Sanft erziehen, aber klar bleiben - wie funktioniert bedürfnisorientierte Erziehung im Alltag und wo liegen ihre Grenzen? Die Erziehungsmethode im Überblick.
Sanfte Erziehung, auch "Gentle Parenting" genannt, ist ein Konzept, das bei Eltern an Beliebtheit gewinnt. Was steckt dahinter und was sollten Eltern beachten?
Quelle: imago/Westend61
Immer mehr Eltern interessieren sich für bedürfnisorientierte Erziehung - auch dank sozialer Medien, wo der Begriff in Eltern-Bubbles allgegenwärtig ist. Doch was steckt dahinter?
Die Gründerinnen des BFB Instituts für bindungsorientierte Familienbegleitung, Dominique Reimer und Franziska-Beatrice Fiedler, erklären, was der Erziehungsansatz leisten kann.
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So funktioniert Gentle Parenting
Eine bedürfnisorientierte Erziehung bedeutet laut Franziska-Beatrice Fiedler, Kinder einfühlsam zu begleiten. Das erfordere, achtsam auf Signale zu reagieren und das Verhalten des Kindes als Ausdruck eines Bedürfnisses zu begreifen.
Ob ein Baby weint, ein Schulkind frustriert ist oder ein Kleinkind sich nicht trennen mag - Eltern können in vielen Alltagssituationen feinfühlig und nicht automatisiert reagieren. Das eröffne die Chance, hinter das Verhalten ihres Kindes zu blicken und ihnen Orientierung, Verlässlichkeit und Sicherheit zu bieten.
Der Ansatz stärke Dominique Reimer zufolge Resilienz, Selbstwertgefühl und soziale Kompetenz von Kindern. Ein Kind, das sich gesehen und gehört fühle, entwickele langfristig eine bessere Emotionsregulation, sei konfliktfähiger und empathischer.
Die wissenschaftliche Forschung, insbesondere aus der Bindungs- und Resilienzforschung, bestätige laut Reimer diese Effekte. Studien zeigen ihr zufolge sogar, dass autoritäre Erziehung langfristig schaden könne, während feinfühlige Begleitung die Kooperationsfähigkeit fördere.
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Liebevoll Grenzen setzen
Dass bedürfnisorientierte Erziehung auch Grenzen braucht, steht für Fiedler außer Frage: "Eine liebevoll gesetzte Grenze ist keine Ablehnung, sondern ein Beziehungsangebot." Der Unterschied zu autoritären Methoden liege im Wie: Eine Grenze werde liebevoll, klar und begründet kommuniziert.
Ein wertschätzender Umgang mit Kindern braucht Haltung, keine Härte.
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Dominique Reimer, BFB Institut für bindungsorientierte Familienbegleitung
Ein klares Nein könne Ausdruck von Verantwortung sein, etwa wenn ein Kind ohne Helm Fahrrad fahren möchte. "Ich habe dich lieb UND nein" sei ein Satz, den Eltern ohne Schuldgefühl sagen dürfen, so die Erziehungsexpertin.
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Beide Prinzipien folgen dem Ansatz der Gewaltfreiheit, Achtsamkeit, der respektvollen Kommunikation und emotionalen Unterstützung.
Bei der bindungsorientierten Erziehung gehen Eltern feinfühlig und responsiv auf die Signale ihres Kindes ein. Die sichere Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson wird in den Mittelpunkt gestellt.
Die bedürfnisorientierte Erziehung (auf Englisch: Gentle Parenting) zielt darauf ab, die individuellen Bedürfnisse des Kindes zu erkennen und zu beantworten.
Bedürfnisse begleiten, nicht bedingungslos erfüllen
Häufig werde der Ansatz missverstanden, sagt Dominique Reimer. Will das Kind zum Beispiel im Winter ohne Jacke raus, können Eltern erklären, warum die Jacke wichtig ist und einen Kompromiss schließen.
Bedürfnisorientiert bedeutet nicht, jeden Wunsch zu erfüllen.
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Dominique Reimer, BFB Institut für bindungsorientierte Familienbegleitung
Hier sollten Eltern zum Beispiel gegenüber dem Kind Pausen einfordern, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, oder Rücksicht auf eigene körperliche Bedürfnisse wie Essen oder Schlafen nehmen. Auch Verantwortung zu teilen gehört dazu, indem man sich etwa Unterstützung von weiteren Bindungspersonen dazu holt.
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Eltern dürfen Fehler machen
Bedürfnisorientierte Erziehung heißt nicht, alles perfekt machen zu müssen. Fehler dürfen sein, entscheidend sei der Umgang damit, sagt Franziska-Beatrice Fiedler. "Kinder brauchen keine perfekten Eltern, sondern zugewandte, authentische, reflektierende Menschen", weiß Fiedler. Wer sich selbst mitfühlend begegne, könne auch dem Kind mitfühlend begegnen.
Mehr Anerkennung für Erziehungsarbeit
Für die öffentliche Debatte wünschen sich Dominique Reimer und Franziska-Beatrice Fiedler daher "weniger Lagerdenken und mehr Wertschätzung für die elterliche Leistung". Denn bedürfnisorientierte Elternschaft verlangt ein hohes Maß an Selbstreflexion, emotionaler Präsenz, Geduld und Ausdauer.
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von Cornelia Petereit
mit Video
Quelle: dpa
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