Bürgergeld-Kürzungen: Unicef warnt vor steigender Kinderarmut

Auswirkung auf Kinderarmut:Bürgergeld-Reform: Was Familien und Unicef befürchten

Antje Klingbeil
von Antje Klingbeil
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2023 war jedes siebte Kind in Deutschland von Armut bedroht. Alleinerziehende und Unicef fürchten, dass die diskutierte Kürzung des Sozialstaats das Armutsrisiko verstärken wird.

Markus Söder (l-r), Ministerpräsident von Bayern und Vorsitzender der CSU, Friedrich Merz, Bundeskanzler und Bundesvorsitzender der CDU, Bärbel Bas, Bundesministerin für Arbeit und Soziales und Bundesvorsitzende der SPD, und Lars Klingbeil, Bundesminister der Finanzen und Bundesvorsitzender der SPD, äußern sich bei einer Pressekonferenz nach der ersten Sitzung des Koalitionsausschusses nach der Sommerpause im Bundeskanzleramt.

Die Debatte um die von führenden Unionspolitikern geforderten Kürzungen am Sozialsystem geht weiter. Kritik kommt neben der SPD nun auch vom CDU-Sozialflügel.

20.09.2025 | 1:39 min

Unterwegs im brandenburgischen Königs Wusterhausen beim SHIA e.V. , einer Selbsthilfegruppe für Alleinerziehende. Hier reagieren sie mit großer Sorge auf die Bürgergeldkürzungen und Sanktionen, die die Merz-Regierung diskutiert.

Alleinerziehender: Bürgergeld reicht jetzt schon nicht

Regelmäßig treffen sie sich zum Erfahrungsaustausch. Viele von ihnen versuchen, Arbeit, Kindererziehung und den Weg aus der Abhängigkeit vom Bürgergeld zu verbinden. Doch Betreuungsplätze sind knapp, flexible Arbeitsmodelle fehlen. Eine Verschärfung der Sanktionspraxis - etwa bei nicht wahrgenommenen Terminen im Jobcenter - träfe sie und ihre Kinder besonders hart. Ebenso die geplanten Kürzungen.

Ein weißes Hinweisschild mit abgeblaetterter Farbe am Rand und der Aufschrift "Herbst der Reformen" an einem Laternenmast als Wegweiser nach links vor einem Baum mit herbstlich verfärbten Blättern.

Eine neue Kommission des Arbeitsministeriums soll Reformvorschläge für Sozialausgaben erarbeiten. Reformen seien notwendig und überfällig, sagte Kanzler Merz.

01.09.2025 | 1:38 min

Julian Ronny Kelm ist alleinerziehender Vater von vier Kindern und arbeitssuchend. Der 28-jährige bekommt Bürgergeld und findet, dass es schon jetzt einfach nicht reicht:

Mit Familie musst du jeden Cent doppelt und dreifach umdrehen, du musst überlegen, was machst du zu essen und Aktivitäten, wie Zoobesuche oder mal einen Urlaub - das ist schwierig und kaum drin.

Julian Ronny Kelm, Alleinerziehender

1,9 Millionen Kinder in Bürgergeld-Haushalten

Das bestätigt auch Melanie Simon, die ihre heute 22-jährige Tochter allein großgezogen hat. Mit Kind wurde ihr Vertrag in der Gastronomie nicht verlängert. Sie suchte sich etwas anderes, musste aber aufstocken. Ihr Lebensstandard sei niedrig gewesen. Mögliche Kürzungen, sind für sie das absolut falsche Zeichen.

Auch Christian Schneider von Unicef Deutschland sorgt sich um betroffene Familien und deren Kinder. Etwa 1,9 Millionen Menschen unter 18 Jahren wachsen in Haushalten auf, die auf Bürgergeld angewiesen seien:

Wenn sich die finanzielle Situation der Haushalte mit Kindern durch Einschnitte verschärft und diese womöglich tiefer in dauerhafte Armut abrutschen, kann das unmittelbar auf die Entwicklung und das Wohlbefinden der Kinder durchschlagen.

