Pflegenotstand in Deutschland: Was schnell helfen könnte

Drei Probleme und Lösungen:So wird das Pflegesystem wieder gesund

Jenifer Girke
von Jenifer Girke
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Deutschland hat ein Pflege-Problem. Die gute Nachricht: Es gibt Lösungen. Wie man Personal gewinnen und gute Versorgung statt Überversorgung schaffen könnte.

Eine Pflegerin begleitet eine Pflegebedürftige durch einen Hausflur.
Das Pflegesystem in Deutschland hat mit Problemen zu kämpfen. Wie könnten Lösungen aussehen?
Quelle: dpa

Immer mehr ältere Menschen bedeutet immer mehr Pflegebedürftige. Weniger Menschen auf dem Arbeitsmarkt bedeutet auch weniger Berufseinsteiger in der Pflege. Wenn dann noch die Bedingungen für den Job unattraktiv sind, muss man erkennen: Es muss sich etwas ändern. Und es kann sich einiges ändern, sagt Prof. Dr. Vera Winter.



Beitrag Seidl Pflegereform
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Problem: Fehlende Pflegefachkräfte

Das größte Problem sei der Fachkräftemangel, dahinter stecken zwei Hauptursachen: Es gibt immer mehr Menschen, die auf Pflege angewiesen sind. Winter, Gesundheitsökonomin an der Bergischen Universität Wuppertal, spricht von einer Blockalterung:

Wir haben in einigen Städten in NRW die Situation, dass in den nächsten fünf Jahren dreimal so viele Pflegekräfte in Rente gehen wie neue eintreten.

Vera Winter, Gesundheitsökonomin

Gleichzeitig kommen nicht genug neue Pflegefachkräfte nach. Im Jahr 2049 werden dem Statistischen Bundesamt zufolge zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte in Deutschland fehlen.
Bedarf an Pflegekräften übersteigt Angebot

ZDFheute Infografik

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Lösung: Mehr Integration und Verantwortung in Pflege

Laut Winter muss es eine bessere Integration ausländischer Fachkräfte geben. In NRW sehe man, dass "drei von vier ausländischen Pflegekräften nach dem ersten Jahr wieder weg sind". Nur wenn man auch eine gesellschaftliche Einbindung mitdenke, könne man Personal langfristig gewinnen. Das sollte aber nur ein Baustein sein, so die Ökonomin.
Pflegekräfte berichteten, sie dürften in ihrem Heimatland mehr Verantwortung übernehmen. Auch viele deutsche Kollegen und Kolleginnen wünschten sich, ihre Kompetenzen besser einsetzen zu können.

Unterforderung im Job, also nur die leichten Tätigkeiten machen, obwohl man eigentlich zu Höherem qualifiziert ist, ist extrem motivationseliminierend.

Vera Winter, Gesundheitsökonomin

Gleichzeitig warnt die Expertin: Das dürfe keinesfalls zu noch mehr Arbeitsverdichtung führen. Es ginge vielmehr um eine "bessere Kompetenzverteilung" und um Anreize.
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Problem: Schlechte Arbeitsbedingungen für Pflegende

Die momentan herrschenden Arbeitsbedingungen setzten für die meisten keine Anreize. Hier sieht Winter vor allem die Arbeitgeber am Zug:
"Flexiblere, innovative Arbeitszeitmodelle, die besser an den Bedürfnissen orientiert sind, die auch eine höhere Vereinbarkeit von Familie und Beruf schaffen, sind superwichtige Maßnahmen, die ergriffen werden müssen".

Lösung: Kürzere oder flexiblere Arbeitszeitmodelle

Ideen gebe es genug, zum Beispiel 4-Tage-Woche, kürzere Arbeitszeiten oder längere Arbeitszeiten, um mehr Tage hintereinander als Ausgleich zu nehmen. Es gehe nicht nur darum, den Beruf attraktiver zu machen, sondern überhaupt langfristig leistbar und "um zu verhindern, dass die Versorgung der Patienten nicht zulasten der eigenen Gesundheit geht".
Jenifer Girke | ZDF-Reporterin in Köln
Bei den Warnstreiks in Kliniken und Pflegeeinrichtungen forderten die Beschäftigten "mehr Geld", "mehr freie Tage" und "mehr Wahlmöglichkeiten". ZDF-Reporterin Jenifer Girke berichtete aus Köln.06.03.2025 | 2:46 min
In den jüngsten Tarifverhandlungen war eine Hauptforderung: mehr Lohn. Eine gute Vergütung sei wichtig, aber laut Winter kein Allheilmittel, denn: Steigt das Gehalt, steigen auch die Gesundheitsausgaben. Deswegen müssten Lohnerhöhungen "einhergehen mit Strukturveränderungen, die dazu führen, dass wir die Gesundheitsausgaben insgesamt möglichst stabil halten können".

Problem: Hohe Kosten des Pflegesystems

Um die Kosten zu reduzieren, müsse sich vieles grundsätzlich ändern. Ein Stichwort: Überversorgung.

Alles, was wir stationär machen, was wir aber auch ambulant machen können, bindet Pflegekräfte.

Vera Winter, Gesundheitsökonomin

Das Ziel müsse sein, "das Ambulantisierungspotenzial zu nutzen" um wieder zu "einer besseren Nutzung des vorhandenen Pflegepersonals zu kommen."
In Deutschland würden Operationen zu 90 Prozent stationär durchgeführt, nur zehn Prozent ambulant. In anderen Ländern sei es genau umgedreht, "wo gerade die skandinavischen Länder stationäre Behandlungsquoten von zehn Prozent haben."
So viele Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig

ZDFheute Infografik

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Lösung: Weniger stationäre, mehr ambulante Behandlung

Ein entscheidender Grund für diese Quote seien wirtschaftliche Zwänge: Krankenhäuser bekommen für stationäre Behandlungen mehr Geld, teilweise das Vierfache. Bedeutet: Je mehr stationär, desto besser können Kosten gedeckt werden. Die Politik habe das mittlerweile erkannt, so Winter, und reduziere die Anreize für stationäre Behandlungen.
Ein weiterer Ansatz: Würde mehr ambulant behandelt werden, bräuchte man weniger Krankenhäuser. Das würde automatisch auch zu einer Einsparung an Personal führen. Und zu mehr Freiraum, das vorhandene Personal zu entlasten sowie besser zu vergüten - so die Hoffnung. Die Aufgabe bleibt zu definieren, welche Krankenhäuser wo benötigt werden und sie in Ballungsräumen sowie auf dem Land gut zu verteilen.
Jenifer Girke ist Reporterin und Redakteurin im ZDF-Studio Nordrhein-Westfalen.

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Quelle: dpa

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