Politologe zum Industriestrompreis: Kein "Herbst der Reformen"

Interview

Einigung auf Industriestrompreis:Politologe: "Nicht der große Herbst der Reformen"

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Union und SPD haben sich auf einen Industriestrompreis geeinigt und senken die Ticketsteuer bei Flügen. Laut Politologe von Lucke klammert die Koalition aber die großen Themen aus.

Koalition: "Signal der Handlungsfähigkeit"

Für den Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke ist der "Herbst der Reformen" schon lange Geschichte, denn "die großen Fragen" seien "nicht angerissen" worden. Doch man versuche, positive Signale zu senden.

14.11.2025 | 6:01 min

Das von der Bundesregierung beschlossene Reformpaket für die Wirtschaft reicht aus Sicht des Politikwissenschaftlers Albrecht von Lucke nicht für eine Wende aus. "Die großen Linien schaffen wir mit diesem kleinen Paket nicht zu bewältigen", sagte er im ZDF-Morgenmagazin.

Sehen Sie das Interview oben im Video in voller Länge oder lesen Sie es hier in Auszügen:

CDU, CSU und SPD hatten sich am Donnerstagabend auf die Einführung eines Industriestrompreises, die Senkung der Luftverkehrssteuer sowie einen Deutschlandfonds geeinigt, mit dem Mittelstand und Start-ups gefördert werden sollen. Diese "Ad-hoc-Maßnahmen" seien unter großem Druck zustande gekommen, sagte von Lucke.

Dass das nicht der große Herbst der Reformen ist, hat Friedrich Merz längst selbst eingestanden.

Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler

CSU-Chef Markus Soeder, Bundesministerin fuer Arbeit und Soziales Baerbel Bas (SPD), Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Bundesminister der Finanzen Lars Klingbeil (SPD)

Union und SPD haben Entlastungen für die Wirtschaft beschlossen – unter anderem eine geringere Luftverkehrssteuer. Aus der Wirtschaft gibt es Lob – von den Grünen deutliche Kritik.

14.11.2025 | 1:46 min

Keine Entscheidung zu Verbrenner-Aus und Rente

Die großen Fragen seien bisher liegen geblieben: etwa das Verbrenner-Aus oder die Rente, so der Politologe. Die Junge Union, die Änderungen beim Rentenpaket einfordere, habe die Möglichkeit, das Paket noch zu Fall zu bringen. Auch beim Klimaschutz gehe es nicht voran - im Gegenteil.

Dass die Koalition die Luftverkehrssteuer wieder senke, die bewusst eingeführt worden sei, um das Fliegen teurer zu machen, zeige: Gegenüber der Wirtschaft habe die Ökologie in dieser Regierung das Nachsehen, sagte von Lucke.

Von Lucke: Wichtig für Schwarz-Rot, Handlungsfähigkeit zu zeigen

Für die schwarz-rote Koalition sei es dennoch wichtig gewesen zu signalisieren, dass sie handlungsfähig sei, so von Lucke. Die Koalition habe ja voraussichtlich noch drei Herbste vor sich, in denen sie ihr Versprechen eines "Herbsts der Reformen" umsetzen könne.

Wir werden eine Koalition der Reformbemühungen erleben. Ob die großen Reformen kommen? Ich bin mir da nicht sicher.

Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler

Spahn: "Wirtschaft zuerst"

Für den Vorsitzenden der Unionsfraktion, Jens Spahn, dürfen Industrialisierung und Klimaschutz "kein Gegensatz sein". Würden unsere Industrien weiter schrumpfen, hätten wir "ein ernsthaftes Problem".

14.11.2025 | 7:27 min

DIW: Entscheidungen offenbar von Lobbyinteressen getrieben

Auch aus der Wirtschaft kamen kritische Stimmen, etwa zum Industriestrompreis. "Die Entscheidungen des Koalitionsausschusses scheinen von Lobbyinteressen getrieben und sind schlecht für die deutsche Wirtschaft", sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Der Industriestrompreis geht zulasten der großen Mehrheit der deutschen Unternehmen, die letztlich höhere Energiekosten werden zahlen müssen.

Marcel Fratzscher, DIW-Präsident

"Das Ziel einer Senkung der Stromkosten ist richtig", sagte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick. "Aber Angebotsausweitung und Strompreiszonen wären die bessere Antwort als neue Subventionen."

Miersch: Haltelinie - "wesentlicher Punkt"

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch ist zufrieden mit der Einigung im Koalitionsausschuss. Bei offenen Fragen zur Rente sieht er "keinen Grund, Änderungen vorzunehmen".

14.11.2025 | 4:57 min

Geteiltes Echo zur Luftverkehrssteuer

Die Senkung der Luftverkehrssteuer nannte DIW-Präsident Fratzscher ein "fatales Signal". Es "unterstreicht, dass die Bundesregierung noch immer nicht die Dringlichkeit zielgerichteter Wirtschaftspolitik verstanden hat und sie sich von Lobbyinteressen vereinnahmen lässt", so der DIW-Präsident.

Friedrich Heinemann, Finanzexperte des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), hält die Senkung dagegen für sinnvoll. So unterliege der innereuropäische Flugverkehr bereits dem europäischen Emissionshandel, eine Ticketsteuer sei daher nicht nötig.

Keine Stromsteuersenkung für Kleinunternehmen

Das Ergebnis des Koalitionsausschusses zur Stromsteuer ist eine herbe Enttäuschung für Privathaushalte und Kleinunternehmer. Für die ist demnach keine Steuersenkung vorgesehen.

04.07.2025 | 1:34 min

Anders liege der Fall bei Interkontinentalflügen, die nicht dem Emissionshandel unterliegen. Hier könne eine Luftverkehrsabgabe in der Theorie sinnvoll sein. "In der Realität hilft es dem Klima aber auch nicht, wenn der Flieger von Paris statt von Frankfurt abhebt", sagte Heinemann. Für den Interkontinentalverkehr wäre daher eine europäisch harmonisierte Abgabe wünschenswert.

Das Interview führte ZDF-Morgenmagazin-Moderatorin Eva-Maria Lemke. Zusammengefasst hat es Anja Engelke mit Informationen von Reuters.

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