Christian Schneider, Unicef Deutschland

Armes reiches Deutschland: Alleinerziehend und abgehängt

Ständig Geldsorgen und nie Zeit für sich: Das ist der Alltag vieler Alleinerziehender. Fast jede fünfte Familie in Deutschland ist eine Familie mit alleinerziehendem Elternteil.

29.10.2023 | 30:01 min

Kinderarmut in Deutschland nimmt zu

Das politische Ziel, Kinderarmut wirksam zu reduzieren, bliebe bislang unerreicht. So könnten sich etwa 12,4 Prozent der Kinder schon heute regelmäßige Freizeitaktivitäten nicht leisten. Rund 32 Prozent lebten in Familien, die angeben, unvorhergesehene Ausgaben nicht bewältigen zu können, erklärt Schneider.

  • Laut statistischem Bundesamt waren im Jahr 2023 rund 2,1 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren armutsgefährdet
  • Das entspricht einer Armutsgefährdungsquote von 14 Prozent
  • Die Armutsgefährdungsquote der Gesamtbevölkerung lag bei 14,4 Prozent
  • Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Äquivalenzeinkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung hat
  • 2023 lag dieser Wert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1.314 Euro netto im Monat
  • Für Haushalte mit zwei Erwachsenen mit zwei Kindern unter 14 Jahren waren es 2.759 Euro netto im Monat
  • Laut statistischem Bundesamt kann sich Armut in finanziellen und sozialen Faktoren niederschlagen
  • Demnach sei sogar fast jeder vierte (23,9 Prozent) unter 18-Jährige im Jahr 2023 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht


Ein paar Straßen weiter auf einem Spielplatz in Königs Wusterhausen. Rouven ist junger Vater und war vor seinem Studium selbst mal arbeitssuchend. Jetzt studiert er auf Lehramt und findet, es sei ein ganz schwaches und schlechtes Signal der Regierung, dass eine Sozialstaatsreform zu solch einem großen Thema gemacht wird:

Von diesen geplanten Kürzungen, sind dann vor allem die Kinder einkommensschwacher Familien betroffen und da geht es um die vermeintlich "kleinen" Ausgaben, wo man 50-60 Euro sparen kann, also das sind Geld für Kino, Theater oder Sportverein.

Rouven, Lehramtsstudent

Kürzung beim Bürgergeld 2025 in Deutschland

Wer bekommt wie viel Bürgergeld - und warum? Wie viele Menschen erhalten die Sozialleistung? Und wie viele von ihnen sind ukrainische Geflüchtete? Zahlen und Fakten im Überblick.

04.08.2025 | 2:23 min

Unicef: Mangelnde Unterstützung von Kindern schwächt Gesellschaft

Unicef Deutschland sieht das ähnlich. Dabei seien Investitionen in benachteiligte Kinder auch elementar für die Zukunft unserer Gesellschaft überhaupt, sagt Schneider: "Gerade die am stärksten benachteiligten Kinder und Jugendlichen spielen eine zentrale Rolle. Bei ihnen sind die Lücken in der Verwirklichung des Rechts auf gutes Aufwachsen am größten."

Und gleichzeitig schlummert in ihnen das größte ungenutzte Potenzial.

Christian Schneider, Unicef Deutschland

Ohne eine ausreichende finanzielle Absicherung könnten diese Kinder ihre Chancen nicht entfalten und das sollte sich Deutschland nicht leisten.

Antje Klingbeil berichtet aus dem ZDF-Studio in Brandenburg.

Unicef-Bericht
:Deutschland: Wohlergehen von Kindern nimmt ab

Die Voraussetzungen, dass Kinder glücklich aufwachsen, haben sich deutlich verschlechtert. Laut Unicef ist Deutschland von Rang 14 auf Rang 25 abgerutscht.
Kinderarmut in Deutschland
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