SPD gewährte Lobbyisten Zugang zu Koalitionsverhandlungen
Exklusiv
Koalitionsverhandlungen:Exklusiv-Zugang zu SPD-Verhandlern für Lobbys
von Nathan Niedermeier und Moritz Zajonz
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Die SPD hat Lobbyverbänden exklusiven Zugang zu den Koalitionsverhandlungen im Bereich Klima und Energie verschafft, zeigen Recherchen von ZDF frontal.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Lobbyisten hatten Zugang zu Verhandlungen der Arbeitsgruppe Klima und Energie.
Quelle: dpa
Wie stark waren Lobbyverbände in die Koalitionsverhandlungen eingebunden? Im Bereich Klima und Energie verschaffte die SPD drei Lobbyverbänden einen exklusiven Zugang, zeigen Recherchen von ZDF frontal. Dabei geht es um ein Treffen der SPD-Mitglieder der Arbeitsgruppe Klima und Energie, der sogenannten AG 15 innerhalb der Koalitionsverhandlungen. Bei dem Treffen soll es auch um konkrete "Textpassagen" gegangen sein. In einem Fall kam die Einladung wohl direkt vom Parteivorstand.
Die Organisation Abgeordnetenwatch sieht darin eine "gezielte Einflussnahme", sagt die Sprecherin Sarah Schönewolf im Interview mit ZDF frontal: "Da geht es um politische Leitlinien, da fallen Entscheidungen für die nächsten Jahre und ja, das ist wirklich sehr schwierig, wenn da einzelne Lobbyverbände und deren Position so bevorzugt werden."
Energiepreise runter für alle - so war das Versprechen. Dass die Senkung nun nur Teilen der Wirtschaft zugutekommen soll, sorgt für Unmut bei Union und Bürgern. Der Koalitionsausschuss am Mittwoch hat sein Thema.30.06.2025 | 1:56 min
SPD: Entscheidungen treffen am Ende die Parteien
Ein SPD-Sprecher sagte dazu auf Anfrage von ZDF frontal: "Gerade in einem so komplexen Bereich wie der Klima- und Energiepolitik ist es wichtig, sich mit verschiedenen Fachperspektiven auseinanderzusetzen." Dieser Prozess habe bei der Vorbereitung wichtiger politischer Weichenstellungen eine besondere Bedeutung. Deshalb sei es im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen zu entsprechenden Gesprächen gekommen. Entscheidend sei aber:
Die politischen Entscheidungen treffen am Ende die Parteien im Rahmen eines demokratischen Verhandlungsprozesses.
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SPD-Sprecher
Das Treffen der SPD-Mitglieder der Verhandlungsgruppe zu Klima- und Energie fand jedoch am 17. März statt, teilten Interessensverbände übereinstimmend ZDF frontal mit. Zu einem Zeitpunkt also, als die Koalitionsverhandlungen bereits liefen. Denn diese begannen am 13. März und endeten mit der Vorstellung des Vertrages am 9. April.
Bei den erneuerbaren Energie solle "der Strom wirklich im Netz bei den Verbrauchern" ankommen, so Andreas Lenz, CSU, wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Bundestag. 04.07.2025 | 4:31 min
SPD-Parteivorstand lud Lobbyverband ein
Zu dem internen Treffen hatte der SPD-Parteivorstand den Verband kommunaler Unternehmen, kurz VKU, eingeladen, teilte dieser ZDF frontal mit. Ein Verbandsvertreter nahm demnach auch persönlich an dem Treffen teil. Der VKU vertritt die Interessen der Stadtwerke und gilt unter Lobbybeobachtern als einflussreich. Allein im vergangenen Jahr investierte der Verband 8,2 Millionen Euro für Lobbyarbeit. Damit zählt er ZDF-Recherchen zufolge zu den zehn Lobbyverbänden mit den höchsten Ausgaben im vergangenen Geschäftsjahr.
In die Koalitionsverhandlungen war der VKU noch auf anderem Wege eingebunden. Teil des fünfköpfigen SPD-Verhandlungsteams zu Klima und Energie war auch der Kieler SPD-Oberbürgermeister Ulf Kämpfer, der zugleich der Präsident des VKU ist. Kämpfer sagte im Nachgang der Verhandlungen, ein junger Kollege habe sich über einen KI-Chatbot "Formulierungsvorschläge für einen Koalitionsvertrag" ausgeben lassen. Als Grundlage für die Formulierungsvorschläge des Bots hätten E-Mails von Lobbyverbänden gedient. Das sei "beeindruckend" gewesen und habe "die Arbeit erleichtert", sagte der SPD-Verhandler der Zeitung des VKU.
