Kontaktgebühr: Patientenschützer warnen vor Arbeitgebervorschlag

Kritik an Arbeitgeber-Vorschlag:Patientenschützer warnen vor Kontaktgebühr

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Um "Ärzte-Hopping" zu begrenzen, fordern die Arbeitgeberverbände eine Kontaktgebühr für jeden Arztbesuch. Kritiker mahnen, diese würde Kranke belasten und Ungleichheit verschärfen.

Berlin: Gesundheitskarten verschiedener Krankenkassen liegen auf einem Tisch. Archivbild

Den gesetzlichen Krankenversicherungen könnte laut Expertengremium 2025 eine Finanzierungslücke von 47 Milliarden Euro entstehen. Dabei zahlen die Beitragszahler nicht nur für Ärzte und Medizin.

03.06.2025 | 8:02 min

Angesichts steigender Zusatzbeiträge bei den Krankenkassen schlägt der Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, eine Kontaktgebühr beim Arztbesuch vor. "Wir Arbeitgeber wollen, dass die Krankenversicherungsbeiträge endlich stabil werden. Das bedeutet aber, wir brauchen auch geringere Ausgaben", sagte der CDU-Politiker im "Berlin Playbook"-Podcast von "Politico".

So kann eine Kontaktgebühr eine stärkere Patientensteuerung herbeiführen.

Steffen Kampeter, BDA-Geschäftsführer

Die Arbeitgeber zahlen wie die Versicherten die Krankenkassenbeiträge mit.

Arbeitgeber: Es braucht keine "unnützen Arztbesuche"

Man brauche keine "unnützen Arztbesuche", sondern solche, die Kranken helfen, gesund zu werden. Anders als bei der ehemaligen Praxisgebühr, bei der von 2004 bis 2012 beim ersten Arztbesuch im Quartal zehn Euro fällig wurden, würde die Kontaktgebühr bei jedem Besuch anfallen, hieß es im Podcast.

Oliver Blatt | Vorstandsvorsitzender GKV-Spitzenverband

"Wir geben zu viel Geld aus und in der Qualität sind wir nicht so, wie wir sein müssen", so Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender GKV-Spitzenverband zur Finanzierungslücke der gesetzlichen Krankenversicherungen.

20.08.2025 | 4:58 min

Zur Höhe der von ihm geforderten Gebühr äußerte sich Kampeter im Podcast nicht konkret. "Mir geht es nicht primär um die Einnahmen, sondern darum, Ärzte-Hopping zu begrenzen", wird Kampeter zitiert. Der Sozialstaat sei in den vergangenen Jahren deutlich stärker gewachsen als die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes, warnt Kampeter: "Der Sozialstaat ist quasi insolvent."

Deutsche Stiftung Patientenschutz: "Alte Leier"

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, spricht auf Anfrage von ZDFheute von einer "alten Leier" und erklärt, dass die 2012 abgeschaffte Praxisgebühr "keine Steuerwirkung" gehabt habe. Neben dem hohen Verwaltungsaufwand für die Praxen verweist Brysch auf die damaligen Auswirkungen einer solchen Gebühr:

Ebenso konnte registriert werden, dass es Patienten gab, die auch wegen der Praxisgebühr viel zu spät eine ärztliche Konsultation aufsuchten.

Eugen Brysch, Stiftung Patientenschutz

Ähnlich argumentiert auch die Gewerkschaft Verdi. Kontaktgebühren trügen "nicht zu einer besseren Patientensteuerung bei und würden die soziale Schieflage in der medizinischen Versorgung weiter verschärfen", sagt Sylvia Bühler, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand, zu ZDFheute. "Wer krank ist, muss zum Arzt oder zur Ärztin gehen können - ohne Angst vor zusätzlichen Kosten."

Chancen für eine bedarfsorientierte Steuerung liegen in einem starken Primärarztsystem wie es auch im Koalitionsvertrag vorgesehen ist.

Sylvia Bühler, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand

Für ein solches System brauche es aber "vor allem in den ländlichen Regionen dringend tragfähige Konzepte, um eine wohnortnahe Versorgung sicherzustellen", so Bühler.

"Wartezimmer" ist auf der Tür eines Wartezimmers in einer Arztpraxis zu lesen.

Die gesetzlichen Krankenkassen unterstützen den rot-schwarzen Vorschlag, Facharzttermine künftig über Hausarztpraxen zu koordinieren. Dadurch sollen Wartezeiten reduziert werden.

