Koalitionsvertrag: Wo sich Union und SPD durchgesetzt haben

Analyse

Migration, Steuern, Bürgergeld:Koalitionsvertrag: Wer sich wo durchgesetzt hat

von O. Klein, J. Schneider, K. Schubert
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Die Spitzen von Union und SPD sind sich einig, der Koalitionsvertrag steht. Bei welchen Themen haben sich CDU und CSU durchgesetzt? Und wo kann die SPD punkten? Ein Überblick.

Die Spitzen von Union und SPD stellen den Koalitionsvertrag vor
Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht. Die Vorstellung inklusive Analyse in ganzer Länge.09.04.2025 | 108:27 min
Knapp vier Wochen haben sie verhandelt. Während sich CDU, CSU und SPD in einigen Bereichen schnell einig waren - etwa in der Außenpolitik -, blieben Themen wie Migration und Finanzen bis zuletzt Knackpunkte. Wer sich im Koalitionsvertrag wo durchgesetzt hat - ein Überblick nach Themen.
Friedrich Merz, Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Bundesvorsitzender, spricht bei einer Pressekonferenz der Parteivorsitzenden von Union und SPD zur Vorstellung des Koalitionsvertrages.
"Verantwortung für Deutschland": Das ist der schwarz-rote Koalitionsvertrag. Ein Überblick über die wichtigsten Punkte.09.04.2025 | 1:02 min

Doppelte Staatsangehörigkeit

Was im Koalitionsvertrag steht

Wir schaffen die "Turboeinbürgerung" nach drei Jahren ab. Darüber hinaus halten wir an der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts fest.

Koalitionsvertrag von Union und SPD

Wer sich hier durchgesetzt hat

Die Union wollte nicht nur die von der Ampel eingeführte generelle Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft wieder abschaffen. Sie wollte auch Doppelstaatlern, die schwere Straftaten begehen, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder entziehen. Beides hat sie nicht erreicht.
Victoria Rietig
Die Union hat in vielen Bereichen die sogenannte Migrationswende auf Papier durchgesetzt, aber die SPD hat auf den letzten Metern einiges rausgeholt, ordnet Migrationsexpertin Victoria Rietig ein.09.04.2025 | 11:52 min
Das SPD-geführte Innenministerium hatte dem Entzug der Staatsbürgerschaft bereits im Januar widersprochen. "Ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit allein aufgrund des Verstoßes gegen Strafvorschriften wäre mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben" nicht vereinbar, erklärte ein Sprecher des Ministeriums auf Nachfrage der dpa.
In ihrem Regierungsprogramm äußerte sich die SPD zwar nicht zur doppelten Staatsbürgerschaft. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir positionierte seine Partei bei Abgeordnetenwatch aber eindeutig: "Für die SPD ist ganz klar: Kein Zurückrudern bei der Staatsangehörigkeitsreform." Und weiter: "Dafür haben wir Jahrzehnte gekämpft, das ist eine Selbstverständlichkeit für uns."
Mit der Abschaffung der Einbürgerung nach drei Jahren ringt die Union der SPD ein Zugeständnis ab: Die Einbürgerung soll laut CDU-Chef Friedrich Merz in Zukunft erst nach fünf Jahren möglich sein.

Drittstaatenlösung

Was im Koalitionsvertrag steht

Auf europäischer Ebene ergreifen wir mit Blick auf Debatten um das Konzept der sicheren Drittstaaten eine Initiative zur Streichung des Verbindungselements, um Rückführungen und Verbringungen zu ermöglichen.

Koalitionsvertrag von Union und SPD

Wer sich durchgesetzt hat

Der Migrationsexperte Gerald Knaus wertet die Streichung des "Verbindungselements" im EU-Recht als "wichtigen Schritt". Verbindungselement meint: Geflüchtete dürfen nach europäischem Recht nur in Drittstaaten geschickt werden, zu denen sie eine Verbindung haben. Fällt diese Voraussetzung weg, heißt das: Sichere Drittstaatsabkommen wären nach EU-Recht möglich.
Die Union hatte sich in ihrem Wahlprogramm klar für Asylverfahren in sicheren Drittstaaten ausgesprochen. Die Idee dabei: Asylbewerber durchlaufen ihre Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU, was die Migration nach Deutschland begrenzen und die Verfahren effizienter gestalten soll.
Saskia Esken, SPD-Parteivorsitzende, im Berlin-direkt-Interview
In der aktuellen Debatte um das Grundrecht auf Asyl spricht sich die SPD-Vorsitzende Saskia Esken im ZDF gegen eine Abschaffung aus. Die SPD wolle daran "festhalten", sagt sie.06.04.2025 | 5:57 min
SPD-Chefin Saskia Esken hatte noch am Wochenende bei "Berlin direkt" gesagt, dass die SPD über sogenannte Drittstaatenlösungen nicht diskutieren werde - sie hätten schließlich noch nie funktioniert. Hier mussten die Sozialdemokraten nun zurückstecken.

