Grundsicherung statt Bürgergeld: Was Betroffene zur Reform sagen

Bürgergeld wird reformiert:Grundsicherung: Was sagen die Menschen im Jobcenter?

von Ann-Kathrin Schneider

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Die Regierung plant mit der Grundsicherung eine Reform des Bürgergelds - mit strengeren Regeln für Leistungsbezieher. Was halten die Betroffenen davon? Ein Besuch im Jobcenter.

Antrag auf Bürgergeld, darüber ein Stempel mit der Aufschrift "Neue Grundsicherung".

Strengere Regeln und mehr Sanktionen. Durch die Reform sollen Milliarden eingespart werden.

Quelle: action press

An einem sonnigen Mittwochvormittag im Münchner Norden wartet Alexandra Leonardelli im Sozialbürgerhaus Nord in der Schlange. Es ist die größte von insgesamt zwölf Jobcenter-Stellen in der Landeshauptstadt. Die 61-Jährige war ihr Leben lang als Taxifahrerin unterwegs, bis sie nach Corona krankgeschrieben wurde.

Zwei Jahre lang bekam Leonardelli anschließend Bürgergeld, nun arbeitet sie seit zwei Monaten wieder - in einem Lotto-Geschäft, 20 Stunden pro Woche. Die neuen Reformpläne zum Bürgergeld, die seit Kurzem in der schwarz-roten Koalition zur Debatte stehen, bereiten ihr Sorgen. Die Leistungen komplett zu streichen, sei "ein bisschen zu hart", sagt sie.

Die Menschen, die nicht arbeiten wollen, soll man sanktionieren - aber wenigstens so, dass man die Miete noch zahlen kann. Null Prozent geht einfach nicht. Das hat dann nichts mehr mit einem Sozialstaat zu tun.

Alexandra Leonardelli, Leistungsbezieherin

Pressekonferenz der Regierung

Wer sich weigert, eine Arbeit aufzunehmen, oder nicht zu Terminen im Jobcenter erscheint, soll künftig härter sanktioniert werden. Was steckt hinter der geplanten Grundsicherung?

10.10.2025 | 1:51 min

Reform bringt gestraffte Sanktionsregeln

Die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz hatte die Bürgergeldreform auf ihre Agenda gesetzt, um Einsparungen zu erzielen und die Vermittlung von Arbeitsplätzen voranzutreiben.

Kernstück der Reform ist eine gestaffelte Sanktionsregelung: Wer drei Meldefristen oder Pflichtterminen nicht nachkommt, muss mit massiven Kürzungen rechnen. Beim vierten Verstoß droht dann die Totalsanktion. Solch ein vollständiger Leistungsentzug ist laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur in eng definierten Extremsituationen plausibel. Die neue "Dreimal plus eins"-Regelung bewegt sich nach aktuellem Stand noch in einer rechtlichen Grauzone.

So viel vom Haushalt gibt der Bund für Bürgergeld aus

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Die Lage auf dem Arbeitsmarkt, der durch die Reform entlastet werden soll, ist indes angespannt: Die Zahl neu gemeldeter offener Stellen ist im Vergleich zum Vorjahr erneut gesunken, die Vermittlung entsprechend schwierig. Ob sich die erhofften 100.000 oder mehr Austritte aus dem Leistungsbezug realisieren lassen, ist also noch fraglich.

Lars Klingbeil, Vizekanzler und Bundesfinanzminister, sowie Bärbel Bas, Bundesarbeitsministerin, beim Pressestatement im Bundeskanzleramt, SPD Berlin.

Mit dem Bürgergeld wollte die SPD einst ihr Hartz-IV-Trauma überwinden. Nun räumen es die Sozialdemokraten wieder ab und beschließen harte Sanktionen. Die SPD-Linke ist entsetzt.

12.10.2025 | 4:14 min

Bedenken und Zuspruch für Reform

Leonardelli ist über den neuen Reformvorschlag informiert und sorgt sich, dass vor allem ältere Menschen unter dem Vorhaben der Bundesregierung leiden könnten: "Ich habe schon auch ein bisschen Angst gehabt. Für Ältere ist es einfach schwieriger, an einen Job zu kommen. Ich habe zig Bewerbungen losgeschickt."

So viele Menschen beziehen Bürgergeld

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Doch im Münchner Jobcenter gibt es auch positive Stimmen zum Reformvorschlag: Eine junge Frau, sie ist alleinerziehend und im fünften Monat schwanger, sitzt im Wartebereich: "Man kriegt drei Mal die Chance. Man soll sich ja auch bemühen, eine Arbeitsstelle zu finden. Genau deswegen finde ich gut, dass sie das vorgeschlagen haben."

Yasmin Fahimi im Interview

Yasmin Fahimi, Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sagt, der Fokus auf die Grundsicherung sei verschoben. Es sei nicht wahr, dass es "massenhaften" Missbrauch beim Bürgergeld gebe.

10.10.2025 | 4:05 min

Jobcenter: "Marathonlauf der Belastungssituation"

Für besonders vulnerable Gruppen wie Alleinerziehende bietet das Jobcenter München besondere Unterstützung. Für sie gebe es speziell ausgebildete Fallmanager, erklärt Florian Eder, Leiter des Jobcenters München im Sozialbürgerhaus Nord. Die Reform sieht er pragmatisch: "Unsere Hauptaufgabe und unsere Kernziele werden immer gleich bleiben", sagt Eder. "In der Arbeitsvermittlung werden wir immer Perspektiven schaffen, Bürgerinnen und Bürger unterstützen - ungeachtet aller Umstände."

Die Umstände für Eder selbst sind angespannt: Man befinde sich nach wie vor in einem "Marathonlauf der Belastungssituation". Anfang des Jahres hat das Jobcenter München die Bürgergeld-App eingeführt, mit der Anträge fortan zur Entlastung des Personals digital abgewickelt werden können. "Wir machen große Fortschritte und versuchen, unbürokratischer zu werden. Die Kommunikation wird einfacher, schneller und direkter", sagt Eder.

Bärbel Bas im ZDF-Interview

Laut SPD-Chefiin Bärbel Bas sind 800.000 Empfänger des Bürgergelds arbeitsfähig. Pro 100.000 Menschen, die in Arbeit kämen, könnte eine Milliarde Euro eingespart werden, so Bas.

12.10.2025 | 5:51 min

Sozialverbände warnen vor Konsequenzen

Sozialverbände warnen davor, dass unter den Umständen der neuen Reform die Gefahr der Obdachlosigkeit steigen würde. Ein Schicksalsschlag zum falschen Zeitpunkt, beispielsweise kurz vor dem vierten Termin, könnte ausreichen, um sämtliche Sozialleistungen zu verlieren.

Das ist auch der Grund, warum sich Alexandra Leonardelli nicht vorstellen kann, dass die Reform funktioniert: "Die Leute werden obdachlos, die Kranken werden noch kränker. Da würde noch viel mehr Geld dazukommen", sagt sie. Ob die Einsparziele der Bundesregierung tatsächlich realistisch sind? Bisherige Schätzungen dazu variieren stark: Die Folgekosten durch Obdachlosigkeit, gesundheitliche Probleme oder steigende Kriminalität würden die Ersparnisse wieder auffressen.

Bei allen Diskussionen: Die Reform ist noch nicht beschlossen. Der Gesetzentwurf muss den regulären parlamentarischen Weg gehen. Im Jobcenter München ist die Debatte aber schon längst angekommen.

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