Lohnzusatzkosten: Arbeitgeber fordern radikale Reformen

Interview

Arbeitgeberverband:"Arbeit ist zu teuer": BDA pocht auf Reformen

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Kontaktgebühr, Ende der telefonischen Krankschreibung: Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA, fordert Reformen, um die Lohnzusatzkosten zu senken.

Ein Arbeiter ist auf einer Baustelle beschäftigt.
Arbeit sei mit Blick auf die Lohnzusatzkosten zu teuer, sagt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA. (Symbolbild)
Quelle: dpa

ZDFheute: Bundeskanzler Friedrich Merz versucht gute Stimmung zu verbreiten, die Wende sei bereits eingeleitet. Sind auch Sie guter Stimmung?
Steffen Kampeter: Im Koalitionsvertrag steht zu wenig zu den Sozialstaatsreformen, die wir dringend brauchen. Eine Kommission hier, eine abstrakte Ankündigung da, das sind noch keine Reformen. Deswegen setzen wir darauf, dass die Regierung im Herbst auch tatsächlich konkreter wird und eine große Sozialstaatsreform auf den Weg bringt.
Unser Land braucht einen Reformschub, damit wir weiter wirtschaftlich erfolgreich sind und unseren Wohlstand halten können.

Die Koalition ist mit großen Vorschlusslorbeeren gestartet, aber im Herbst muss jetzt auch was auf dem Lieferschein stehen. Ansonsten zerbröselt der Stimmungswandel.

Porträt Fernsehratsmitglied Steffen Kampeter
Quelle: BDA/Michael Hübner

... seit Juli 2016 Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Zuvor war der CDU-Politiker von 1990 bis 2016 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 2009 bis 2015 parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er sagt, die hohen Sozialversicherungsbeiträge drückten auf die Lohnzusatzkosten und seien damit einer der Hauptgründe für die Krise der deutschen Wirtschaft.

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ZDFheute: Sie geben das Stichwort: Die sozialen Sicherungssysteme stehen unter erheblichen Druck, die Lohnzusatzkosten steigen. Das ist bekanntlich Gift für die Wirtschaft.
Kampeter: Früher haben wir von Lohnnebenkosten geredet, dann von Lohnzusatzkosten - jetzt marschieren wir durch den Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge langsam auf Lohnhauptkosten zu. Arbeit ist zu teuer. Wenn die Beiträge weiter steigen, exportieren wir kontinuierlich Arbeit aus Deutschland heraus.

Der Sozialstaat nimmt einen immer höheren Anteil an unseren Arbeitskosten ein, ohne dass es dafür im Austausch eine hervorragende Krankenversicherung, eine ausgezeichnete Pflegeversicherung, eine perfekte Arbeitslosenversicherung gibt.

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ZDFheute: Immer mehr Geld ins System - geht die Rechnung auf?
Kampeter: Im Gegensatz zu vielen anderen sage ich: Es ist genug Geld im System, wir geben es aber nicht treffsicher genug aus, weil wir zu wenig Steuerung haben. In dem Zusammenhang war es aus meiner Sicht falsch, die Praxisgebühr abzuschaffen. Sie war eine brauchbare Idee, um Patienten zu mehr Eigenverantwortung zu bewegen. Sie war nur nicht effizient genug umgesetzt.
Wir bräuchten eine steuernde Kontaktgebühr. Deutschland hat im internationalen Vergleich sehr viele Patientenkontakte. Und die Patienten kommen auch nicht immer in der passenden Versorgung an.
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Wenn Sie beispielsweise in eine Notaufnahme gehen, ohne eine Ersteinschätzung - gern auch digital - gemacht zu haben und dann festgestellt wird, sie haben eigentlich gar nichts Schlimmes, was eine Notaufnahme rechtfertigen würde, dann sollten Sie eine Kontaktgebühr bezahlen. Das ist keine Zumutung, sondern Eigenverantwortung und auch eine höhere Wertschätzung für medizinische Leistungen.
ZDFheute: Auch die telefonische Krankschreibung ist Ihnen einen Dorn im Auge.
Kampeter: Wir haben hohe Krankheitsstände, fast wie zu Zeiten der Corona-Pandemie. Nach der Einführung der coronabedingten telefonischen Krankschreibung sind diese nicht wieder zurückgegangen. Das liegt unter anderem an der telefonischen Krankschreibung.

Die hohen Krankheitsstände führen in Betrieben zu Missmut, weil die Arbeit von Kolleginnen und Kollegen miterledigt werden muss.

Das verursacht Kosten, das senkt Produktivität - und es ist natürlich in vielen Betrieben mit einer Art gesellschaftlichem Schweigegelübde belegt.
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ZDFheute: Wie bewerten Sie die Arbeit der neuen Ministerin Nina Warken, die von Haus aus keine Gesundheitspolitikerin ist. Ist das ein Nachteil?
Kampeter: Das ist eine Chance. Sie blickt unvoreingenommen auf die Beitragszahler und die Bruttoarbeitskosten. Sie versteht womöglich, dass die Gesundheitsausgaben nicht schneller steigen dürfen als die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, weil ansonsten das System implodiert.
Ich kenne viele Gesundheitspolitiker, bei denen ich von einer gewissen Betriebsblindheit sprechen möchte. Deswegen freue ich mich, dass jetzt jemand mit einem politischen Profil dieses Ministerium führt. Die vorhandenen Mittel müssen vernünftig und treffsicher eingesetzt werden - dafür muss Frau Warken sorgen.
Das Interview führte Britta Spiekermann, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.

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Quelle: dpa

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