Interview
Hohe Kosten, steigende Beiträge:Notfallpatient Krankenkassen
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Wer mehr ausgibt als er einnimmt, hat ein Problem. Das ist bei den gesetzlichen Krankenkassen der Fall. Die Rechnung gleichen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus. Ein Teufelskreis.
Krankenkasse Finanznot
Die Zahlen von Ende Juni sprechen eine eindeutige Sprache: Im 1. Quartal 2025 verzeichneten die Krankenkassen einen "sehr dynamischen Anstieg" der Kosten, so das Bundesgesundheitsministerium.
Finanzierungslücke 2025: So dramatisch ist die Lage wirklich
Übersetzt heißt das: Allein im 1. Quartal stiegen die Leistungsausgaben für gesetzliche Versicherte, zum Beispiel Ausgaben für Krankenhäuser, Medikamente und ärztliche Behandlungen, um sechs Milliarden Euro im Vergleich zum 1. Quartal 2024. Besonders die Krankenhäuser zählen zu den Kostentreibern, aber auch die Ausgaben für Arzneimittel.
Dass Krankenhäuser geschlossen werden müssen, ist Expertinnen und Experten schon lange klar. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach war überzeugt, mit weniger Kliniken mehr Qualität zu erzielen. Jetzt will seine Nachfolgerin Nina Warken die Reform von der Reform, obwohl sie versichert, an den Grundprinzipien festhalten zu wollen. Laut Warken soll die Krankenhausreform "alltagstauglich" sein.
Der Bundes-Klinik-Atlas ist ein kleiner Baustein umfassender Reformen im Klinikbereich. Geplant ist außerdem, die Kliniken in bestimmte Gruppen einzuteilen: Nicht mehr alle Kliniken sollen alle Behandlungen machen dürfen, und einige könnten womöglich auch geschlossen werden.
Ziel ist ein Abbau von Doppelstrukturen, eine stärkere Spezialisierung und eine bessere finanzielle Ausstattung der Kliniken. Fallpauschalen sollen künftig nur noch 40 Prozent der Finanzierung im laufenden Betrieb ausmachen, 60 Prozent des Geldes sollen Kliniken für die Vorhaltung bestimmter medizinischer Angebote erhalten.
Allerdings löse das die Finanzprobleme und Fehlanreize im System nicht, so Fachleute wie Gerald Gaß und Wolfgang Greiner: Dafür müssten die Kosten der Kliniken für das Vorhalten ihres medizinischen Angebots unabhängig und abgekoppelt von den Fallzahlen vergütet werden.
Kliniken als Hauptkostentreiber: Ursachen und Folgen
Zunächst aber wird viel Geld fließen: vier Milliarden aus dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität als Soforthilfe für Kliniken. Warum aber verschlingen Kliniken so viel Geld?
Viele Bundesländern kommen ihrer Pflicht nicht nach, in ihre Krankenhäuser zu investieren. Viele Kliniken sehen sich daher gezwungen, mehr als nötig zu behandeln und damit mehr bei den Krankenkassen abzurechnen - zum Nachteil vieler Patienten.
Dazu kommen steigende Kosten für Energie und Personal bei zum Teil geringer Auslastung einzelner Kliniken. Laut Bundesgesundheitsministerium ist ein Drittel der Krankenhausbetten nicht belegt. Es gibt also in Deutschland eine erhebliche Überkapazität.
Steigende Arzneimittelausgaben: Neue Therapien als Preistreiber
Auch die Kosten für Arzneimittel steigen nahezu ungebremst. Im 1. Quartal um 7 Prozent beziehungsweise 874 Millionen Euro. Besonders die Ausgaben für patentgeschützte Medikamente nehmen zu, zum Beispiel für neuartige Therapien wie Gentherapeutika, die zu hohen Preisen auf den Markt kommen. Preise für sogenannte innovative Medikamente kann die Pharmaindustrie im ersten halben Jahr zunächst frei festsetzen, "ohne transparente Kriterien", wie die Techniker Krankenkasse kritisiert.
Immer häufiger lägen die Preise im fünf -bis sechsstelligen Bereich, auch die Millionenschwelle sei längst durchbrochen. Die Bezahlbarkeit neuer Arzneimittel stoße an Grenzen, so dass das wissenschaftliche Institut der AOK (wIdO) warnt:
Es ist höchste Zeit, dass die Politik entschiedene Maßnahmen ergreift, um die Preisgestaltung bei Markteinführung stärker zu regulieren, statt wie im Fall der Geheimpreise den Wünschen der pharmazeutischen Industrie zu folgen.
Helmut Schröder, Geschäftsführer wissenschaftliches Institut der AOK
Milliardenlücke bei den Krankenkassen
Laut der Prognose des Schätzerkreises, einem Gremium aus Expertinnen und Experten des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesversicherungsamtes und des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung, werden sich die Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen für das Jahr 2025 auf rund 294,7 Milliarden Euro belaufen, die Ausgaben für dasselbe Jahr auf rund 341,4 Milliarden.
Angesichts der angespannten Lage soll die gesetzliche Krankenversicherung für 2025 und 2026 jeweils ein Darlehen über 2,3 Milliarden Euro erhalten. Für die Pflegeversicherung ist für 2025 ein Darlehen von 500 Millionen Euro und für 2026 eines über 1,5 Milliarden Euro vorgesehen.
TK-Chef rechnet mit weiter steigenden Beiträgen
Darlehen seien aber keine nachhaltige Lösung, sagt der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas:
Das Geld wird bei der Krankenversicherung nicht einmal ausreichen, um die Beiträge mit Blick auf den Jahreswechsel zu stabilisieren.
Jens Baas, Vorsitzender der Techniker Krankenkasse
Wenn die Politik nicht doch noch gegensteuere, "gehe ich davon aus, dass die Zusatzbeiträge zum Jahreswechsel durchschnittlich um 0,2 bis 0,4 Prozentpunkte steigen müssen", sagt Baas.
Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen rechnet nicht damit, dass die Pläne der Bundesregierung die Beitragsspirale durchbrechen können.
Britta Spiekermann ist ZDF-Hauptstadtkorrespondentin
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