Rechtsextreme Jugend: Gefahr durch Radikalisierung im Netz

Interview

Experte über junge Rechtsextreme:Wenn Eltern und Kinder "mit dem gleichen Nazi-Shit kommen"

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Rechte Jugendliche zeigen ihre Gesinnung immer offener und selbstbewusster. Was Prävention so schwierig macht - ein Gespräch mit Experte Andreas Speit.

Rechtsextreme Jugend
Das Gespräch mit Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit im Video.22.05.2025 | 6:11 min
Wie gefährlich ist die rechtsextreme Jugendgruppe "Letzte Verteidigungswelle" wirklich? Im ZDF-Interview warnt Andreas Speit, ein profunder Kenner der rechtsextremen Szene in Deutschland, vor einer "neuen Qualität" der Radikalisierung: Jugendliche im Alter von nur 14 bis 18 Jahren, die sich über Chatgruppen bundesweit vernetzten - und nur aufgenommen würden, wenn sie bereits eine Gewalttat begangen haben.
Sehen Sie das ganze Interview mit dem Experten oben im Video und lesen Sie hier die wichtigsten Thesen. Das sagt Andreas Speit über ...

... die zunehmende Radikalisierung Jugendlicher

Die jetzt aufgeflogene Gruppe, erklärt Andreas Speit, bestehe aus Jugendlichen im Alter von nur 14 bis 18 Jahren. Es sei "erschreckend zu sehen, dass mittlerweile eben auch sehr jugendliche Personen sich wirklich rechtsextremer Gedankenwut wieder anschließen". Speit betont:

Besonders alarmierend ist, dass die Gruppe offenbar nur Mitglieder aufnimmt, die bereits eine Straf- oder Gewalttat begangen haben - ein klares Zeichen für eine neue Stufe der Radikalisierung.

Andreas Speit, Rechtsextremismus-Experte

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Es handle sich hier eigentlich um eine Bewegung gegen den sogenannten "Großen Austausch". Das ist, erklärt Speit, eine der Verschwörungserzählungen, die sowohl in der AfD, bei der "Identitären Bewegung, aber eben auch bei dieser Gruppe eine ganz große Rolle spielt". Dass man eben versuche, "vermeintlich die ureigene Bevölkerung vor dem 'großen Austausch' durch Fremde zu schützen und in diesem Fall mal wirklich bereit gewesen ist, eben auch Gewalttaten zu verüben". Speit warnt aber:

Man sollte nicht nur jetzt auf die Jugendlichen und jungen Erwachsenen schauen, sondern wir müssen auf die Mitte der Gesellschaft schauen und dort sind die rechten Ressentiments in den letzten Jahren gestiegen.

Andreas Speit, Experte

... über die Rolle von Gesellschaft und Elternhaus bei der Radikalisierung

Der Autor und Publizist betont, dass rechtsextreme Einstellungen zunehmend in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien. Diese Normalisierung rechter Sprache und Denkmuster habe sich in den letzten Jahren verstärkt - etwa durch politische Verschiebungen und die Verbreitung rechter Narrative in sozialen und politischen Debatten.
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Für ihn ein besonders kritischer Punkt: Viele der heute radikalisierten Jugendlichen stammten aus Elternhäusern, in denen rechtsextreme Ideologien bereits in den 1990er Jahren verbreitet gewesen seien - den sogenannten "Baseballschlägerjahren". Diese Eltern seien "heute oft gesellschaftlich etabliert, beruflich integriert oder sogar kommunalpolitisch aktiv".
Das bedeute: Die Radikalisierung werde in manchen Familien weitergegeben, was schulische Präventionsarbeit massiv erschwere.

Und dementsprechend ist es auch sehr schwierig, an diese Jugendlichen heranzukommen, weil ein Elterngespräch in der Schule hilft da wenig, wenn die Eltern, sage ich jetzt mal ein bisschen salopp, mit dem gleichen Nazi-Shit kommen wie die Kinder, die man vielleicht im Unterricht hatte.

Andreas Speit, Experte

... über die Gefahr digitaler Radikalisierung und Chatgruppen als Hass-Plattformen

Der Experte Speit ist überzeugt: Ein zentrales Merkmal der heutigen rechtsextremen Jugendbewegungen ist ihre "digitale Organisation". Anders als in den 1990er Jahren, als rechtsextreme Gruppen meist lokal organisiert gewesen seien, vernetzten sich heutige Gruppen über soziale Medien und Chatplattformen. Diese ermöglichten eine schnelle, grenzüberschreitende Radikalisierung, bei der sich Jugendliche gegenseitig bestärken, aufstacheln und ideologisch aufladen würden.
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Speit spricht von einer "Hetz-Community", in der viele mitwirkten - auch wenn nur wenige letztlich zur Tat schreiten. Die digitale Kommunikation ersetze klassische Strukturen wie Kameradschaften und schafft neue Räume für anonyme, aber intensive Radikalisierung.

Und wir wissen von einzelnen Attentätern, wo wir mittlerweile ganz deutlich sagen können, ohne die sozialen Netzwerke, ohne die globale Vernetzung, hätten die sich nicht so individuell radikalisiert.

Andreas Speit, Experte

Man müsse ja ganz deutlich sagen, so Speit weiter, "vielleicht hat nur ein einzelner geschossen oder eine einzelne Gruppe ist zur Gewalttat übergegangen, aber gehetzt haben ganz, ganz viele und mit angeheizt haben ganz, ganz viele".

... fehlende Prävention und die Kürzung von Demokratieprojekten

Ein weiteres Problem ist, so glaubt der Experte, der Rückgang finanzieller Unterstützung für Demokratieprojekte - besonders an Schulen. Diese Projekte seien entscheidend, um frühzeitig gegen rechtsextreme Einstellungen vorzugehen und demokratische Werte zu vermitteln. Doch vielerorts - besonders in Regionen mit starkem Einfluss der AfD - würden diese Projekte nicht mehr ausreichend gefördert oder sogar blockiert.
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Außerdem dürfe die Präventionsarbeit nicht nur ganz generell auf Jugendliche zielen, sondern es müssten auch gesellschaftliche Strukturen und Männlichkeitsbilder hinterfragt werden.

Das Phänomen, das sieht man auch gerade bei den Ermittlungen aktuell, reduziert sich ein wenig auf junge Männer und in bestimmten Regionen.

Andreas Speit, Experte

Das, so glaubt der Rechtsextremismus-Kenner, deute darauf hin, dass "wir eben auch ein Phänomen haben, dass hier irgendeine Suche nach Männlichkeit, nach was Heroischem, vielleicht auch nach was Soldatischem eine ganz große Rolle spielt, dass sich hier junge Männer eben auch bestätigt und auch bestärkt fühlen wollen in ihrer Rolle".
Viele junge Männer suchten in diesen Gruppen nach Identität, Stärke und Zugehörigkeit - oft mit einem Hang zu soldatischem oder heroischem Selbstbild. Bildungsarbeit muss daher auch geschlechterspezifische Aspekte berücksichtigen.
Das Interview führte Volle-Kanne-Moderatorin Nadine Krüger.

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