Interview
Pflegeversicherung in Not:Staffler: "Ein 'Weiter so' funktioniert nicht"
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Die Pflegeversicherung ist im finanziellen Krisenmodus. Pflegebevollmächtigte Staffler will trotzdem, dass die Pflegeversicherung "nachhaltig und generationengerecht" wird.
Pflegebevollmächtigte Staffler fordert einen "klaren Handlungskatalog", um die Finanzsituation der Pflegeversicherung zu verbessern.
Quelle: dpa
ZDFheute: Sie sind die neue Pflegebevollmächtige der Bundesregierung und gleich mit einer Pflegeversicherung im finanziellen Krisenmodus konfrontiert. Haben Sie überhaupt einen eigenen Spielraum?
Katrin Staffler: In meiner Position als Pflegebevollmächtigte habe ich natürlich eigene Vorstellungen. Ich arbeite aktiv daran, diese auch in die Gesetzgebung einfließen zu lassen und Mehrheiten für konkrete Gesetze im Parlament zu finden. Dass die Pflegeversicherung nachhaltig und generationengerecht umgestaltet werden muss, ist allen klar.
Quelle: Imago / epd
... ist seit dem Regierungswechsel neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. Die 43-jährige will vor allem die Interessen von Pflegebedürftigen und Angehörigen vertreten. Ihre Ziele: Mehr Handlungsspielraum von Pflegenden, mehr Pragmatismus, mehr Prävention. Sie sitzt in der neu konstituierten Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die Ende des Jahres Eckpunkte für eine Pflegereform vorlegen will – auch unter dem Blickwinkel der Generationengerechtigkeit.
Wichtig ist mir dabei, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben nicht alleine die Pflegebedürftigen schultern müssen. Wir sprechen hier beispielsweise von Coronahilfen, für die die Pflegeversicherung eine Erstattung vom Bund erhalten sollte. Darüber hinaus sprechen wir von Rentenversicherungsbeiträgen für pflegende Angehörige und Ausbildungskosten für Pflegekräfte, die eigentlich nicht zu den Aufgaben der Pflegeversicherung zählen.
ZDFheute: Bund und Länder prüfen eine verpflichtende Zusatzversicherung, um die Pflege auch künftig abzusichern. Geht es nur noch darum, mehr Geldquellen aufzutun?
Staffler: Nein, Geld in ein Fass ohne Boden zu schütten, ist nicht nachhaltig und macht bekanntlich wenig Sinn. Die Pflegeversicherung mit ihren komplexen, kleinteiligen Leistungen ist in die Jahre gekommen und auch die Bedarfe der Pflegebedürftigen werden individueller. Viele Pflegebedürftige ärgern sich, dass ihr Anspruch für die Tagespflege einfach verfällt, weil es vor Ort keine Angebote gibt. Für andere Leistungen gibt es fragwürdige Geschäftsmodelle, beispielsweise für die Pflegehilfsmittel, also u.a. Desinfektionsmittel oder Einmalhandschuhe im Monats-Abo, die stapeln sich dann oft bei den Menschen.
Da gibt es ganz viele Themen, über die wir in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sprechen und mutige Entscheidungen fällen müssen. Unser Ziel muss ein effizienter Mitteleinsatz sein, mit wirkungsorientierter Planung und Steuerung. Konkret könnten zum Beispiel Leistungen gepoolt, also zusammengefasst werden, um sie flexibler einsetzen zu können.
ZDFheute: Warum ist die stationäre Pflege in einem Heim überhaupt so teuer, dass es viele an den Rand ihrer finanziellen Möglichkeiten treibt?
Staffler: Pflege ist sehr personalintensiv. Der Großteil der Kosten sind die Löhne der Beschäftigten. Da wollen und können wir nicht sparen. Aber es gibt andere Kosten, wie die Investitionskosten, für die eigentlich die Länder zuständig sind. Außerdem werden Kosten für die medizinische Pflege in stationären Einrichtungen derzeit nicht von den Krankenkassen übernommen. Auch das verteuert die Pflegesätze. Insgesamt gilt:
Wir brauchen mehr Interprofessionalität, mehr Digitalisierung, effizientere und pragmatischere Prüfverfahren und mehr Freiräume für innovative Wohnformen statt Sektorengrenzen. Davon profitieren alle.
Pflegebevollmächtigte Katrin Staffler (CSU)
ZDFheute: Die Finanznöte in der Pflege sind chronisch. Da werden die versprochenen Darlehen für dieses und nächstes Jahr kaum ausreichen. Unterschätzt die Regierung die Dynamik der Lage?
Staffler: Das Darlehen verschafft uns erst einmal Zeit, aber lässt Druck im Kessel, in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu guten Lösungen zu kommen. Allein der Teilnehmerkreis unterstreicht die Tragweite. Wir sind unter anderem 18 Ministerinnen und Minister, beziehungsweise Senatorinnen und die Pflegebevollmächtigte. Wir werden Ende des Jahres Eckpunkte für eine zukunftsfähige und bezahlbare Pflegereform vorlegen - auch unter dem Blickwinkel der Generationengerechtigkeit.
Uns ist klar: Ein "Weiter so" funktioniert nicht.
Pflegebevollmächtigte Katrin Staffler (CSU)
Mein Augenmerk als Pflegebevollmächtigte liegt hierbei auf der bestmöglichen pflegerischen Versorgung und auf der Entlastung der Angehörigen.
ZDFheute: Es gibt Vorschläge angesichts knapper Ressourcen, sich auf das unbedingt Notwendige zu konzentrieren. Von den privaten Krankenversicherern kommt der Vorschlag, den Pflegegrad 1 auszusetzen. Käme das auch für Sie in Frage?
Staffler: Nein, das sehe ich anders. Gerade frühzeitige Interventionen sind wichtig, um eine rasche Zunahme der Pflegebedürftigkeit zu verhindern. Alle Pflegegrade müssen aber in ihrer Ausrichtung auf den Prüfstand und ich schlage vor, gerade den Pflegegrad 1 deutlicher auf Präventionsleistungen auszurichten.
ZDFheute: Bundesgesundheitsministerin Nina Warken wünscht sich eine "mutige Reform". Was wäre denn aus ihrer Sicht ein mutiger Reformschritt?
Staffler: Die Ausgangslage ist, genau wie die Szenarien der kommenden Jahre und auch die Ideen, was getan werden kann, bekannt. Wir müssen jetzt einen klaren Handlungskatalog aufstellen. Dazu gehören aus meiner Sicht das Poolen von Leistungen, Sektorengrenzen abzubauen, mehr Digitalisierung und pragmatische Kontrollen statt ausufernder Bürokratie. Wir müssen den Menschen, den Pflegebedürftigen und den Pflegekräften, mehr Freiheit geben, denn sie wissen am besten, was für eine selbstbestimmte Pflege nötig ist.
Das Interview führte Britta Spiekermann, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.
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