Quelle: ZDF
Mehr zu diesem Thema sehen Sie bei ZDF frontal am 15. Juli ab 21 Uhr.
Ein KI-Chatbot, der auf Basis von Lobbypositionen für die Verhandler hilfreiche Formulierungsvorschläge für den Koalitionsvertrag macht? Erstaunlich findet das die Abgeordnetenwatch-Sprecherin. Es zeuge von einer gewissen Unbedarftheit im Umgang mit KI aber auch mit Lobbygruppen, sagte sie ZDF frontal.
Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen äußert sich der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Ingbert Liebig, zufrieden: Er finde "eine ganze Reihe konkreter Punkte" aus einem Positionspapier des Verbands im Koalitionsvertrag, heißt es in einem am 24. April 2025 veröffentlichten Interview in der Verbandszeitung.
In Bremerhaven wird eine schwimmende Versuchsplattform für die "Power-to-X"-Produktion vorgestellt. Auf offener See soll zukünftig grüner Wasserstoff produziert werden.08.07.2025 | 2:31 min
Bei internen Treffen ging es auch um "Textpassagen"
Neben dem VKU war auch der Branchenverband der Energie- und Wasserwirtschaft, kurz BDEW, zu dem SPD-internen Treffen zu Klima und Energie am 17. März in Berlin eingeladen. Der Vertreter des Verbands habe bei dem persönlichen Treffen mit den SPD-Politikern "Textpassagen der SPD zum Thema Wärme diskutiert". Die Textpassagen seien dabei "für unseren Mitarbeiter sichtbar" gewesen, teilte der Verband mit.
Die klimapolitische Sprecherin der Grünen, Lisa Badum, hält den Vorgang für einen Skandal.
Es zeigt, wo die Loyalitäten dieser Bundesregierung liegen: nicht beim Klimaschutz oder bei der Entlastung der Verbraucher:innen, sondern zuallererst beim fossilen Kartell.
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Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der Grünen
Lobbyisten hätten in Koalitionsverhandlungen genauso wenig verloren wie im Bundeskabinett - dieses Vorgehen würde demokratischen Prinzipien zuwiderlaufen, so Badum.
Der BDEW zählt zu den vier finanzstärksten Lobbyverbänden. Allein in 2024 gab der Verband rund 9,3 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus, eigenen Angaben im Lobbyregister zufolge.
So viel Geld haben Organisationen für Lobbyarbeit ausgegeben
ZDFheute Infografik
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Als dritter Lobbyverband war der Bundesverband Erneuerbare Energien, kurz BEE, zu dem Treffen eingeladen, "durch einen Mitarbeiter der SPD-Fraktion", teilt der Verband ZDF frontal mit. Demnach sei eine Vertreterin für 15 Minuten online zu dem Treffen dazugeschaltet worden, habe ein "Eingangsstatement" gegeben "zu den Belangen der Erneuerbaren Energien" und im Anschluss daran Fragen beantwortet. Im Vergleich zu den Millionensummen von VKU und BEDW gab der BEE für Lobbyismus nach eigenen Angaben rund 800.000 Euro in 2024 aus.
Auch die Landwirtschaft muss sich an Klimaveränderungen anpassen. Wie Landwirte besser unterstützt werden können, ist unter anderem Thema einer Sonderkonferenz der Agrarminister.10.07.2025 | 1:31 min
Verbände: Kein vergleichbares Treffen mit der Union
Ein vergleichbares Treffen mit Mitgliedern der Union der AG 15 hat es laut den drei von der SPD eingeladenen Verbänden nicht gegeben. Der BDEW teilte ZDF frontal jedoch mit, man habe mit Vertretern von CDU/CSU "im Austausch" gestanden. Und der VKU erklärte auf Nachfrage:
Im Vorfeld und während der Koalitionsverhandlungen haben uns darüber hinaus zu unterschiedlichen Themenbereichen Fachfragen aus dem Kreis der Verhandler und ihrer Teams erreicht, die wir nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet haben.
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Verband kommunaler Unternehmen
Die Unions-Fraktion sowie deren Parteien ließen eine schriftliche Anfrage von ZDF frontal zur Einbindung von Lobbyverbänden in die Koalitionsverhandlungen - auch auf wiederholte Nachfrage hin - unbeantwortet.