Holocaust-Gedenken: Marsch der Lebenden gegen Gleichgültigkeit
Interview
Marsch der Lebenden in Auschwitz:Holocaust: "Gefahr der Gleichgültigkeit"
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Jüdinnen und Juden erinnern in Auschwitz an Holocaust-Opfer. Was sind heute die Botschaften und Gefahren? Das erklärt Christoph Heubner aus dem Internationalen Auschwitz Komitee.
Am Holocaust-Gedenktag gedenkt man in Auschwitz den Opfern der deutschen Gräueltaten mit dem „Marsch der Lebenden“, angeführt von den Staatspräsidenten Polens und Israels.24.04.2025 | 2:03 min
Mehr als eine Million Menschen wurden im deutschen Konzentrationslager Auschwitz von den Nationalsozialisten ermordet, größtenteils Juden. Im Januar 1945 wurde das KZ von Soldaten der Roten Armee befreit.
Beim Marsch der Lebenden kommen am israelischen Holocaust-Gedenktag jährlich Menschen zusammen, um den Opfern der Gräueltaten zu gedenken. In diesem Jahr sind auch freigelassene Geiseln aus Israel dabei, die von der Hamas zuvor verschleppt worden waren. Beim sogenannten Marsch der Lebenden ziehen sie von Auschwitz zum Vernichtungslager Birkenau.
Christoph Heubner vom Internationalen Auschwitz Komitee (IAK) erklärt im Gespräch mit ZDFheute, wieso das Erinnern so wichtig ist wie eh und je.
Der Name Auschwitz steht wie kein anderer für die Verbrechen der Nationalsozialisten. 80 Jahre nach der Befreiung gedenken Tausende beim Marsch der Lebenden den Opfern.24.04.2025 | 1:46 min
ZDFheute: Heute findet im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Auschwitz der Marsch der Lebenden statt. Welche Botschaft soll von diesem Marsch ausgehen?
Christoph Heubner: Das ist eine Botschaft der Erinnerung, des Schmerzes und der Lebensfreude. Trotz der Millionen ermordeten jüdischen Menschen: Das jüdische Volk lebt.
Die Nazis wurden besiegt, ihre totalen Vernichtungspläne sind gescheitert.
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Christoph Heubner, Internationales Auschwitz Komitee (IAK)
Das demonstrieren die jüdischen und nicht-jüdischen Menschen aus aller Welt, die heute gemeinsam in Auschwitz sind. Aber sie kommen auch, weil sie wissen, dass die Ideologie der Nazis und der SS gerade jetzt neue Anhänger findet und ihre Wachsamkeit gebraucht wird.
80 Jahre nach der Befreiung des KZ Buchenwald und in Zeiten des Rechtspopulismus mahnen die letzten Zeitzeugen: Das Gedenken an den Holocaust muss aufrecht erhalten werden.06.04.2025 | 3:02 min
ZDFheute: Es werden immer weniger Überlebende, die über das Grauen von Auschwitz berichten können. Besteht die Gefahr des Vergessens?
Heubner: Es besteht die Gefahr des Vergessens, es besteht die Gefahr der Gleichgültigkeit.
Es besteht die Realität der Verherrlichung von Auschwitz.
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Christoph Heubner, Internationales Auschwitz Komitee (IAK)
Für die neuen Nazis ist die Arbeit noch nicht zu Ende gebracht, auch wenn sie so tun, als hätte ihre Ideologie mit Auschwitz nichts zu tun und Auschwitz ginge sie nichts an.
Gerade sie fordern immer wieder das Ende des sogenannten "Schuldkults", sie denunzieren das Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" und jede Lehrerin und jeder Lehrer, die mit ihrer Schulklasse in die Gedenkstätte nach Auschwitz fahren, sind ihnen ebenso ein Dorn im Auge wie die Gedenkstätten in Deutschland und deren pädagogische Arbeit. Deshalb an dieser Stelle ein großer Dank an alle, die mit ihren Klassen Gedenkstättenfahrten durchführen und an all jene, die diese Fahrten finanziell unterstützen.
Am 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau im Januar erinnerten die verbliebenen Zeitzeugen an die Shoa und den Terror der Nazis. Und warnten eindringlich.27.01.2025 | 2:41 min
Heubner: Marian Turski hat, wie viele andere Überlebende auch, das Erstarken des Antisemitismus mit Empörung und zunehmender Besorgnis beobachtet. Ihm war bewusst, dass jüdischen Menschen an vielen Ecken und Enden dieser Welt erneut Gefahr droht.
... ist geschäftsführender Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees (IAK). Ende der 90er-Jahre erhielt er für sein Engagement in der Holocaust-Aufklärung das Kavalierskreuz der Republik Polen, 2002 das deutsche Bundesverdienstkreuz am Bande sowie weitere Auszeichnungen.
Er hat auch beschrieben, wie Auschwitz entstanden ist und wie und wo Auschwitz begonnen hat: an jedem Ort, wo jüdische Menschen ausgegrenzt, verhöhnt und gedemütigt wurden und die Mehrheit der Mitmenschen dies begeistert oder gleichgültig beobachtet hat. Und was sagen wir heute, wenn ein Dachdecker im heimischen Amtsblatt inseriert, dass für den Ausbildungsplatz bei ihm "Hakennasen" und "Bimbos" nicht infrage kommen?
Die Gedenkstätte Auschwitz macht das Ausmaß des nationalsozialistischen Massenmords sichtbar. Fast allen Besuchern geht es ähnlich: Je mehr sie sehen, desto schweigsamer werden sie.27.01.2025 | 4:07 min
ZDFheute: Der Angriff auf Israel am 7. Oktober und der Krieg in Nahost jetzt: Spüren Juden weltweit steigenden Antisemitismus?
Heubner: Der 7. Oktober hat für alle Menschen, die es sehen wollen, deutlich gemacht, worum es der Hamas geht: um die Auslöschung Israels und die Ermordung aller jüdischen Menschen auf diesem Flecken Erde.
Die Täter haben ihre Taten gefilmt und die Filme ins Netz gestellt. Bei all ihren Gewalttaten missbraucht und betrügt die Hamas zudem das eigene Volk. Die Holocaust-Überlebenden, die nach ihrer Befreiung in Israel eine neue Heimat gefunden haben, wollten in Frieden mit den Palästinensern leben. Sie hatten selber genug Hass und Gewalt erfahren.
Dass nach dem 7. Oktober der Hass gegen Israel und gegen jüdische Menschen eine noch grenzenlosere Intensität erfährt, erleben Jüdinnen und Juden tagtäglich.
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Christoph Heubner, Internationales Auschwitz Komitee (IAK)
Nach dem Angriff auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira in Berlin ist ein 24-Jähriger zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sah eine antisemitische Motivation.
mit Video
ZDFheute: Worauf sollten wir achten, Tag für Tag bei diesem Thema?
Heubner: Wir sollten auf uns achten. Der Antisemitismus richtet sich nicht nur gegen die jüdischen Menschen, sondern er zerstört auf Dauer jede demokratische Gesellschaft und ihre Institutionen.
Die Sprache verroht, menschliches Miteinander und Empathie gehen verloren.
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Christoph Heubner, Internationales Auschwitz Komitee (IAK)
Der Antisemitismus kennt keine Grenzen. Er hat alle Minderheiten im Blick. Das sollten wir uns jeden Tag vor Augen führen: Es geht auch um uns und um die Zukunft der künftigen Generationen.
Das Interview führte Natalie Steger, ZDF-Korrespondentin im Auslandsstudio Warschau.
Quelle: dpa
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