Margot Friedländer: Gedenkfeier für Holocaust-Überlebende

Gedenken an Holocaust-Überlebende:Steinmeier: Friedländer "zog alle in ihren Bann"

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Margot Friedländer überlebte die Schoah. Bis zu ihrem Tod engagierte sie sich gegen Antisemitismus und Ausgrenzung. Nun wurde sie mit einer Gedenkfeier geehrt.

Blumen und Kerzen werden vor dem Haus von Margot Friedländer gelegt
Für die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer fand in Berlin eine Gedenkfeier statt.
Quelle: epa

In Berlin ist die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer mit einer Gedenkfeier geehrt worden. Bei der von ihrer Stiftung ausgerichteten Veranstaltung in der Philharmonie würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Schirmherr der Stiftung, mit sehr persönlichen Worten das Leben und das Vermächtnis Friedländers.

Es ist an uns, in ihrem Sinne weiterzuarbeiten - und zu kämpfen für Toleranz, für Demokratie und für Menschlichkeit.

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

Zu der Gedenkfeier waren unter anderem auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner und Altkanzler Olaf Scholz eingeladen. Friedländer war am 9. Mai im Alter von 103 Jahren in Berlin gestorben. "Ein Gefühl der Leere begleitet uns seit ihrem Tod, seit dem 9. Mai. Sie fehlt uns. Wir vermissen sie", sagte Steinmeier.

Friedländer 1944 ins KZ Theresienstadt deportiert

Margot Friedländer stammte aus einer jüdischen Familie. 1944 wurde sie von den Nationalsozialisten ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, das im Mai 1945 befreit wurde. Sie überlebte als Einzige ihrer direkten Familie die Schoah. Ihr jüngerer Bruder Ralph und ihre Mutter Auguste Bendheim wurden 1943 in Auschwitz ermordet, ihr Vater Arthur und ihre Tante Lina bereits 1942.
Nach der Befreiung ging sie mit ihrem Mann Adolf Friedländer ins Exil in die USA. "Wir hatten beide dasselbe erlebt, wir hatten beide dieselben Schmerzen, wir brauchten nicht darüber zu sprechen", erzählte sie später. Ihr Mann starb 1997.

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Friedländer: "Ich spreche für die, die es nicht geschafft haben"

Nach mehr als sechs Jahrzehnten in New York kehrte sie im Alter von 88 Jahren schließlich in ihre Heimat Berlin zurück. Seither sprach sie auf unzähligen Veranstaltungen über ihr Leben. Tausenden von Schülerinnen und Schülern erzählte sie von ihren Erfahrungen im NS-Deutschland und ihrem Kampf um das Überleben.
Ihre Mission, so formulierte sie immer wieder, sei das Weitergeben ihrer Geschichte insbesondere an junge Menschen. "Ich spreche für die, die es nicht geschafft haben", betonte sie dabei.

Was ich jetzt mache, ist für die Jugend. Sie soll wissen: Was war, das können wir nicht mehr ändern, aber es darf nie wieder geschehen.

Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende

Den zunehmenden Antisemitismus, das Erstarken des Rechtsextremismus, beobachtete sie mit Sorge. Die Angst, die viele Jüdinnen und Juden heute wieder empfinden, könne sie verstehen, sagte sie in einem Interview: "So hat es damals auch angefangen. Doch weil wir ja sehr jung waren, haben wir es nicht geglaubt." Sie appellierte, sich für alle einzusetzen, denen Unrecht widerfährt: "Seid Menschen!"

Stiftung will Aufklärungsarbeit weiterführen

Die Margot Friedländer Stiftung würdigte die Holocaust-Überlebende als "Brückenbauerin". Gegenüber ZDFheute erklärt sie: "Sie hat den Schülerinnen und Schülern, denen sie ihre Lebensgeschichte erzählte, immer zuerst das Schuldgefühl genommen und deutlich gemacht, dass sie nicht für die Verbrechen ihrer Urgroßeltern und Großeltern verantwortlich sind. Sie hat aber auch jedem Einzelnen von uns die Verantwortung übertragen, dass sich diese Verbrechen nicht wiederholen dürfen."

Es ist unsere Aufgabe als Stiftung, die Aufklärungsarbeit und die Werte unserer Stifterin weiter an Schulen und in die Gesellschaft zu tragen.

Margot Friedländer Stiftung

Steinmeier: Friedländer zog alle in ihren Bann

"Jedes Zusammentreffen mit ihr war etwas ganz Besonderes", erzählte Steinmeier. "Es war ein Glück, mit ihr zu sprechen. Sie verfügte über eine Strahlkraft, die jeden Raum erfüllte. Mit ihrer Zugewandtheit, mit ihrer großen Liebe zu den Menschen, ihrer Güte zog sie alle in ihren Bann - ob jung oder alt."
Dabei sei ihr Schicksal ungeheuerlich und unfassbar gewesen, fuhr Steinmeier fort. Sie habe dies nicht erzählt, um zu erschrecken, auch nicht aus Bitterkeit.

Sie wollte uns bewahren, davor bewahren, dass solch ein Menschheitsverbrechen wieder geschieht.

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

Die Veränderungen in der Gesellschaft hätten sie in ihren letzten Lebensjahren beunruhigt, so etwa das Erstarken von Extremismus und Antisemitismus. Ihre Warnung "So hat es ja damals auch angefangen" bleibe.

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Interview
Für ihr Engagement erhielt Friedländer zahlreiche Auszeichnungen. 2011 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz überreicht. "Sie haben eine versöhnungsbereite Hand ausgestreckt, auf die niemand einen Anspruch hat", sagte der damalige Bundespräsident Christian Wulff. Berlin machte sie zur Ehrenbürgerin.

Antisemitismus-Beauftragter: Friedländer "gütige und mitreißende Frau"

Anlässlich der Gedenkfeier erklärte Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, gegenüber ZDFheute:

Die Bedeutung von Margot Friedländer für die Erinnerung an den Holocaust kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung

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"Mit ihrer offenen und berührenden Art und ihrer klaren Botschaft 'seid Menschen' hat sie vielen, vor allem auch in der jüngeren Generation, unermüdlich vermittelt, wie wichtig dieses Thema für die Verteidigung unserer Demokratie heute ist", so Klein.

Ich behalte Margot Friedländer als eine offene, gütige und mitreißende Frau in Erinnerung, deren Charisma sich niemand entziehen konnte.

Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung

Er habe das Glück gehabt, ihr oft zu begegnen.

Zentralrat der Juden: Friedländer hat "Menschsein zu ihrem Anliegen gemacht"

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, der ebenfalls Gast auf der Gedenkfeier für Friedländer ist, erklärte auf ZDFheute-Anfrage: "Margot Friedländer hat das Menschsein zu ihrem zentralen Anliegen gemacht."
Sie sei nicht nur eine "mahnende Stimme unserer Zeit", sondern habe auch die Gabe besessen, "stets das Beste in ihrem Gegenüber zu sehen". "Margot Friedländer hat den Glauben an eine gerechte, friedliche Welt niemals aufgegeben. Ehren wir sie, indem wir diesen Glauben weitertragen", forderte Schuster.
Quelle: KNA, AFP, dpa, epd, ZDF

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