Krankenkassen-Krise: DAK-Chef Storm spricht von dramatischer Lage

Interview

Milliardenloch der Krankenkassen:DAK-Chef Storm: "Dramatische Finanzlage"

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2028 sollen in den gesetzlichen Krankenkassen zwölf Milliarden Euro fehlen. Andreas Storm, Chef der DAK-Gesundheit, fordert, die Ausgaben sofort zu begrenzen.

Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit
DAK-Chef Andreas Storm mahnt: "Es muss jetzt gehandelt werden."
Quelle: dpa

ZDFheute: Den Krankenkassen sollen bis 2028 zwölf Milliarden Euro fehlen. Können Sie diese Zahl bestätigen und die Ursachen für den Anstieg erklären?
Andreas Storm: Die DAK-Gesundheit weist schon seit langem auf die dramatische Finanzlage in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung hin. Das zeigen die Prognosen des Instituts zur Entwicklung der Sozialabgaben (IGES) bis zum Jahr 2035, die wir in Auftrag gegeben haben und die sich jetzt bestätigen.
SGS Slomka Storm
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Es gibt zwei Ursachen für die Entwicklung und die Beitragsspirale für Versicherte und Arbeitgeber: Die Kranken- und Pflegekassen haben in den vergangenen Jahren nicht die Bundesmittel bekommen, die ihnen zustehen. Hier geht es um Milliardenbeträge. Und gleichzeitig steigen die Ausgaben im Gesundheitssystem viel stärker als die Einnahmen.
ZDFheute: Sie sagen, dass es ein Vorschaltgesetz braucht, das heißt, dass die Ausgaben durch Leistungskürzungen begrenzt werden. Was würde das denn ausmachen? Und vor allen Dingen: Würde ein solches Gesetz ausreichen, um Beitragsanstiege abzuwenden?
Storm: Die gesetzliche Krankenversicherung und die Pflegeversicherung sind zum Notfall geworden. Sie brauchen eine Not-Operation und eine Behandlung auf der Intensivstation. Wird jetzt nicht gehandelt, dreht sich die Beitragsspirale für 75 Millionen Versicherte und die Arbeitgeber ungebremst weiter. Und die Zukunft des Gesundheits- und Pflegesystems gerät in Gefahr.
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Die neue Bundesregierung muss deshalb zeitgleich und kurzfristig zwei Maßnahmen anpacken. Sowohl in der Kranken- als auch in der Pflegeversicherung geht es zuallererst um die Bundesmittel für versicherungsfremde Leistungen, sowie um die Gelder, die den Versicherten zustehen. Darüber hinaus muss der Ausgabenanstieg gebremst werden.
ZDFheute: Was heißt das konkret?
Storm: Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für die Empfänger von Bürgergeld liegen Jahr für Jahr zehn Milliarden Euro höher als die Finanzmittel, die der Bund den Kassen dafür erstattet. Unstreitig ist: Dieses Vorgehen des Bundes ist auch verfassungsrechtlich nicht haltbar.

Wenn der Bund der gesetzlichen Krankenversicherung jährlich die ihnen fehlenden zehn Milliarden Euro überweist, könnten die Beiträge für Versicherte und Arbeitgeber schon 2026 stabil bleiben.

Das Gleiche gilt für die Pflegeversicherung: Der Bund muss den Pflegekassen 5,2 Milliarden Euro für Coronahilfen zurückzahlen und setzt dies seit Jahren nicht um. Stattdessen sollen Krankenkassen und Pflegekassen jetzt jeweils mit Darlehen abgespeist werden, die nichts mit einer nachhaltigen Finanzierung zu tun haben.
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ZDFheute: Die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken sagt, sie will allen im Gesundheitssystem zuhören und dann ihre Schlüsse ziehen. Müsste sie nicht viel stärker auf die Bremse treten, wenn man sich die aktuellen Zahlen anschaut?
Storm: Der Ausgabenanstieg in den ersten Monaten des Jahres 2025 ist wie schon im Vorjahr dramatisch. Das gilt beispielsweise für die Arzneimittel, aber auch für die Krankenhauskosten. Deshalb braucht es neben den Soforthilfen des Bundes kurzfristig ein Vorschaltgesetz. Hier muss verbindlich festgelegt werden, dass die Kosten für die Ausgaben im Gesundheitssystem nicht stärker steigen dürfen als die Einnahmen.
Die Projektionen von IGES für die DAK-Gesundheit zeigen, dass dieser Zweistufenplan die Beiträge für die gesetzlichen Krankenkassen in den kommenden Jahren stabilisieren kann.

Die Beitragsspirale lässt sich stoppen, wenn die Regierung jetzt handelt.

ZDFheute: Eine Kommission soll Reformen anstoßen, sowohl im Gesundheitswesen als auch in der Pflege. So entsteht der Eindruck, man hätte noch Zeit. Hat man diese?
Storm: Nein. Wer bis zu ersten Ergebnissen der Regierungskommission nach den Landtagswahlen im kommenden Jahr abwarten will, der hat die Dramatik der Situation nicht begriffen. Es muss jetzt gehandelt werden.
Das Interview führte ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Britta Spiekermann.

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