Vier-Tage-Woche in der Pflege: Mehr Pflegekräfte und gute Bilanz
Arbeitszeitmodell der Zukunft?:Pflegekräfte im Überfluss dank Vier-Tage-Woche
von Simon Seitel
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Zwölf Stunden im Dienst? Für viele ein Albtraum. In einer Münchener Klinik entscheiden sich Pflegekräfte freiwillig dafür. Denn das ermöglicht ihnen eine Vier-Tage-Woche.
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Auf Station 10 der orthopädischen Fachklinik in München Harlaching testen sie seit September ein Jahr lang ein neues Arbeitszeitmodell: Neben der typischen Acht-Stunden-Schicht können die Pflegekräfte auch freiwillig in eine Vier-Tage-Woche wechseln - bei gleichbleibender Wochenarbeitszeit.
Praktisch bedeutet das: Schichten bis zu zwölf Stunden, aber eben auch einen zusätzlichen freien Tag.
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Positive Erfahrungen der Pflegekräfte
Krankenpflegerin Nicole Schwabe nutzt das Angebot und möchte auch nicht ins alte Modell zurück:
Ich finde es super, weil ich auch nicht in München wohne und als Pendler jeden Tag hier reinkomme.
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Nicole Schwabe, Pflegefachkraft
So habe sie mehr freie Tage und spare zusätzlich einiges an Spritkosten. Auch ihr Kollege Mathias Lader möchte weiterhin das neue Arbeitszeitmodell nutzen, um mehr Zeit zum Verreisen zu haben. Sie arbeiten pro Woche zwei Acht- und zwei Zwölf-Stunden-Schichten. "Am Anfang war es natürlich eine körperliche Umstellung", erzählt Lader. "Aber nach ein paar Wochen ist das auch vorbei und dann läuft es ganz gut. Also ich möchte es nicht mehr missen."
Der Wunsch, die Zwölf-Stunden-Dienste einzuführen, kam direkt von den Pflegekräften, berichtet die Pflegedienstleiterin Corina Klumpp. Für die Pilotphase brauchte es eine Sondergenehmigung und die Zustimmung des Betriebsrates. Die Bilanz fällt bisher sehr positiv aus. "Das Angebot kommt sehr gut an. Die Pilotphase ist sehr erfolgreich verlaufen und auch keiner der Mitarbeiter möchte in den Acht-Stunden-Dienst zurück, weil der Mehrwert der freien Tage einfach für die Mitarbeiter einen großen Vorteil hat".
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Zwölf-Stunden-Schicht lockt Personal
Wirkung zeige das neue Schichtmodell auch bei der Personalgewinnung. So seien zusätzliche Bewerbungen eingegangen. Auch von ehemaligen Beschäftigten, die es wegen der größeren Arbeitsflexibilität ins Ausland zog, wo solche Modelle bereits verbreiteter seien:
Wir haben auch eine Mitarbeiterin, die aus Österreich zurückkam, weil wir jetzt diese Zwölf-Stunden-Dienste anbieten.
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Corina Klumpp, Pflegedienstleiterin
Prof. Dr. Markus Walther, der Ärztliche Direktor des Krankenhauses sieht noch weitere Vorteile des neuen Arbeitszeitmodells: "Der Druck ist an vielen Stellen raus, da man sonst eben ein sehr frühes, hartes Schichtende hat. Jetzt hat man sehr kontinuierliche Ansprechpartner." Dadurch verringere sich der Informationsverlust bei jedem Schichtwechsel deutlich.
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Gewerkschaft warnt vor Belastungen
Gleichzeitig warnt die Gewerkschaft ver.di vor den zusätzlichen physischen und psychischen Belastungen, die die Verteilung der Wochenarbeitszeit auf vier Tage mitbringe. "Das klingt erstmal verlockend, doch viele private Erledigungen oder familiäre Verpflichtungen können aufgrund der langen Arbeitszeit nicht mehr an den Werktagen gemacht werden. Dadurch konzentriert sich vieles auf den freien Tag, der dann nicht mehr der Erholung dient", erklärt Grit Genster, Leiterin des Bereichs Gesundheitspolitik bei ver.di.
"Wir wissen, dass gerade in so einem belasteten Bereich wie der Krankenhauspflege die Fehleranfälligkeit mit Länge der Schichten zunimmt. Das birgt erhebliche Risiken sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten." Die Etablierung einer Vier-Tage-Woche sei daher nur mit einer Kürzung der Wochenarbeitszeit gut vereinbar.
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Merz will Arbeitszeiten flexibilisieren
Für Bundeskanzler Friedrich Merz ist mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance der Wohlstand des Landes in Gefahr. Zwar plädiert er für eine Reform des Arbeitszeitgesetzes, aber nicht für eine insgesamte Verringerung der Arbeitszeit. Während bislang die Höchstarbeitszeit pro Tag geregelt ist, könnte sie künftig pro Woche gelten. Im Zuge der angestrebten Flexibilisierung könnten Arbeitstage so künftig auf bis zu 13 Stunden verlängert werden. Das entspräche der EU-Arbeitszeitrichtlinie, die lockerer ist als die gegenwärtige in Deutschland.
Auf Station 10 der Schön Klinik in München wird das neue Schichtmodell gut angenommen - so gut, dass auch andere Stationen Interesse an der Vier-Tage-Woche bekundet haben. Bis zum 30. September gilt ihre Sondergenehmigung noch. Hier hoffen sie, dass die Bundesregierung ihnen die Option gibt, auch langfristig mit diesem Modell weiterzuarbeiten.
Simon Seitel ist Reporter im ZDF-Studio in München.
Deutschland hat ein Pflege-Problem. Die gute Nachricht: Es gibt Lösungen. Wie man Personal gewinnen und gute Versorgung statt Überversorgung schaffen könnte.