Auswirkung auf Kinderarmut:Bürgergeld-Reform: Was Familien und Unicef befürchten
2023 war jedes siebte Kind in Deutschland von Armut bedroht. Alleinerziehende und Unicef fürchten, dass die diskutierte Kürzung des Sozialstaats das Armutsrisiko verstärken wird.
Die Debatte um die von führenden Unionspolitikern geforderten Kürzungen am Sozialsystem geht weiter. Kritik kommt neben der SPD nun auch vom CDU-Sozialflügel.
20.09.2025 | 1:39 minUnterwegs im brandenburgischen Königs Wusterhausen beim SHIA e.V. , einer Selbsthilfegruppe für Alleinerziehende. Hier reagieren sie mit großer Sorge auf die Bürgergeldkürzungen und Sanktionen, die die Merz-Regierung diskutiert.
Alleinerziehender: Bürgergeld reicht jetzt schon nicht
Regelmäßig treffen sie sich zum Erfahrungsaustausch. Viele von ihnen versuchen, Arbeit, Kindererziehung und den Weg aus der Abhängigkeit vom Bürgergeld zu verbinden. Doch Betreuungsplätze sind knapp, flexible Arbeitsmodelle fehlen. Eine Verschärfung der Sanktionspraxis - etwa bei nicht wahrgenommenen Terminen im Jobcenter - träfe sie und ihre Kinder besonders hart. Ebenso die geplanten Kürzungen.
Eine neue Kommission des Arbeitsministeriums soll Reformvorschläge für Sozialausgaben erarbeiten. Reformen seien notwendig und überfällig, sagte Kanzler Merz.
01.09.2025 | 1:38 minJulian Ronny Kelm ist alleinerziehender Vater von vier Kindern und arbeitssuchend. Der 28-jährige bekommt Bürgergeld und findet, dass es schon jetzt einfach nicht reicht:
Mit Familie musst du jeden Cent doppelt und dreifach umdrehen, du musst überlegen, was machst du zu essen und Aktivitäten, wie Zoobesuche oder mal einen Urlaub - das ist schwierig und kaum drin.
Julian Ronny Kelm, Alleinerziehender
1,9 Millionen Kinder in Bürgergeld-Haushalten
Das bestätigt auch Melanie Simon, die ihre heute 22-jährige Tochter allein großgezogen hat. Mit Kind wurde ihr Vertrag in der Gastronomie nicht verlängert. Sie suchte sich etwas anderes, musste aber aufstocken. Ihr Lebensstandard sei niedrig gewesen. Mögliche Kürzungen, sind für sie das absolut falsche Zeichen.
Auch Christian Schneider von Unicef Deutschland sorgt sich um betroffene Familien und deren Kinder. Etwa 1,9 Millionen Menschen unter 18 Jahren wachsen in Haushalten auf, die auf Bürgergeld angewiesen seien:
Wenn sich die finanzielle Situation der Haushalte mit Kindern durch Einschnitte verschärft und diese womöglich tiefer in dauerhafte Armut abrutschen, kann das unmittelbar auf die Entwicklung und das Wohlbefinden der Kinder durchschlagen.
Christian Schneider, Unicef Deutschland
Ständig Geldsorgen und nie Zeit für sich: Das ist der Alltag vieler Alleinerziehender. Fast jede fünfte Familie in Deutschland ist eine Familie mit alleinerziehendem Elternteil.
29.10.2023 | 30:01 minKinderarmut in Deutschland nimmt zu
Das politische Ziel, Kinderarmut wirksam zu reduzieren, bliebe bislang unerreicht. So könnten sich etwa 12,4 Prozent der Kinder schon heute regelmäßige Freizeitaktivitäten nicht leisten. Rund 32 Prozent lebten in Familien, die angeben, unvorhergesehene Ausgaben nicht bewältigen zu können, erklärt Schneider.
- Laut statistischem Bundesamt waren im Jahr 2023 rund 2,1 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren armutsgefährdet
- Das entspricht einer Armutsgefährdungsquote von 14 Prozent
- Die Armutsgefährdungsquote der Gesamtbevölkerung lag bei 14,4 Prozent
- Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Äquivalenzeinkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung hat
- 2023 lag dieser Wert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1.314 Euro netto im Monat
- Für Haushalte mit zwei Erwachsenen mit zwei Kindern unter 14 Jahren waren es 2.759 Euro netto im Monat
- Laut statistischem Bundesamt kann sich Armut in finanziellen und sozialen Faktoren niederschlagen
- Demnach sei sogar fast jeder vierte (23,9 Prozent) unter 18-Jährige im Jahr 2023 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht
Ein paar Straßen weiter auf einem Spielplatz in Königs Wusterhausen. Rouven ist junger Vater und war vor seinem Studium selbst mal arbeitssuchend. Jetzt studiert er auf Lehramt und findet, es sei ein ganz schwaches und schlechtes Signal der Regierung, dass eine Sozialstaatsreform zu solch einem großen Thema gemacht wird:
Von diesen geplanten Kürzungen, sind dann vor allem die Kinder einkommensschwacher Familien betroffen und da geht es um die vermeintlich "kleinen" Ausgaben, wo man 50-60 Euro sparen kann, also das sind Geld für Kino, Theater oder Sportverein.
Rouven, Lehramtsstudent
Wer bekommt wie viel Bürgergeld - und warum? Wie viele Menschen erhalten die Sozialleistung? Und wie viele von ihnen sind ukrainische Geflüchtete? Zahlen und Fakten im Überblick.
04.08.2025 | 2:23 minUnicef: Mangelnde Unterstützung von Kindern schwächt Gesellschaft
Unicef Deutschland sieht das ähnlich. Dabei seien Investitionen in benachteiligte Kinder auch elementar für die Zukunft unserer Gesellschaft überhaupt, sagt Schneider: "Gerade die am stärksten benachteiligten Kinder und Jugendlichen spielen eine zentrale Rolle. Bei ihnen sind die Lücken in der Verwirklichung des Rechts auf gutes Aufwachsen am größten."
Und gleichzeitig schlummert in ihnen das größte ungenutzte Potenzial.
Christian Schneider, Unicef Deutschland
Ohne eine ausreichende finanzielle Absicherung könnten diese Kinder ihre Chancen nicht entfalten und das sollte sich Deutschland nicht leisten.
Antje Klingbeil berichtet aus dem ZDF-Studio in Brandenburg.
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