Osteuropa-Expertin zu US-Friedensplan:Ukraine-Verhandlungen: "Europa hat viele Chancen verpasst"
"Man ist in Europa immer einen Schritt hinterher", meint Politologin Gwendolyn Sasse über die Ukraine-Politik. Doch es gebe noch eine Chance, um an den Verhandlungstisch zu kommen.
Den sogenannten US-Friedensplan für die Ukraine bezeichnen deutsche Außenpolitiker als Kapitulationsplan. Er würde Russland belohnen und eine neue Weltordnung etablieren.
09.12.2025 | 8:25 minZDFheute: US-Präsident Donald Trump will ein rasches Ende des Ukraine-Krieges erreichen und hatte dafür einen Friedensplan entwerfen lassen - von zwei Trump-Vertrauten unter Mitarbeit eines russischen Gesandten. Man hatte das Gefühl, Europa wurde übergangen. Warum?
Gwendolyn Sasse: Europa ist sowohl aus amerikanischer Sicht als auch aus russischer Sicht unerwünscht bei diesen Verhandlungen. Es existiert eine Schnittmenge an Interessen zwischen den USA und Russland. Europa kommt hier schlicht gesagt nicht vor.
Auf der anderen Seite hat Europa viele Chancen verpasst, die Mitgliedsländer sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt und es ist keine wirkliche Einheit zu erkennen. So kann Europa kein Gegengewicht in diesem Spiel zwischen den USA und Russland bilden.
... ist die Wissenschaftliche Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin. Zudem ist sie Professorin für Vergleichende Demokratie- und Autoritarismusforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin.
ZDFheute: Welche Chancen meinen Sie genau? Was hätte Europa besser machen können?
Sasse: Es ist Europa nicht gelungen, die Ukraine über militärische und finanzielle Unterstützung in eine bessere Verhandlungsposition zu bringen. In einer solchen könnten sie mit Russland auf Augenhöhe verhandeln.
Die Europäische Union hat es nicht geschafft, rascher Sanktionen umzusetzen. So hätte man Russland noch größere Schwierigkeiten bereiten können. Man ist in Europa immer einen Schritt hinterher. Man wartet eigentlich fast auf das Momentum aus den USA.
ZDFheute: Ist das auch ein Muster, dass sich noch durch die heutige Politik zieht oder hat Europa aus seinen Fehlern gelernt?
Sasse: Nein, die Europäische Union hat zum Beispiel zu viel Zeit verstreichen lassen, die eingefrorenen russischen Vermögenswerte wirklich zu nutzen. Das Geld wird jetzt sehr dringend gebraucht, weil auch vielen EU-Ländern die finanziellen Mittel ausgehen, um die Ukraine kurz- und langfristig weiter zu unterstützen.
Nach den Gesprächen zwischen Russland und den USA zur Ukraine fühlt sich Europa übergangen. Dabei haben sie selbst Chancen verstreichen lassen, mehr Druck auf Putin auszuüben.
09.12.2025 | 2:22 minZDFheute: Das Verwenden der russischen Vermögenswerte zur Unterstützung der Ukraine ist etwas, das die Amerikaner schon länger planen. Am 18. Dezember tagt der Europäische Rat. Sollte sich die EU hier darauf einigen, diese Finanzmittel einzusetzen, oder ist es dann schon zu spät?
Sasse: Wenn eine Einigung kommt, kommt sie eigentlich zu spät. Aber das ist bei den Europäern leider häufiger der Fall gewesen. Trotzdem käme sie in der Hinsicht noch rechtzeitig, dass sie vielleicht eine andere Art der Abmachung zwischen den USA und Russland über diese Gelder verhindern könnte. Und sie kommt dann auch eventuell genau richtig, um zu signalisieren, dass Europa handlungsfähig ist. Dass die USA und Russland nicht einfach über die EU hinweg entscheiden können.
ZDFheute: Und was kommt nach dem Signal? Wie schafft es Europa wieder zurück an den Verhandlungstisch zu kommen?
Sasse: Bestenfalls formuliert Europa einen eigenen Ansatz. Man könnte ihn auch ganz mutig den europäischen Friedensplan nennen. Der sollte lediglich wenige zentrale Punkte enthalten, vielleicht ein Fünf-Punkte-Plan. Mit diesem muss man versuchen, in diese Verhandlungen hineinzukommen. Und da muss es dann vor allem um Territorium, aber insbesondere auch um die Sicherheitsgarantien gehen.
Waffenstillstand ist in der Ukraine wieder Thema geworden - alles wegen eines Politico-Interviews mit Donald Trump. Ein wichtiger Streitpunkt sind mögliche Neuwahlen.
11.12.2025 | 2:06 minZDFheute: Fragen, bei denen Europa zumindest aktuell außen vor ist. Wie müssen die Europäer denn darauf reagieren, dass sie von den USA übergangen werden?
Sasse: Man muss natürlich versuchen, weiterhin die USA in der Nato zu halten und sich auch um diese Beziehungen bemühen. Aber man kann sich nicht zu sehr verrenken und jedes Mal auf ein neues Momentum aus den USA warten und dann Schadensbegrenzung betreiben.
ZDFheute: Wie blicken Sie denn auf die aktuell laufenden US-Verhandlungen zu einem möglichen Frieden?
Sasse: Wir sollten vorsichtig sein mit dem Begriff Friedensverhandlungen, bisher sehen wir so etwas nicht. Es laufen eine Reihe von Vorgesprächen mit verschiedenen Personen und an verschiedenen Orten. Diese verschiedenen Stränge verbinden sich noch nicht. Wirkliche Friedensverhandlungen müssten mit einem Waffenstillstand losgehen. Aber die Ukraine wird Tag und Nacht bombardiert und angegriffen.
"Organisierte Wahlen sind momentan nur schwer abhaltbar", bewertet der EVP-Vorsitzende im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), die Aussagen von US-Präsident Trump zu Wahlen in der angegriffenen Ukraine.
11.12.2025 | 6:19 minZDFheute: Wenn es keine Friedensverhandlungen sind, worum geht es dann in den Gesprächen?
Sasse: Die Gespräche werden von zwei Menschen geführt, die aus der Wirtschaft kommen und die offensichtlich nicht nur enge Vertraute von Donald Trump sind, sondern auch sein transaktionales Verständnis von Verhandlungen teilen. Daraus können wir ablesen: Es geht vor allem um Stabilität und wirtschaftliche Beziehungen. Etwas zynisch gesprochen: Krieg und Wiederaufbau sind auch ein Geschäft.
ZDFheute: Die USA ignorieren Europa neuerdings, Russland tut es sowieso. Was bedeutet das?
Sasse: Man sieht daran vor allem, dass die USA und Russland sowohl über Europa als auch über die globale Ordnung ähnlich nachdenken. Sie sehen die Europäer als einen Störenfried. Etwas, das die Balance der Großmächte stört. Deshalb versuchen sie die Europäer zu untergraben. Das verheißt nichts Gutes für die Ukraine und auch nicht für Europa.
Das Interview für die Redaktion ZDF frontal führte Joachim Bartz, aufbereitet hat es Anton Reckmann.
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