Magdeburg: Sechs Monate nach Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt

Aufarbeitung und Gedenken:Magdeburg - sechs Monate nach dem Anschlag

Andreas Weise, ZDF-Landesstudioleiter in Sachsen-Anhalt
von Andreas Weise
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Ein halbes Jahr nach dem Anschlag in Magdeburg sind noch immer viele Fragen offen. Ein Untersuchungsausschuss läuft, doch Beteiligte zeigen sich ernüchtert von den Ergebnissen.

Am Gedenkort des Anschlags am Magdeburger Weihnachtsmarkt legt eine Frau Blumen ab, umringt von trauernden Menschen.
Magdeburg: Gedenken nach Anschlag
Quelle: dpa

Am 20. Dezember 2024 rast ein Attentäter mit seinem SUV über den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Auch ein halbes Jahr später ist noch vieles nicht geklärt - zum Beispiel, wer für die Lücken im Sicherheitskonzept verantwortlich ist. Betroffene fordern Aufklärung - der Prozess gegen den Täter soll auch noch in diesem Jahr beginnen.
Polizist auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt nach dem Anschlag
Bei dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt hat der Täter den Markt komplett durchquert. Erst danach kam das Auto zum Stehen. Der mutmaßliche Täter wurde festgenommen.21.12.2024 | 1:50 min

Junger Helfer: "Kämpfte mit Wahnvorstellungen"

Es ist Wochenmarkt auf dem Alten Markt vor dem Magdeburger Rathaus. Ein paar Stände, Obst, Gemüse und Wurstwaren werden verkauft. Vor sechs Monaten war hier auch, wie jedes Jahr, der Weihnachtsmarkt.
Der Abiturient Bastian-Joel Hein arbeitete als Aushilfe an einem Crêpe-Stand. Dann geschah um kurz nach 19 Uhr das Unfassbare. Ein SUV raste zwischen den Ständen durch, riss sechs Menschen in den Tod, verletzte über 300 weitere, einige von ihnen schwer. Bastian-Joel Hein half sofort, Verletzte zu versorgen. Am Abend selbst, sagt er, war er einfach nur erschöpft. Doch dann kamen die Bilder immer wieder hoch, verfolgten ihn wochenlang:

Ich hatte zu kämpfen mit Wahnvorstellungen, ich habe die ganze Zeit zu der Uhrzeit alles wieder wahrgenommen, was ich in dem Moment quasi wahrgenommen hab. Das war keine schöne Zeit für mich.

Bastian-Joel Hein

Mithilfe einer Seelsorgerin und guter Freunde gehe es ihm nun besser, sagt er. Doch große Menschenansammlungen machen ihm immer noch schwer zu schaffen.
Porträtaufnahme: Taleb Al-Abdulmohsen, Attentäter von Magdeburg
Hätte der Anschlag von Magdeburg verhindert werden können? Warum wurde der Täter nicht vorher gestoppt?19.02.2025 | 16:49 min

Gedenken und Aufarbeitung

Seit dem Tag des Anschlags brennen vor der Johanniskirche, ein paar Schritte weiter, Kerzen, werden Plüschtiere abgelegt - im Gedenken an die Opfer. Ein permanentes Denkmal ist geplant.
Dass der Weihnachtsmarkt auch in diesem Jahr wieder dort stattfinden soll, wo diese schreckliche Tat geschah, hat in Magdeburg für Kritik gesorgt, aber auch Zustimmung von den Bürgern erfahren. Oberbürgermeisterin Simone Borris ist sich selbst noch nicht ganz sicher, wie sie dann reagieren wird. Wichtig ist ihr, dass der erste Jahrestag des Anschlags würdig begangen wird.

Am 20. Dezember soll der Weihnachtsmarkt geschlossen bleiben und wir sind in den Vorbereitungen perspektivisch in Abstimmung, auch mit Betroffenen, wie wir den Tag dann am 20. Dezember gestalten können und auch wollen.

Simone Borris, Oberbürgermeisterin Magdeburg

Konsequenzen aus Magdeburg
Nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist ein Untersuchungsausschuss im Landtag von Sachsen-Anhalt eingesetzt worden.22.01.2025 | 2:27 min

Untersuchungsausschuss will Antworten finden

Schon kurz nach dem Anschlag und bis heute wird heftig diskutiert: Hätte der Angreifer früher gestoppt werden können? Wer hat versagt? Antworten darauf gibt es bisher nicht.
Ein Untersuchungsausschuss des Landtags will sie finden. Die Ausschussvorsitzende, Karin Tschernich-Weiske von der CDU, ist nach den ersten Monaten durchaus ernüchtert von den Ergebnissen der Sitzungen. "Wir sehen, dass sich manchmal der eine auf den anderen verlässt, und der andere aber wiederum auf den einen, und dass dann Dinge schiefgehen, die wir für die Zukunft unbedingt vermeiden müssen", sagt sie.

Wir müssen wissen, welche Behörde ist für welchen Schutz zuständig, wer muss was machen.

Karin Tschernich-Weiske, CDU

Magdeburg: "Ich hasse den Hass" ist am Gedenkort vor der Johanniskirche auf einem Zettel zu lesen der gerahmt in Mitten von Blumen und Kerzen steht.
Nach dem Terroranschlag in Magdeburg erleben Menschen mit Migrationshintergrund verstärkt Anfeindungen. Trotz rechter Gesinnung des Täters leiden sie unter den Folgen der Tat.09.01.2025 | 1:39 min

Lücken im Sicherheitskonzept

Dass das Sicherheitskonzept Lücken hatte, ist klar. Doch Verantwortung übernimmt dafür bis jetzt niemand. Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag ist erschüttert:

Ich bin immer ganz froh, wenn im Publikum eben keine Opfer sitzen, weil es tatsächlich peinlich ist, miterleben zu müssen, wie Landesbedienstete, wie städtische Bedienstete sich hier aus der Verantwortung herausreden.

Eva von Angern, Die Linke

Prozess gegen Attentäter noch dieses Jahr

Und der Attentäter? Gegen ihn soll noch in diesem Jahr der Prozess beginnen. Da mit mehr als 300 Nebenklägern gerechnet werden muss, die dann alle ein Recht haben, am Prozess teilzunehmen, wird auf einer Wiese in Magdeburg für einen einstelligen Millionenbetrag extra ein temporäres Gerichtsgebäude errichtet.
Kein Gerichtssaal in Sachsen-Anhalt, selbst in ganz Deutschland wäre groß genug für diesen Prozess. Er könnte in die Justizgeschichte der Bundesrepublik eingehen.
Andreas Weise ist Leiter des ZDF-Studios in Sachsen-Anhalt.

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