TK-Chef Baas zu Krankenkassen: "Die Lage ist dramatisch"

Interview

Beiträge, Leistungen, Reformen:TK-Chef zu Krankenkassen: "Lage ist dramatisch"

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Steigende Beiträge und sinkende Leistungen: "Wenn das Gesundheitssystem ein Unternehmen wäre, müsste man den CEO entlassen", sagt TK-Vorstandschef Jens Baas im ZDF.

Archiv: Gesundheitskarten verschiedener Krankenkassen am 05.09.2016
Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, sieht die Kassen in schwierigem Fahrwasser.
Quelle: Imago

Die Kranken- und Pflegekassen müssen immense Kosten im Gesundheitssystem stemmen. Die Folge: steigende Beiträge für die Versicherten. "Das muss nicht sein", sagt TK-Vorstandschef Jens Baas. Er fordert grundlegende Strukturreformen.
ZDFheute: Wie ist die aktuelle Finanzlage der Kranken- und Pflegekassen?
Jens Baas: Man muss bei beiden Kassen sagen, die Lage ist dramatisch, und zwar sowohl in Bezug auf die Finanzierung, die Kosten steigen und steigen, als auch in Bezug auf die Leistungen, die nicht mehr in der Art und Weise erbracht werden, wie die Versicherten das erwarten können.

Jens Baas (Archiv)
Quelle: picture alliance / dpa

...ist seit 2012 Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK). Sie ist mit über zwölf Millionen Versicherten die größte gesetzliche Krankenkasse in Deutschland.

ZDFheute: Was könnte die Lösung sein? Sehen Sie im Koalitionsvertrag einen guten Ansatz?
Baas: Ich sage erstmal, was die Lösung nicht ist:

Die Lösung ist nämlich nicht, den Versicherten einfach immer noch mehr Geld abzunehmen.

Jens Baas, TK-Vorstandsvorsitzender

Wir müssen endlich mal auf die Ausgabenseite schauen, also überlegen, wie kann man das Geld besser einsetzen? Und da ist der Koalitionsvertrag leider in Teilen eine Enttäuschung.
Es soll nämlich vor allen Dingen eine Kommission eingesetzt werden, die im Krankenkassenbereich erst Mitte 2027 Ergebnisse vorlegen soll. Das heißt, finanzwirksam wird das dann vielleicht erst im Jahr 2029. Das ist viel zu spät. In der Pflegeversicherung soll die Kommission noch dieses Jahr Ergebnisse vorlegen. Aber auch da sind die Probleme eigentlich bekannt. Von daher, wir brauchen keine Kommissionen. Wir brauchen jetzt schnell wirksame Maßnahmen.
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ZDFheute: Woran krankt denn das Gesundheitssystem?
Baas: Ja, da muss man in der Tat die Krankenkasse von der Pflegeversicherung unterscheiden. Bei der Krankenkasse haben wir hauptsächlich das Problem, wie das System organisiert ist, aber wir haben eigentlich genug Menschen und genug Ressourcen.
In der Pflegeversicherung sieht es leider ein bisschen anders aus. Da haben wir in der Tat ein Ressourcenproblem, sowohl zu wenig Geld als auch zu wenig Pflegekräfte für all die Menschen, die in den heutigen Systemen gepflegt werden wollen. Das Problem besteht darin, dass sich kaum jemand traut, andere Pflegesysteme anzugehen.
Ich nehme ein Beispiel: Pflege in Wohnheimen. Menschen wollen ungerne in wirkliche Heime gehen. In Wohngemeinschaften zu leben, mit anderen zusammen, das ist für viele attraktiver. Trotzdem gibt es diese Angebote relativ wenig. Das heißt, hier ist das Problem, dass wir wirklich ganz neue Wege gehen müssen und nicht sagen können, es gibt nur: Entweder, du wirst zu Hause gepflegt oder du gehst in ein Pflegeheim, dazwischen gibt es nichts.