Solidaritätszuschlag

Was im Koalitionsvertrag steht

Der Solidaritätszuschlag bleibt unverändert bestehen.

Koalitionsvertrag von Union und SPD

Wer sich durchgesetzt hat

Im Wahlprogramm der Union hieß es noch: "Weg mit dem Rest-Soli. Wir schaffen den restlichen Solidaritätszuschlag ab. Er hat seine Aufgabe längst erfüllt, ist fast 35 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht mehr zu rechtfertigen."
Im Gegensatz dazu forderte die SPD in ihrem Programm, den Soli beizubehalten, er diene "der Finanzierung der Transformation unseres Landes". Damit setzen sich die Sozialdemokraten hier durch.
Eine Rolle könnte auch ein kürzlich getroffenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts gespielt haben. Ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete, darunter auch der ehemalige Fraktionsvorsitzende Christian Dürr, hatten eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Karlsruhe wies die Beschwerde allerdings zurück.
SGS Hayali - Schmiese -Bethmann
Welche Auswirkungen oder Standortnachteile hat der Soli für Unternehmen? Einordnungen zum Urteil im März.26.03.2025 | 4:09 min

Vermögens- und Erbschaftssteuer

Was im Koalitionsvertrag steht

Nichts. Beide Begriffe tauchen in den 146 Seiten des Koalitionsvertrags nicht auf.

Wer sich durchgesetzt hat

Das Thema der höheren Besteuerung von Vermögenden wurde im Wahlkampf heiß und häufig diskutiert. Die SPD hatte in ihrem Wahlprogramm angekündigt, "die höchsten Vermögen in unserem Land bei der Finanzierung der Gemeinschaft stärker in die Verantwortung" zu nehmen. Die Erbschafts- und Schenkungsteuer sowie eine Vermögensteuer "stärken dann die Einnahmeseite der Länder, denen das Aufkommen aus diesen Steuern zusteht."
Die Union war der entgegengesetzten Ansicht: Dort hieß es im Wahlprogramm der Union, man wolle "Menschen, die sich etwas erarbeitet und aufgebaut haben, nicht bestrafen." Der Satz "Eine Vermögensteuer lehnen wir ab" steht gleich zwei Mal wortgleich im Programm.
In diesem Punkt hat sich also die Union durchgesetzt.
kleiner Mann steht auf einem Stapel von Münzen
Gut 100 Jahre gab es in Deutschland eine Vermögensteuer, die dem Staat damals Milliarden in die Haushaltskasse spülte. Doch 1997 wurde sie plötzlich "ausgesetzt". Wie kam es dazu? 14.10.2024 | 34:28 min

Bürgergeld

Was im Koalitionsvertrag steht

Das bisherige Bürgergeldsystem gestalten wir zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende um.

Koalitionsvertrag von Union und SPD

Wer sich durchgesetzt hat

Strengere Regelungen beim Bürgergeld waren ein Kernanliegen der Union. Im Koalitionsvertrag steht nun: "Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen." Im Wahlprogramm hieß das: "Wenn jemand grundsätzlich nicht bereit ist, Arbeit anzunehmen (…) muss die Grundsicherung komplett gestrichen werden."
Allerdings steht im Koalitionsvertrag einschränkend: "Für die Verschärfung von Sanktionen werden wir die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachten." Das Bundesverfassungsgericht hatte sich zuletzt 2019 mit Sanktionen im Sozialgesetzbuch II befasst, in dem das Bürgergeld verankert ist. Gerade bei einem vollständigen Leistungsentzug kam Karlsruhe in der Gesamtabwägung zu dem Ergebnis, dass solche Sanktionen unverhältnismäßig seien.
Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU) im Studio beim TV-Duell mit den Moderatorinnen Sandra Maischberger (ARD) und Maybrit Illner (ZDF).
Auch im TV-Duell vor der Bundestagswahl war das Bürgergeld Thema.09.02.2025 | 2:41 min
Hinter dem Verhandlungserfolg der Union in Sachen Formulierung steht bei den Sanktionen also ein Fragezeichen in Sachen Umsetzbarkeit.
Insgesamt dürften sowohl Union als auch SPD mit der neuen Grundsicherung leben können: In der sonstigen inhaltlichen Ausgestaltung im Koalitionsvertrag finden sich Anliegen und Forderungen beider Parteien.

