Wird Italiens neuer Nationaltrainer Gattuso den WM-Fluch beenden?

Neuer Nationaltrainer:Wird Gattuso Italiens WM-Fluch beenden?

von Claudio Palmieri, Bergamo
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Zweimal hat Italien zuletzt die WM verpasst. Nun soll Gennaro Gattuso den Spuk beenden. Doch dafür muss der neue Nationaltrainer mit seiner Mannschaft eine Aufholjagd starten.

Gennaro Gattuso deutet mit dem Zeigefinger der rechten Hand beim Training die Richtung an

Am Freitag mit Italien gegen Estland: Der neue Nationaltrainer Gennaro Gattuso.

Quelle: Imago / Gribaudi / ImagePhoto

Ein "Knurrer" ist Italiens neuer Nationaltrainer Gennaro Gattuso nach wie vor. Wenn "Ringhio" - so lautete sein Spitzname als Spieler - vor dem dritten WM-Qualifikationsmatch der Azzurri gegen Estland am Freitag (20:45 Uhr/Zusammenfassung im ZDF-Streamingportal) seine raue Stimme auf dem Trainingsplatz erhebt, wird eines noch immer deutlich: Diesen Mann will niemand gegen sich haben.

So in etwa lautete im Land des viermaligen Weltmeisters auch der Tenor nach Gattusos Verpflichtung als Nachfolger des entlassenen Luciano Spalletti. Endlich einer, der den verwöhnten Bengeln einbläut, was es heißt, für Italien zu spielen.

Wer, wenn nicht "Ringhio", der einst zum Inbegriff des "Aggressive Leaders" wurde und beim WM-Triumph 2006 die personifizierte Grätsche der Nation war, könnte das glaubhafter tun?

Norwegens Erling Haaland jubelt nach dem Spiel gegen Italien am 06.06.2025.

Bei der Squadra Azzurra stimmt im ersten Spiel der WM-Qualifikation gar nichts. Beim herben 0:3 in Norwegen sind die Gäste mit dem Ergebnis noch gut bedient.

07.06.2025 | 1:33 min

Gattusos Debüt im ausverkauften Stadion von Bergamo wird eine erste Antwort darauf liefern. Fakt ist: Nach der 0:3-Packung in Norwegen, die Spalletti Anfang Juni den Job kostete, dürfen sich die Italiener keinen Patzer mehr erlauben.

Denn Norwegen hat in Gruppe I vier Siege in vier Partien und 13:2 Tore vorgelegt. Vor dem Rückspiel gegen Italien im November haben die Skandinavier nur noch Heimspiele - gegen Moldau, Israel und Estland.

  • 1. Norwegen 4 Spiele / 13:2 Tore / 12 Punkte
  • 2. Israel 3 / 7:6 / 6
  • 3. Italien 2 / 2:3 / 3
  • 4. Estland 4 / 5:8 / 3
  • 5. Moldau 3 / 2:10 / 0

Freitag, 5. September, 20.45 Uhr: Moldau - Israel, Italien - Estland
Modus: Gruppensieger sind direkt qualifiziert, die Gruppenzweiten gehen ins Playoff


Bei Punktgleichheit greift die Tordifferenz. Gattusos Team, das auch im letzten Spiel unter Spalletti (2:0 gegen Moldau) nicht vor Offensivpower strotzte, muss also das Rückmatch im San Siro gewinnen und zwölf Tore aufholen. Was Erling Haaland und Co. natürlich wissen.

Italien seit 2014 nicht mehr bei einer WM

Zweimal in Folge haben die Azzurri zuletzt die WM verpasst. Das einst Unvorstellbare, das die nationalen Gazetten als "Apokalypse" betitelten, droht Normalität zu werden, wie der 20 Jahre alte Sturmdebütant Francesco Pio Esposito in dieser Woche zu verstehen gab:

Ich gehöre einer Generation an, die Italien noch nie bei einer WM erlebt hat.

Sturmdebütant Francesco Pio Esposito

Ob nun Gattuso der richtige Mann für die Wende ist, wird sich zeigen müssen. Bis auf einen Pokalsieg mit Neapel 2020 hat der 47-Jährige keine großen Erfolge in seiner Trainerlaufbahn vorzuweisen. Die 1A-Lösung war er sowieso nicht: Claudio Ranieri sagte nach kurzer Bedenkzeit ab.

Für taktische Geniestreiche oder Offensivfeuerwerke, wie sie Italien im Fernduell mit Norwegen wohl benötigen wird, steht Gattuso ebenfalls nicht. Nach namhaften Stationen wie AC Milan, FC Valencia und Olympique Marseille stand er zuletzt bei Hajduk Split unter Vertrag.

Gennaro Gattuso mit sozialer Ader

Zur Wahrheit gehört aber auch: Der einstige Wadenbeißer entschied sich selten für den einfachen Weg.

In Kreta bezahlte er 2014 selbst 50.000 Euro an Gehältern, um den Spielbetrieb am Laufen zu halten. Missstände fand er auch in Pisa vor. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Gattuso sprach sie offen an - und wurde zum Anwalt der Klubmitarbeiter.

Selbst bei seinem Herzensverein AC Milan verzichtete er auf zwei Millionen Euro Restgehalt - forderte zugleich jedoch, dass seine Assistenten in ähnlicher Höhe entlohnt werden.

Gattusos Interviews legendär

Viele Interviews und Pressekonferenzen von Gattuso sind in Italien legendär. Weil sie von einer ehrlichen Haut zeugen, die sich nie für etwas zu schade war - deren Halsschlagader aber immer noch pulsieren kann.

Ähnlich wie Spalletti beschwört nun "Ringhio" Zusammenhalt, Identität und Opferbereitschaft herauf, trägt dabei aber längst nicht so dick auf wie sein Vorgänger Spalletti. Dieser erzählte im Juli im Interview mit "La Repubblica": "Ich wollte den Stolz wecken, den ich empfand, doch ich habe mich geirrt."

"Es gibt gerade wenig zu sagen", meint dagegen Gattuso: "Ich spüre die Verantwortung, sehr sogar. Aber ich habe keine Angst."

  • Geboren am 9. Januar 1978 in Corigliano Calabro (Italien)
  • Profistationen: AC Perugia, Glasgow Rangers, Salernitana, AC Mailand, FC Sion
  • Trainerstationen: FC Sion (Spielertrainer), US Palermo, OFI Kreta, AC Pisa, AC Mailand (Jugend), AC Mailand, SSC Neapel, AC Florenz, FC Valencia, Olympique Marseille, Hajduk Split.
  • Seit Juni 2025: Italiens Nationaltrainer

Größte Erfolge als Spieler: Weltmeister 2006, Champions-League-Sieger 2003 und 2007, Italienischer Meister 2004 und 2011


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