Rechtsextremismus in Deutschland: Immer mehr Jugendliche

Junge Täter, alte Ideologie:Wie sich der Rechtsextremismus neu erfindet

von Anna Bayer
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In kurzer Zeit sind zahlreiche rechtsextreme Gruppierungen entstanden. Sie greifen alternative Projekte an, planen Anschläge auf Geflüchtete. Eine Spurensuche in Brandenburg.

Mehr rechtsextreme Attacken
Wer sich im ländlichen Brandenburg offen zur linken Kultur bekennt, lebt gefährlich. Die junge, rechtsextreme Szene zeigt sich immer gewaltbereiter. Der Landesverfassungsschutz warnt.24.05.2025 | 5:24 min
Cottbus am Abend des 23. Mai: Vermummte werfen Böller und Brandsätze auf das Gebäude des selbstverwalteten Hausprojekts "Zelle 79". Mit einem Bauzaun als Rammbock versuchen sie, die Tür aufzubrechen, berichten Anwesende. Dabei sollen die Angreifer Parolen gegrölt haben wie "Wir sind die Adolf Hitler Hooligans". Der Staatsschutz ermittelt gegen Unbekannt wegen Landfriedensbruch.
Bereits mehrfach sei die "Zelle 79" Ziel rechtsextremer Angriffe gewesen, berichten zwei Bewohner*innen, die anonym bleiben wollen. Einer von ihnen sei kürzlich von einer Gruppe junger Männer, die er der neonazistischen Kleinstpartei "Der III. Weg" zuordnet, direkt vor der Haustür verprügelt worden. Nicht immer sei klar, welcher Organisation die gewaltbereiten Jugendlichen angehören - und dies bereite Sorge:
"Heute sind sie vielleicht noch bei der Jugend von der AfD, und morgen ist es schon der Dritte Weg und übermorgen ist es vielleicht schon der Untergrund einer Terrororganisation," sagt die Bewohnerin.
Mutmaßliche rechte Terrorzelle: Junge Männer festgenommen - Fahrzeuge der Bundespolizei fahren mit Blaulicht fohrt
Bei einer Razzia gegen eine mutmaßliche rechte Terrorzelle wurden mehrere Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren festgenommen. Sie sollen Anschläge geplant und durchgeführt haben.21.05.2025 | 1:50 min

Wer hinter gewaltbereiten Jugendgruppen steckt

Auch mutmaßliche Terrorzellen wie die "Letzte Verteidigungswelle" tauchten scheinbar aus dem Nichts auf. Im Mai nahm die Polizei fünf mutmaßliche Rechtsterroristen zwischen 14 und 18 Jahren bei einer Razzia in mehreren Bundesländern - darunter in Brandenburg - fest. Sie sollen sich laut Bundesanwaltschaft über Chatgruppen zusammengeschlossen und Brandanschläge auf Asylbewerberheime und Kultureinrichtungen geplant und teilweise umgesetzt haben.
Solche Gruppen vermittelten auf den ersten Blick den Eindruck, dass sie sich vor allem über soziale Netzwerke organisieren, sagt Alexander Ritzmann, Leiter der Abteilung Rechtsextremismus beim Counter Extremism Project und bis 2006 FDP-Innenexperte. Doch das sei oftmals gar nicht der Fall.

Selbst wenn morgen alle Server in Deutschland ausfallen, würden diese Gruppen gut offline weiterarbeiten.

Alexander Ritzmann, Counter Extremism Project

Bundespressekonferenz Fallzahlen für die Politisch Motivierte Kriminalität
2024 ist die Zahl politisch motivierter Straftaten in Deutschland stark gestiegen. Die größte Gefährdung für die Demokratie gehe vom Rechtsextremismus aus, so der Innenminister.20.05.2025 | 2:45 min
Über soziale Medien rekrutierten sie neue Mitglieder, doch "der Kern solcher Gruppen kennt sich meistens schon vorher", erklärt der Politikwissenschaftler. Einige seien Fans der gleichen Fußballvereine oder an Hooligangruppen angebunden, andere hätten sich bei Montagsdemos während der Corona-Pandemie kennengelernt.

Experte: Neue Strategie zielt auf Jugendliche

Eine Erklärung für das Aufkeimen dieser lose organisierten rechtsextremen Gruppen sei der Niedergang der Parteien rechts der AfD. "Parteien wie die Heimat (ehemals NPD) befinden sich seit Jahren in einer Krise", so Ritzmann. Daher setzten sie seit Frühjahr 2024 auf eine neue Strategie, um parteiferne, erlebnisorientierte Jugendliche zu rekrutieren.
Mit Erfolg: Inhalte auf TikTok und Instagram zielen laut Ritzmann auf Jugendliche ab, zeigen Partys, Sport - und schüren zugleich Ängste vor Migration und Identitätsverlust.
Mann mit Glatze und 444 Tattoo von der Rücksite, vor Spur-Logo und Reichsflagge sowie rechten Demonstrierenden
Rechtsextreme Straftaten erreichen 2024 einen neuen Höchststand. Darunter sind brutale Gewalttaten, die sich gegen politische Gegner richten. Wer sind die oft sehr jungen Täter? 19.03.2025 | 29:31 min

Das Erbe der "Baseballschlägerjahre"

Und im Alltag zeigt sich: NS-verherrlichende Inhalte seien unter Jugendlichen sehr präsent, auch komme es zu Anfeindungen gegen andere Kinder, berichtet das Aktionsbündnis Brandenburg. Leiterin Maica Vierkant sagt:

Nicht nur im schulischen Bereich sehen wir eine steigende Zahl sehr junger Rechtsextremer. Hier verschiebt sich etwas.

Maica Vierkant, Aktionsbündnis Brandenburg

Besorgniserregend sei auch der Umgang mancher Eltern mit Kindern, die etwa Hakenkreuze auf Bänke oder Schulwände schmieren. "Manche Eltern sagen dann: 'Ja und?' Uns wird berichtet, dass es weniger Gegenwind von den Eltern gibt als früher", so Vierkant.
Nahaufnahme von der App TikTok
Insbesondere junge Menschen sind auf TikTok unterwegs – und nutzen die Plattform teils auch als Informationsquelle. Doch LKA-Ermittler warnen vor extremistischen Inhalten. 02.05.2025 | 2:43 min
Ritzmann erklärt: Einige Jugendliche hätten nicht TikTok zum Vorbild, sondern ihre eigenen Eltern.

Die Baseballschläger-Skinheads aus den 90ern haben jetzt 16-jährige Kinder.

Alexander Ritzmann, Counter Extremism Project

Es falle auf, mit welcher Feindschaft und Gewalt diese etwa Reporter*innen begegneten. "Diese Jugendlichen laufen in den Stiefeln ihrer Väter."
Anna Bayer ist Reporterin im ZDF-Studio in Potsdam.

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