Holocaust: Überlebender Jack Offen im Interview über die Shoah

Interview

Holocaust-Überlebender berichtet:"Suche nach der Geschichte meines Überlebens"

|

Als Vater und Schwester deportiert werden, bringt die Mutter ihn in Sicherheit. Jack Offen wächst behütet auf, sieht sich nicht als Überlebender. Bis er über sein Leben spricht.

Jack Offen steht als Kind nach Kriegsende vor einem Baum.
Jack Offen wuchs während des Zweiten Weltkriegs unter falschem Namen in einer belgischen Adoptivfamilie auf.
Quelle: ZDF

ZDFheute: Wie erinnern Sie sich an ihre Kindheit während des Holocausts?
Jack Offen: Ich wurde 1939 in Antwerpen geboren, wo meine Eltern lebten. 1942 wurden mein Vater und meine ältere Schwester ins Durchgangslager Malin gebracht und von dort nach Auschwitz, von wo sie nie zurückkamen. Als sie weggebracht wurden, entschied meine Mutter, dass wir uns verstecken müssen. Mit Hilfe des belgischen Widerstands gingen wir in ein Kloster. Ich war damals drei Jahre alt.
80. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau
Vor 80 Jahren wurde das Konzentrationslager Dachau befreit. An der Gedenkfeier nahmen neben Überlebenden auch Befreier teil - und appellieren, das Geschehene nie zu vergessen.04.05.2025 | 2:52 min
ZDFheute: Warum sind Sie dort nicht geblieben?
Offen: Aus einem einfachen Grund.

Wenn man eine Familie mit vier Kindern und einer Mutter in ein Kloster bringt, wissen sie sofort, dass sie jüdisch sind.

Jack Offen

Also entschieden sie, jedem von uns eine andere Identität zu geben.

Sie sagten mir, als dreijährigem Kind, dein Name ist nicht mehr Jack Offen, sondern Jean Ballet.

Jack Offen

Ein Priester brachte mich zu einer Familie in einer kleinen Stadt namens Fosses la Ville. Dort war ich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges bei der Familie Colin versteckt. Meine Mutter blieb bis zum Ende des Krieges als Köchin im Kloster.
 Kränze sind im Rahmen der Gedenkwoche zum 80. Jahrestag des Kriegsendes vor dem Eingang zum Haus Schulenburgring 2 aufgestellt.
Berlin kapitulierte genau heute vor 80 Jahren vor der Roten Armee. Die Ausstellung "Endlich Frieden?!" vor dem Brandenburger Tor erinnert an das Ende des zweiten Weltkriegs.02.05.2025 | 1:32 min
ZDFheute: Wann kamen Sie nach Israel?
Offen: Ich kam 1959 nach Israel. Als belgischer Staatsbürger musste ich dort Militärdienst leisten. Sobald ich meinen Dienst beendet hatte, kam ich nach Israel.
ZDFheute: Können Sie kurz erklären, wann Ihnen bewusst wurde, dass Sie ein Holocaust-Überlebender sind und was das bedeutet?
Offen: Ich wurde mir dessen bewusst, als ein Freund von mir, der Schulleiter war, mich bat, in der Schule zu sprechen. Ich war damals etwa 50 Jahre alt, verheiratet und hatte Kinder.

Ich sagte, ich habe nichts zu erzählen. Ich war ein glückliches Kind während des Krieges, ich war in einer Familie, die mich sehr liebte.

Jack Offen

Jack Offen 1943 auf einer Wiese.
Jack Offen, seine Schwester und ein Soldat stehen nach Kriegsende zusammen.
Jack Offen mit seiner neuen Adoptivschwester vor dessen Wohnung in Voslavil.
Jack Offen steht als Kind nach Kriegsende vor einem Baum.
Jack Offen sitzt im Garten

Jack Offen 1943

Bis zu seinem Schlüsselmoment erinnerte Jack sich ausschließlich glücklich und liebevoll an seine Kindheit in der Adoptivfamilie zurück.

Quelle: ZDF


Dann sagte er mir, was auch immer du zu erzählen hast, erzähl es mir. Ich sagte ihm, ich kann etwa eine halbe Stunde sprechen, mit den Fragen hast du vielleicht noch weitere 15 Minuten. Das ist alles. Als ich in die Schule kam, stellte er mich in eine Turnhalle, wo etwa 150 Kinder waren, und ich bekam Panik. Was soll ich ihnen erzählen?
Also nahm ich meine Uhr ab, um sicherzustellen, dass ich meine halbe Stunde spreche, und begann meine Geschichte zu erzählen: Wann ich geboren wurde, wer meine Familie war, was mir während des Krieges passiert ist. Dann schaute ich auf meine Uhr und stellte fest, dass ich anderthalb Stunden gesprochen hatte.

Aber das Schlimmste war, dass ich die Lehrer weinen sah. Also fragte ich sie, was ist los? Sie sagten, hast du gehört, was du uns erzählt hast?

Jack Offen

So machte es Klick, und ich erkannte, dass ich ein Überlebender war. Seitdem suche ich nach der Geschichte meines Überlebens.
Die sowjetische Flagge wird auf der Ruine des Reichstages geschwenkt
Am 25. April 1945 ist die Hauptstadt Berlin von sowjetischen Truppen eingekesselt. Zwei Wochen später kapituliert die Wehrmacht. Eine grafische Chronologie zu den Ereignissen.29.04.2025 | 1:29 min
ZDFheute: Was denken Sie jetzt darüber, wenn Sie die Welt heute sehen, was in der Welt vor sich geht?
Offen: Es ist eine sehr schwierige Frage, um ehrlich zu sein.

Ich habe das Gefühl, dass die Welt nichts aus der Shoah gelernt hat.

Jack Offen

Es passieren immer noch Morde, es gibt immer noch Hass, es gibt immer noch Verfolgungen, die definitiv nicht notwendig sind. Und es tut mir sehr weh.
Gedenkstätte
Jahrestag einer der letzten großen Schlachten des Zweiten Weltkriegs in Deutschland, mit Sieg der Sowjetarmee. Das Gedenken steht aktuell zwischen gemeinsamer Erinnerung und dem Ukraine-Krieg.16.04.2025 | 2:37 min
ZDFheute: Was wünschen Sie Ihren Enkeln und Urenkeln?
Offen: Schauen Sie, als ich in der Armee war, sagte ich, ich werde der Letzte sein, der in die Armee geht. In der Zwischenzeit sind meine Enkel immer noch in der Armee, und das stört mich. Ich weiß, wir haben keine andere Möglichkeit. Ich weiß, dass es notwendig ist. Und trotzdem tut es mir leid, dass es so sein muss.
Das Interview hat Alon Caspi geführt.

"Auschwitz-Lüge" ist strafbar
:Holocaust-Leugnung: Wo Meinungsfreiheit endet

Vor 40 Jahren verschärfte der Deutsche Bundestag das Gesetz gegen die sogenannte Auschwitz-Lüge. Wer darf was wie sagen? Eine damals wie heute umstrittene Frage.
von Daniel Heymann
KZ Auschwitz-Birkenau - Die Öfen von Krematorium II. Etwa nach vier bis fünf Stunden war das Krematorium für die nächsten 2000 bis 3000 Menschen bereit.
mit Video

Mehr zum Holocaust