Cannabis

Was im Koalitionsvertrag steht

Im Herbst 2025 führen wir eine ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes zur Legalisierung von Cannabis durch.

Koalitionsvertrag von Union und SPD

Wer sich durchgesetzt hat

Die SPD hatte in ihrem Regierungsprogramm für "eine gerechte und schützende" Drogenpolitik geworben. Bei Cannabis wollten die Sozialdemokraten dafür "die notwendigen Schritte einleiten, um eine europarechtskonforme Legalisierung zu ermöglichen".
Die Union wiederum wollte das Cannabis-Gesetz der Ampel abschaffen. Im Wahlprogramm hieß es: "Dieses Gesetz schützt Dealer und setzt unsere Kinder und Jugendlichen dem Drogenkonsum und der Sucht aus."
Die Formulierung im Koalitionsvertrag heißt letztendlich: Entscheidung vertagt, Ausgang offen. Das gilt auch für das von der Ampel im November beschlossene Selbstbestimmungsgesetz: Es soll bis zum 31. Juli 2026 evaluiert werden. CDU und CSU wollten es abschaffen, die SPD beibehalten.
Menschen für neues Selbstbestimmungsgesetz freuen sich
Das neue Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es Menschen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen einfacher ändern zu lassen. Bisher waren dafür teure, aufwendige Gutachten notwendig.01.11.2024 | 3:10 min

Heizungsgesetz

Was im Koalitionsvertrag steht

Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen.

Koalitionsvertrag von Union und SPD

Wer sich durchgesetzt hat

Im Vergleich zum Wahlprogramm der Union fehlen hier nur zwei Worte. Dort heißt es: "Wir schaffen das Heizungsgesetz der Ampel ab." Das neue Gebäudeenergiegesetz - wie das Heizungsgesetz eigentlich heißt - soll nun "technologieoffener, flexibler und einfacher" werden. Andere Aspekte, etwa die Sanierungs- und Heizungsförderung, sollen allerdings beibehalten werden.
Die SPD hatte das Heizungsgesetz in ihrem Wahlprogramm nicht thematisiert. Es war in der Ampel das Prestigeprojekt des Grünen-Wirtschaftsministers Robert Habeck. Deshalb dürften nur wenige in der SPD für das Gesetz in seiner bisherigen Form gekämpft haben.
Friedrich Merz
Gut sechs Wochen nach der Bundestagswahl haben sich Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Sehen Sie hier die komplette Pressekonferenz der Parteispitzen.09.04.2025 | 46:20 min

Wie Union und SPD auf den Vertrag blicken

Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags werden die inhaltlichen Differenzen zwar deutlich. Und doch zeigen sich CDU-Chef Friedrich Merz, die SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken sowie CSU-Chef Markus Söder zufrieden. "Wir haben uns zwar manchmal ganz schön gefetzt, aber am Ende zusammengefunden", sagt etwa Söder. Für Merz ist die Kernbotschaft des Vertrags: "Die politische Mitte unseres Landes ist in der Lage, die Probleme zu lösen."
Grundsätzlich stellen Merz und Klingbeil viele Vorhaben aber unter den Finanzierungsvorbehalt. Die aktuelle Lage könne dazu zwingen, sich "von lieb gewordenen Projekten zu verabschieden", sagt Klingbeil. Nur bei "ganz wenigen Verabredungen" sei die Finanzierbarkeit jetzt schon sicher.
ZDF-Hauptstadtkorrespondent Wulf Schmiese sagt mit Blick auf den Koalitionsvertrag: "Es ist keine Liebesheirat, auch keine Vernunftehe, wie frühere Große Koalitionen genannt wurden, sondern eine Zwangsehe. Es gibt gar keine Alternative, für keinen dieser beiden Partner."
Die Wahrscheinlichkeit, dass die noch fehlende Zustimmung der SPD-Basis am Ende stehe, schätzt Schmiese als "hoch" ein. "Denn ihre Partei bliebe dann weiter einflussreich in der Regierung. Ginge sie nicht in die Regierung, hätte die SPD nicht einmal die Oppositionsführerschaft inne, weil die AfD stärker ist.
Am Ende sind sich die drei Volksparteien bewusst: Es könnte ihre letzte Chance sein, dass Deutschland von Parteien der Mitte regiert wird."
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