Da müssen wir uns überlegen, was die Möglichkeiten der Pflege in der Zukunft sein können, um die knappe Ressource Pflegekraft dann auch besser einzusetzen.

Jens Baas, TK-Vorstandsvorsitzender

ZDFheute: Wie könnte man die Pflegekassen kurzfristig entlasten?
Baas: Als Sofortmaßnahme muss die Pflegeversicherung das Geld zurückbekommen, was die Politik in der Corona-Pandemie, nämlich sechs Milliarden Euro, einfach aus der Pflegekasse entnommen hat. Das wäre schon mal ein erster Schritt.
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ZDFheute: Welche Schritte sind es bei den Krankenversicherungen?
Baas: Zunächst einmal, Leistungskürzungen halte ich für den völlig falschen Weg, weil wir viel Geld im System verschwenden. Das Ziel ist, ein besseres System, bei dem wir für weniger Geld bessere Leistungen bekommen.
Wir haben nämlich drei große Probleme. Wir haben ein System, in dem man eigentlich gar nicht durchgeleitet wird als Patient. Das ist ein bisschen zufällig, wo ich aufschlage oder nicht. Krankenhäuser und Ambulanzen der Ärzte sind nicht miteinander verknüpft, also ein relativ zufälliges System. Wir haben zweitens viel zu hohe Pharma-Preise. Und wir haben drittens das Problem, dass die Versicherten staatliche Aufgaben bezahlen sollen, also zum Beispiel die Versicherung von Bürgergeldempfängern.
ZDFheute: Über welche Summe reden wir da?
Baas: Das kann man ganz leicht ausrechnen, das sind etwa 10 Milliarden Euro. Wenn man weiß, dass ein Beitragssatz-Zehntel ungefähr 1,8 oder 1,9 Milliarden Euro ist, dann würde alleine das, wenn der Staat diese Aufgabe, die seine Aufgabe ist, übernehmen würde, für eine Entlastung von 0,5 Beitragspunkten sorgen.
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ZDFheute: Seit Jahren werden Reformen angemahnt. Warum passiert trotzdem so wenig?
Baas: Das deutsche System ist einfach ein organisch gewachsenes System. Das heißt, wir haben mal angefangen, und wenn was nicht funktioniert hat, haben wir gedacht, okay, dann machen wir es einfach noch ein bisschen komplizierter, dann noch ein bisschen komplizierter und noch ein bisschen komplizierter.
Wir haben mittlerweile ein System, das die wenigsten Menschen überhaupt noch verstehen, in dem unglaublich viel Bürokratie herrscht, in dem unglaublich viel Verschwendung herrscht, und in dem die Prozesse in keinster Weise vernünftig funktionieren:

Ich sage immer so ein bisschen scherzhaft, wenn das Gesundheitssystem ein Unternehmen wäre, müsste man den CEO entlassen.

Jens Baas, TK-Vorstandsvorsitzender

Deswegen müssen wir nicht versuchen, mit irgendwelchen kleinen Pflastern zu arbeiten, sondern wir brauchen eine Therapie. Wir müssen grundlegend überlegen, wie man das System neu aufstellt.
ZDFheute: Glauben Sie, dass die neue Regierung eine umfassende Reform schaffen kann?
Baas: Zwei Ansätze finden sich in der Tat im Koalitionsvertrag, die auch verfolgt werden sollten. Das ist zum einen die Krankenhausreform. Die ist dringend nötig, und da sind die Ansätze auch gar nicht schlecht. Und es findet sich im Koalitionsvertrag die Idee eines Primärarztsystems mit einer vorgestellten digitalen Ersteinschätzung, auch eine sehr gute Idee. Wenn diese beiden Dinge konsequent umgesetzt werden, hat man zumindest mal einen Ansatz, wo man sagen kann, da geht das System in die richtige Richtung.
Das Interview führte Britta Spiekermann, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.

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Quelle: dpa

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