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Junge Täter, alte Ideologie:Wie sich der Rechtsextremismus neu erfindet
von Anna Bayer
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In kurzer Zeit sind zahlreiche rechtsextreme Gruppierungen entstanden. Sie greifen alternative Projekte an, planen Anschläge auf Geflüchtete. Eine Spurensuche in Brandenburg.
Cottbus am Abend des 23. Mai: Vermummte werfen Böller und Brandsätze auf das Gebäude des selbstverwalteten Hausprojekts "Zelle 79". Mit einem Bauzaun als Rammbock versuchen sie, die Tür aufzubrechen, berichten Anwesende. Dabei sollen die Angreifer Parolen gegrölt haben wie "Wir sind die Adolf Hitler Hooligans". Der Staatsschutz ermittelt gegen Unbekannt wegen Landfriedensbruch.
Bereits mehrfach sei die "Zelle 79" Ziel rechtsextremer Angriffe gewesen, berichten zwei Bewohner*innen, die anonym bleiben wollen. Einer von ihnen sei kürzlich von einer Gruppe junger Männer, die er der neonazistischen Kleinstpartei "Der III. Weg" zuordnet, direkt vor der Haustür verprügelt worden. Nicht immer sei klar, welcher Organisation die gewaltbereiten Jugendlichen angehören - und dies bereite Sorge:
"Heute sind sie vielleicht noch bei der Jugend von der AfD, und morgen ist es schon der Dritte Weg und übermorgen ist es vielleicht schon der Untergrund einer Terrororganisation," sagt die Bewohnerin.
Wer hinter gewaltbereiten Jugendgruppen steckt
Auch mutmaßliche Terrorzellen wie die "Letzte Verteidigungswelle" tauchten scheinbar aus dem Nichts auf. Im Mai nahm die Polizei fünf mutmaßliche Rechtsterroristen zwischen 14 und 18 Jahren bei einer Razzia in mehreren Bundesländern - darunter in Brandenburg - fest. Sie sollen sich laut Bundesanwaltschaft über Chatgruppen zusammengeschlossen und Brandanschläge auf Asylbewerberheime und Kultureinrichtungen geplant und teilweise umgesetzt haben.
Solche Gruppen vermittelten auf den ersten Blick den Eindruck, dass sie sich vor allem über soziale Netzwerke organisieren, sagt Alexander Ritzmann, Leiter der Abteilung Rechtsextremismus beim Counter Extremism Project und bis 2006 FDP-Innenexperte. Doch das sei oftmals gar nicht der Fall.
Selbst wenn morgen alle Server in Deutschland ausfallen, würden diese Gruppen gut offline weiterarbeiten.
Alexander Ritzmann, Counter Extremism Project
Über soziale Medien rekrutierten sie neue Mitglieder, doch "der Kern solcher Gruppen kennt sich meistens schon vorher", erklärt der Politikwissenschaftler. Einige seien Fans der gleichen Fußballvereine oder an Hooligangruppen angebunden, andere hätten sich bei Montagsdemos während der Corona-Pandemie kennengelernt.
Experte: Neue Strategie zielt auf Jugendliche
Eine Erklärung für das Aufkeimen dieser lose organisierten rechtsextremen Gruppen sei der Niedergang der Parteien rechts der AfD. "Parteien wie die Heimat (ehemals NPD) befinden sich seit Jahren in einer Krise", so Ritzmann. Daher setzten sie seit Frühjahr 2024 auf eine neue Strategie, um parteiferne, erlebnisorientierte Jugendliche zu rekrutieren.
Das Erbe der "Baseballschlägerjahre"
Und im Alltag zeigt sich: NS-verherrlichende Inhalte seien unter Jugendlichen sehr präsent, auch komme es zu Anfeindungen gegen andere Kinder, berichtet das Aktionsbündnis Brandenburg. Leiterin Maica Vierkant sagt:
Nicht nur im schulischen Bereich sehen wir eine steigende Zahl sehr junger Rechtsextremer. Hier verschiebt sich etwas.
Maica Vierkant, Aktionsbündnis Brandenburg
Besorgniserregend sei auch der Umgang mancher Eltern mit Kindern, die etwa Hakenkreuze auf Bänke oder Schulwände schmieren. "Manche Eltern sagen dann: 'Ja und?' Uns wird berichtet, dass es weniger Gegenwind von den Eltern gibt als früher", so Vierkant.
Ritzmann erklärt: Einige Jugendliche hätten nicht TikTok zum Vorbild, sondern ihre eigenen Eltern.
Die Baseballschläger-Skinheads aus den 90ern haben jetzt 16-jährige Kinder.
Alexander Ritzmann, Counter Extremism Project
Es falle auf, mit welcher Feindschaft und Gewalt diese etwa Reporter*innen begegneten. "Diese Jugendlichen laufen in den Stiefeln ihrer Väter."
Anna Bayer ist Reporterin im ZDF-Studio in Potsdam.
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