03.04.2025 | 0:24 min

Kassenärztliche Bundesvereinigung fordert Mitsprache

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hingegen hält es grundsätzlich für "richtig und notwendig", dass über Patientensteuerung gesprochen wird. "Aber in dem Sinne, die Menschen dorthin zu bringen, wo sie richtigerweise mit ihrem gesundheitlichen Anliegen hingehören. Grundlage dafür muss die medizinische Notwendigkeit sein", sagt der KBV-Vorsitzende Andreas Gassen zu ZDFheute.

Dennoch müsse man auch darüber nachdenken, "ob diejenigen, die sich partout nicht steuern lassen wollen und die selber in jedem Fall frei wählen wollen, etwa einen etwas höheren Krankenkassentarif leisten müssen".

Eine Kontaktgebühr je Arztbesuch wäre das, was in vielen Ländern üblich ist, aber jeden Patienten finanziell belasten würde und auch erheblichen Verwaltungsaufwand darstellt.

Andreas Gassen, KBV-Vorsitzender

Arztpraxis

Der Ärztemangel im ländlichen Raum ist deutlich spürbar, Patienten müssen oft weite Wege in Kauf nehmen. Im nordthüringischen Greußen gibt es nur noch einen Hausarzt für fast 6.000 Einwohner.

28.05.2025 | 1:58 min

Eine Praxisgebühr "alter Prägung" lehnt der KBV ab, bringt jedoch "Selbstbeteiligungsmodelle" ins Gespräch, die "kein Tabu sein" sollten. Auch fordert der KBV Mitsprache:

Das Thema Patientensteuerung sollte von der Politik mit uns diskutiert werden.

Andreas Gassen, KBV-Vorsitzender

Sozialverband: Arbeitgeber-Vorstoß ist "unsolidarisch"

Der Sozialverband SoVD hält den Arbeitgeber-Vorstoß für inhaltlich abwegig. Die Vorsitzende Michaela Engelmeier sagte der Deutschen Presse-Agentur:

Diese Forderung ist unsolidarisch, weil dadurch besonders chronisch kranke Menschen überdurchschnittlich belastet würden.

Michaela Engelmeier, SoVD-Vorsitzende

Menschen mit wenig Geld würden dann auch häufiger auf notwendige Arztbesuche verzichten. "Die Folge: verschleppte oder zu spät behandelte Erkrankungen, die letztlich höhere Kosten verursachen und die Solidargemeinschaft zusätzlich belasten. Hinzu kommt der bürokratische Mehraufwand in den Praxen, der zulasten der Behandlungszeit für Patientinnen und Patienten geht."

Krankenkassenkarte wird gescannt

Seit Januar 2024 gibt es verschreibungspflichtige Arzneien per E-Rezept. Doch das System fällt zu oft aus - zum Ärger vor allem für die Patienten, monieren nicht nur Apotheker.

08.08.2025 | 1:34 min

CDU-Generalsekretär verweist auf Kommission

Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hält Reformen bei den Sozialversicherungen zwar für dringend nötig, will einer eigens dazu eingesetzten Kommission aber nicht vorgreifen. "Wir werden Reformen machen müssen, gerade bei den Sozialversicherungen, weil die Lohnnebenkosten uns abhauen", sagte Linnemann am Rande einer Klausurtagung der CDU Rheinland-Pfalz in Mainz. Wo genau etwas geändert werden solle, müsse geschaut werden.

Wir haben eine Kommission eingerichtet, die sich mit diesen Themen beschäftigt.

Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär

Linnemann sagte, er wolle einzelne Punkte nicht herausziehen, aber klar sei, die Sozialversicherungsbeiträge seien zu hoch. "Und das spüren die Arbeitnehmer. Wir haben keine Probleme mit Bruttolöhnen, sondern mit Nettolöhnen, und deswegen müssen wir da ran."

Grundsätzlich müsse Eigenverantwortung wieder gestärkt werden. "Wir werden auch darüber reden, ob die telefonische Krankschreibung so sinnvoll ist oder ob man nicht sagt, wenn man krank ist, muss man zum Arzt gehen", sagte der CDU-Generalsekretär.

Rechnungshof warnt vor Milliardendefizit bei Krankenkassen

Der Bundesrechnungshof hatte zuletzt in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags vorausgesagt, dass nach einem Rekordwachstum bei den Ausgaben im vergangenen Jahr auch künftig die Einnahmen der Krankenkassen durchgängig unter den Ausgaben bleiben würden.

Das jährliche Milliardendefizit hätte "einen Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von 0,3 Beitragssatzpunkten pro Jahr" zur Folge.

Quelle: dpa, epd, ZDF

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