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Anita Lasker-Wallfisch:Die "Cellistin von Auschwitz" wird 100
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Ihr Cello-Spiel im Konzentrationslager rettete Anita Lasker-Wallfisch das Leben. Eine der bekanntesten Zeitzeuginnen des Holocaust wird heute 100 Jahre alt.
Die Holocaust-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch feiert am Donnerstag ihren 100. Geburtstag. (Archivbild)
Quelle: dpa
Die Schoah-Überlebende und Cellistin Anita Lasker-Wallfisch wird 100 Jahre alt. Sie ist eine der nur noch wenigen Überlebenden des NS-Regimes und gehört zu den bekanntesten Zeitzeuginnen. Lasker-Wallfisch wurde als "Cellistin von Auschwitz" bekannt, da ihr das Cello-Spiel das Überleben in dem Konzentrationslager ermöglichte. Seit 1994 reiste sie wiederholt durch Deutschland, um über ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg zu sprechen.
Größere Bekanntheit erlangte sie auch mit ihrer Rede vor dem Bundestag am 27. Januar 2018 zum 73. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.
Man kann es der heutigen Generation nicht verübeln, dass sie sich nicht mehr mit den Verbrechen identifizieren will. Aber ein Leugnen darf nicht sein.
Anita Lasker-Wallfisch, Holocaustüberlebende, am 27.1.2018 im Bundestag
Lasker-Wallfisch: 100. Geburtstag ist eine Zahl mehr
"Belsen Camp, 16. Juli 1945" steht über einem Brief, drei Monate nach der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Anita schreibt darin an ihre Schwester Marianne vor ihrem 20. Geburtstag: "Heute ist mein letzter Tag 19. Nun werde ich nie wieder eine 1 als erste Zahl haben (falls ich nicht 100 Jahre alt werde), und ich bin eigentlich sehr unglücklich darüber, denn ich bin nun eigentlich schon rechtschaffen alt."
Die zweite "1" hat Anita Lasker-Wallfisch nun doch erreicht: Über ihren Geburtstag sagte sie Mitte Juni der "Süddeutschen Zeitung", das sei keine große Sache, eine Zahl, mehr nicht.
Befreiung von Bergen-Belsen im April 1945
Am 15. April 1945 befreiten britische Truppen die Überlebenden aus der Hölle von Bergen-Belsen. Unter ihnen waren Anita Lasker und ihre Schwester Renate, Marianne harrte in Großbritannien aus. Die Eltern überlebten nicht. In ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag sagte sie 2018:
In Auschwitz - es ist kaum zu glauben - gab es Musik, und es wurde dringend jemand gebraucht, der Cello spielt,
Anita Lasker-Wallfisch, Holocaustüberlebende
Und sie fügte an:
Wir konnten alles sehen: die Ankunftszeremonien, die Selektionen, die Kolonnen von Menschen, die Richtung Gaskammer gingen und in Rauch verwandelt wurden.
Anita Lasker-Wallfisch, Holocaustüberlebende
Orchestergründung in London
Im November 1944 waren die Schwestern ins Konzentrationslager Bergen-Belsen gebracht worden. "Auschwitz war ein Lager, in dem man Menschen systematisch ermordete", schrieb Lasker-Wallfisch später: "In Belsen krepierte man einfach." Sie und Renate überlebten trotz Hunger, Durst und Seuchen, die sich unter den katastrophalen hygienischen Verhältnissen ausbreiteten - auch weil beide einander Halt gaben
Ihre Erinnerungen hat sie in dem Buch "Ihr sollt die Wahrheit erben. Die Cellistin von Auschwitz" zusammengefasst.
Nach Mühen und Umwegen erreichten Anita und und Renate Lasker Großbritannien 1946, wo Verwandte lebten. In London gründete Anita das English Chamber Orchestra mit und spielte dort lange als Cellistin. Sie heiratete den Pianisten Peter Wallfisch, bekam ihre Kinder Raphael - ebenfalls ein Cellist - und Maya.
Erinnern für Schüler in Deutschland
Ihre Erinnerungen an die Lager hatte Lasker-Wallfisch erst nur für ihre Kinder und Enkel aufgeschrieben, woraus schließlich das Buch wurde. Ihre Tochter, eine Psychoanalytikerin, beschreibt in einem anderen Buch "Briefe nach Breslau" eindrucksvoll, wie Traumata von Überlebenden oft an Nachkommen weitergegeben werden.
Anita Lasker-Wallfisch reiste immer wieder durch Deutschland, um über ihre Erlebnisse zu sprechen - auch in Schulen, was ihr immer wichtig war. Sie ist darüber hinaus in dem Dokumentarfilm "Der Schatten des Kommandanten" in einer außergewöhnlichen Begegnung zu sehen: Zusammen mit ihrer Tochter trifft sie Hans-Jürgen Höss und dessen Sohn Kai - Sohn und Enkel von Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz.
Antisemitismus als "2.000 Jahre altes Virus"
Lasker-Wallfisch nannte Antisemitismus einen "2.000 Jahre alten Virus", der "anscheinend unheilbar ist". Für 2024 meldete das Bundeskriminalamt zuletzt bei den antisemitischen Straftaten in Deutschland einen neuen Höchststand: eine Steigerung um knapp 21 Prozent auf rund 6.200. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte sie zu ihrem 100. Geburtstag: "Der Antisemitismus ist heute stärker, als er es jemals war. Die Situation ist schrecklich."
Anlässlich ihres 100. Geburtstags wird Lasker-Wallfisch unter anderem mit einem öffentlichen Konzert in der Londoner Wigmore Hall geehrt. Ihre Tochter Maya wird die Veranstaltung moderieren. Unter den Aufführenden sind ihr Sohn, ihre Schwiegertochter und Enkelkinder. Auf die Frage nach ihrer Heimat sagte sie einmal: Sie sei froh, Musikerin gewesen zu sein. "Du gehörst zu einer anderen Welt als Musikerin."
Quelle: KNA, epd
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