Rede bei Wirtschaftsforum: Wie Putin die Wirtschaft verklärt
Analyse
Rede in St. Petersburg:Rezession? Darf es für Putin nicht geben
von Katja Belousova
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Wenn man Wladimir Putin in St. Petersburg zuhört, entsteht der Eindruck: So schlecht geht es Russlands Wirtschaft nicht. Dabei gibt es durchaus Kritik - auch aus Putins Kabinett.
Lobt das russische Wirtschaftswachstum: Präsident Wladimir Putin während seiner Rede auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg.
Quelle: AFP
Wladimir Putin machte das Wirtschaftsforum in St. Petersburg am Freitag zu seiner Bühne. Eine blühende russische Wirtschaft beschrieb der Präsident in einer nüchternen Rede am Rande eines Plenums in seiner Heimatstadt.
"Trotz der schwierigen äußeren Bedingungen ist die russische Wirtschaft in den letzten zwei Jahren mit einer jährlichen Rate von über vier Prozent gewachsen", lobte Putin etwa. Dabei ließ er zwar aus, dass das Bruttoinlandsprodukt 2021 laut Weltbank noch ein Wachstum von 5,6 Prozent verzeichnete und nach der Invasion in der Ukraine ein Jahr später abrauschte. Am Ende zählte jedoch die Erfolgsmeldung: Aktuell liegt das Wachstum bei 4,1 Prozent - daran klammerte sich der Präsident.
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Fokus auf Rüstungsindustrie
Das Wachstum hängt stark mit Russlands Invasion in der Ukraine zusammen. Sein Land hat auf Kriegsindustrie umgestellt - das weiß auch Putin. "Ja, natürlich hat der rüstungsindustrielle Komplex dabei eine Rolle gespielt", sagte Putin. Gleichzeitig hob er die Landwirtschaft, den Dienstleistungssektor oder die Baubranche hervor.
Doch in der Realität leiden all diese Sektoren aufgrund des Fokus' auf die Kriegswirtschaft. Einige potenzielle Arbeitskräfte sind an der Front eingezogen, andere in der gut bezahlten Kriegsindustrie tätig. So kämpfen die restlichen Branchen mit hohen Kosten, Personalmangel und technologischem Rückstand, der auch mit den westlichen Sanktionen zusammenhängt. Der von Putin gelobte Bau- und Immobiliensektor etwa ist stark in der Krise: Jeder vierten Baufirma im Land droht russischen Berichten zufolge der Bankrott.
Auch in Sachen Inflation gab Putin sich zuversichtlich: Die Inflation sei mit 9,6 zwar immer noch sehr hoch. "Gleichzeitig, und darauf möchte ich hinweisen, entwickelt sich die Inflationsdynamik besser als viele Experten dies erwartet haben" sagte er.
Dabei zeigt die Inflationsdynamik seit 2023 vor allem in eine Richtung: stetig nach oben. Zwar hat sich die Entwicklung langsam stabilisiert - liegt aber immer noch rund um zehn Prozent. Die Zielmarke der russischen Zentralbank liegt bei vier Prozent. Wenig spricht dafür, dass sich dieses Ziel in absehbarer Zeit erreichen lässt.
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Krieg in der Ukraine wird nicht erwähnt
Den Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen nannte Putin dabei nicht bei Namen - sprach etwa nur von "äußeren Bedingungen". "Das folgt dem Versuch, dies als 'neue Normalität' darzustellen", berichtet ZDF-Korrespondent Armin Coerper aus St. Petersburg.
Damit nimmt er der in zunehmendem Maße kriegsmüden Bevölkerung die Perspektive, dass der Krieg in absehbarer Zeit beendet werden könnte.
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Armin Coerper, ZDF-Korrespondent
Stattdessen verspreche er etwa besser bezahlte Jobs, um vom Krieg abzulenken. "Und um das Volk mit angeblichen wirtschaftlichen Möglichkeiten bei Laune zu halten", so Coerper. Interessant sei dabei: In Wahrheit steigen die Löhne und Gehälter bereits rasant, weil es der russischen Wirtschaft massiv an Menschen fehlt - aufgrund von Krieg und Abwanderung.
Westliche Länder kamen in der Rede nur am Rande vor. Frankreich nannte Putin als Negativbeispiel für Jugendarbeitslosigkeit. Auch die USA erwähnte er - in einem Seitenhieb. "Wenn wir uns ansehen, wie die Gelder in den Vereinigten Staaten in den letzten zehn Jahren angehäuft wurden, sind es die Eliten, die dort die Haupteinnahmen erhalten haben", erklärte er - und warf dem Westen indirekt vor ein neokoloniales Wirtschaftsmodel zu verfolgen.
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"Er bezeichnet die Globalisierung als gescheitert"
Die Worte waren vor allem an die anderen Teilnehmer des Panels aus Ländern wie China, Indonesien und Südafrika gerichtet. "Er will damit zeigen, dass er sich gerade in der Gesellschaft hier auf der Bühne wohlfühlt, dass er sich zum Globalen Süden zugehörig fühlt und kein Interesse mehr hat, in den Club der westlichen Industriestaaten aufzusteigen bzw. zurückzukehren", sagt Armin Coerper.
Er bezeichnet die Globalisierung als gescheitert und meint damit das westliche Wirtschaftsmodell.
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Armin Coerper, ZDF-Korrespondent
Am Ende der etwa einstündigen Rede Putins stand eine Aneinanderreihung vermeintlicher Erfolgsmeldungen aus der russischen Wirtschaft. Das sei wohl auch deshalb nötig geworden, weil sein Finanzminister erst am Tag zuvor verkündete, dass Russland an der Schwelle zur Rezession stehe, erklärt ZDF-Korrespondent Coerper.
"Den Zahlen nach haben wir eine Abkühlung, den aktuellen Empfindungen der Unternehmer nach sind wir schon an der Grenze zum Übergang in eine Rezession", sagte er am Donnerstag. Das derzeitige Zinsniveau demotiviere Unternehmer zu investieren, so Reschetnikow. Im dritten und vierten Quartal könnten die Investitionen nach Schätzung des Ministers unter dem Vorjahresniveau liegen.
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Zentralbankchefin fordert Vision für neues Wachstumsmodell
Auch Zentralbankchefin Elvira Nabiullinas Prognosen klingen weniger erfreulich als die Wladimir Putins. Sie hatte zuvor erklärt, dass Russlands Wirtschaft zwar zwei Jahre lang trotz der Sanktionen durch Programme zur Importverdrängung, staatlichen Zuschüsse und bestehende Kapitalreserven des Bankensystems gewachsen sei. Sie gab aber zu bedenken: "Wir müssen verstehen, dass viele dieser Ressourcen tatsächlich aufgebraucht sind, und wir müssen über ein neues Wachstumsmodell nachdenken."
Eine realistische Version für ein solch neues Wachstumsmodell - das nicht auf dauerhafte Kriegswirtschaft setzt - konnte jedoch auch Wladimir Putin am Freitag nicht präsentieren. Dafür gab es eine Reaktion auf die Kritik der Vortage: "Stagnation oder sogar Rezession dürfen auf keinen Fall zugelassen werden", forderte Putin. Ein Machtwort, das schwer in die Tat umzusetzen sein dürfte.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.