. Von allen, die seit der Unabhängigkeit - also seit 1960 - an die Macht gekommen sind, war er wahrscheinlich derjenige mit den größten Defiziten, was das Verständnis für die Bedürfnisse seiner Bevölkerung angeht," erklärt Micheline Ravololonarisoa. Es funktioniere einfach nichts, meint sie - und:
Der extreme Frust stärkt diese Jugend und mobilisiert sie. Dadurch haben sie wirklich Macht.
Micheline Ravololonarisoa, Expertin für Entwicklungsfragen
Anfang der Woche hat das Militär die Macht in Madagaskar übernommen. Es hatte 2009 dafür gesorgt, dass der jetzt geflohene Präsident an die Macht kam. Nun ist es auf die Seite der Demonstranten gewechselt. Doch noch ist völlig unklar, wie es in dem Inselstaat weitergeht.
Verena Garrett berichtet als ZDF-Korrespondentin aus den Ländern des südlichen Afrika.
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