Im Grunde Hartz IV?:Die SPD, das Bürgergeld und ein altes Trauma
Erst Hartz IV, dann Bürgergeld, jetzt Grundsicherung. Keine Partei wird so sehr mit diesen Reformen verbunden wie die SPD. Jetzt will sie Härte zeigen. Das ging schon mal schief.
Wer sich weigert, eine Arbeit aufzunehmen, oder nicht zu Terminen im Jobcenter erscheint, soll künftig härter sanktioniert werden. Was steckt hinter der geplanten Grundsicherung?
10.10.2025 | 1:51 minAls Peter Hartz im August 2002 mit einer Diskette in der Hand an der Seite des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) steht, da ahnen wohl beide nicht, was sich aus diesem Moment entwickeln würde.
Rückblickend, so der einstige VW-Topmanager Peter Hartz vor einigen Jahren, sei die namentliche Verknüpfung der Hartz-Gesetze I bis IV eine Belastung, gar ein Fehler gewesen. In der Diskette verbarg sich eine arbeitsmarktpolitische Radikalkur der damaligen rot-grünen Regierung.
Reform mit Spaltpotenzial?
Peter Hartz wurde für viele zur Hassfigur, stolperte später über eine Korruptionsaffäre. Und Gerhard Schröder? Es kostete ihn seine Kanzlerschaft und er hinterließ eine zerrissene Partei, die sich bis heute nicht von der Agenda 2010 erholt hat. Welchen Effekt die Reformen am Ende auf den Arbeitsmarkt hatten, ist umstritten.
Mehr als 20 Jahre später sitzt Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) zwischen dem Finanzminister und dem Kanzler nach dem Koalitionsausschuss in der Bundespressekonferenz und verkündet den Abschied vom Bürgergeld aus der Ampel-Zeit. 2023 eine Herzensangelegenheit nicht nur des damaligen Arbeitsministers Hubertus Heil, sondern der gesamten SPD.
CDU, CSU und SPD haben sich im Koalitionsausschuss auf Reformen bei Rente, Bürgergeld und Verkehr geeinigt. Andrea Maurer, ZDF-Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio, über die Ergebnisse.
10.10.2025 | 5:51 minStimmung in SPD-Fraktion entspannt
Wehmütig ist dieser Abschied nicht. Aus Bürgergeld soll Grundsicherung werden. Bas sagt:
Wir fördern Arbeit statt Arbeitslosigkeit.
Bärbel Bas, SPD
Das klingt ähnlich wie 2003 Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung, der von Fördern und Fordern sprach, als er die Agenda 2010 im Parlament umriss. Hat jetzt die Rückabwicklung des Bürgergeldes ähnliches Spaltpotenzial? Eher nicht.
Yasmin Fahimi, Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sagt, der Fokus auf die Grundsicherung sei verschoben. Es sei nicht wahr, dass es "massenhaften" Missbrauch beim Bürgergeld gebe.
10.10.2025 | 4:05 minIn einer Sondersitzung der SPD am Freitagmorgen ist die Stimmung entspannt. Fraktionschef Matthias Miersch spricht von einer "überwiegenden Zustimmung". Das ist kaum überraschend, denn zwei Frauen vom linken Parteiflügel haben den Kompromiss mit Kanzler Friedrich Merz (CDU) ausgehandelt: Parteichefin Bas und die Fraktionsvize Dagmar Schmidt.
Scharfe Kritik von den Jusos
Eine Verbindungslinie zu Hartz IV zu ziehen, zu einer Rückkehr, das ist aus Sicht von Miersch völlig falsch. Diese sehen aber die Jusos mit Philipp Türmer an der Spitze sehr wohl. Die Einigung wiederhole Fehler der Vergangenheit.
Wir hatten uns bewusst von Hartz IV verabschiedet. Dass jetzt unter der Beteiligung der SPD wieder eine Rolle rückwärts gemacht wird, tut extrem weh und ist falsch.
Philipp Türmer, Juso-Chef
Das sozioökonomische Existenzminimum sei bedroht und die Koalition, so prognostiziert Türmer, laufe "sehenden Auges auf eine Klatsche vor dem Bundesverfassungsgericht zu". Er erwartet von den sozialdemokratischen Abgeordneten, "dass sie diese schweren Fehler vermeiden".
Schon Hartz IV habe gezeigt, dass Sanktionen nicht bringen, sagt Juso-Chef Philipp Türmer. Die neue Grundsicherung sei so auch nicht verfassungsgemäß. "Karlsruhe reibt sich da schon die Hände."
10.10.2025 | 3:58 minWarum der Kompromiss für viele vertretbar ist
Ob die Jusos allerdings tatsächlich eine Revolution ins Auge fassen, ist fraglich. Denn gerade nach den Kommunalwahlen in NRW und dem erneuten Beleg, dass die Partei ihr Stammklientel verliert, scheint die SPD das Signal senden zu wollen: Wir haben verstanden.
Zu sehr werde die Partei als die der Arbeitslosen und nicht die der Arbeitenden wahrgenommen, macht man sich seit längerem Gedanken. Jetzt der Kompromiss, der wohl für viele vertretbar scheint - nach dem Motto: Der Sozialstaat bleibt sozial, aber er könnte mit der geplanten Reform auch gerechter werden.
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