Rechtsruck der Jugend in Polen: TikTok, Populismus und Parolen

Expertin erklärt:Warum Polens Jugend nach rechts rückt

Jenifer Girke
von Jenifer Girke, Warschau
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Zunehmende Polarisierung führt in Polen dazu, dass immer mehr Jugendliche populistische und rechtsextreme Meinungen vertreten. Wie kommt das?

Sławomir Mentzen steht vor einem Wahllokal.
Besonders beliebt bei den jungen Wählerinnen und Wählern: Sławomir Mentzen.
Quelle: dpa

Sławomir Mentzen hat scheinbar einfache Lösungen für die polnische Gesellschaft: Steuern runter, Ausländer raus, Klimaschutz weg, Abtreibung verbieten. Klingt wie billiger Rechtspopulismus, doch offenbar funktioniert diese Taktik.
Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl Mitte Mai räumte der Vorsitzende der als rechtsextrem geltenden Konfederacja ordentlich ab. Platz eins bei den Wählern und Wählerinnen zwischen 18 und 29 Jahren - 36,1 Prozent. Und er ist nicht der einzige rechte bis rechtsextreme Kandidat, der polnische Jungwähler überzeugt. Also die, die bei den Parlamentswahlen 2023 noch mehrheitlich den liberalen EU-Freund Donald Tusk wählten. Wie konnte die Stimmung in nur 1,5 Jahren kippen?
Natalie Steger in Warschau.
Natalie Steger in Warschau: Was bedeutet die gewonnene Vertrauensfrage nun für die weitere Regierungsarbeit in Polen?11.06.2025 | 1:06 min

Skandale in der Politik wirken auf junge Polen

Mentzen hat Ökonomie studiert, trägt einen Doktor-Titel und ist wohlhabend. Er betreibt eine erfolgreiche Steuerberatungskanzlei und eine erfolgreiche Brauerei. Dieses Selfmademan-Image zeigt er immer wieder gerne, auch seinen 1,7 Millionen Followern auf TikTok. Mitte Mai veröffentlichte er ein Video einer Wahlkampfveranstaltung, auf der Mentzen von einer besorgten jungen Frau auf die Klimakrise angesprochen wird. Seine Reaktion: "Damit wir uns richtig verstehen: Ich denke, dass es wegen erhöhter CO2-Ausstöße ein bisschen wärmer geworden ist, das ist die Wahrheit. Es gefällt mir sogar, ich mag es, wenn es wärmer wird, ich mag es nicht, wenn es kälter wird."
Laut Politik-Expertin Joanna Stolarek ist genau diese Art ein Grund seines Erfolgs:

Das ist natürlich nicht schön, aber dieses Skandalöse ist etwas, was die Jugend derzeit anzieht.

Joanna Stolarek, Politik-Expertin Heinrich-Böll-Stiftung Warschau

Joanna Stolarek
Quelle: Joanna Stolarek

... ist eine deutsch-polnische Germanistin und seit 2019 Direktorin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau.

Donald Tusk am 11.06.2025
Polens Regierungschef stellt im Parlament die Vertrauensfrage. Das Ergebnis der Präsidentenwahl hatte den Regierungschef und sein Mitte-Links-Bündnis in Bedrängnis gebracht.11.06.2025 | 3:42 min
Ein großer Teil der Jugend in Polen wie auch in Deutschland informiere sich nicht mehr über traditionelle Medien. Sie sei "ungeduldig, kommuniziert mit Memes, mit schnellen TikTok-Videos. Und das beherrschen gerade Menschen wie Mentzen", so Stolarek.

Das sagen junge Polen und Polinnen in Warschau dazu:






Nicht nur Rechtsextreme verzeichnen Gewinne

Rechts von Mentzen steht Grzegorz Braun, ein Antisemit und Vorsitzender der KKP (eine monarchistische, paläokonservative und als rechtsextrem geltende Partei), der im ersten Wahlgang insgesamt auf Platz vier landete, bei den Jungwählern auf Platz 5 mit 5,1 Prozent.
Auch er nutzt die sozialen Medien und fällt durch sein aggressives Verhalten und Sprechen auf. Obwohl er als EU-Abgeordneter nicht beim Vertrauensvotum diesen Mittwoch teilnehmen konnte, betrat er das Parlamentsgebäude, den Sejm, und randalierte auf einer LGBTQ-Ausstellung, postete es auf Instagram und TikTok mit den Worten: "Warum die Normalität auch im Sejm wieder hergestellt werden sollte". Ein anderes seiner Themen: Abtreibung. Auf einer Wahlkampfveranstaltung Anfang März rief er seinen Anhängern zu:

Wenn man Ungeborene töten darf, ist niemand mehr sicher.

Grzegorz Braun

Vertrauensfrage nach Niederlage
:Polen: Für Tusk steht viel auf dem Spiel

Der liberale Kandidat von Tusks Regierungspartei hat die Präsidentenwahl verloren. Polens Ministerpräsident will nun wissen - wie loyal und stabil ist seine Regierungskoalition?
Natalie Steger, Warschau
Polish Prime Minister Donald Tusk calls for confidence vote on his government
mit Video
Doch auch Politiker aus dem linken Spektrum verzeichnen Gewinne, so landete Adrian Zandberg bei den Jungwählern bei den Präsidentschaftswahlen auf Platz zwei mit 19,7 Prozent. Die Spaltung Polens zieht sich durch die Jugend hindurch. Was sie aber alle gemeinsam haben: Frust. "Frust ist wirklich ein wichtiger Grund für das Wahlverhalten der jüngeren Menschen", sagt Stolarek. Sie würden seit dem Amtsantritt von Tusk im Dezember 2023 sehen, "dass sich praktisch nichts tut. Die Sachen, die sie gefordert haben, werden nicht einmal angefasst." Geschweige denn umgesetzt.
Und an diesem Gefühl ändert auch die eben erst überstandene Vertrauensfrage nichts. Vielen junge Polen und Polinnen war es gleichgültig, wie sie ausging, da sie sowieso keine Besserung erwarten. Die Politik befindet sich im Dauerstreit mit sich selbst, so der Eindruck.
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Selfmade-Mentzen versus Ruhestand-Tusk

Hinzu kommt: Es fehle an neuen, jüngeren Identifikationsfiguren in anderen, gemäßigteren politischen Spektren. Jüngere Menschen könnten sich besser mit einem Sławomir Mentzen identifizieren, "der 38 Jahre alt ist, ein erfolgreicher Businessman, der mit einem E-Roller durch die Gegend fährt, einen gut sitzenden Anzug trägt und ein Selfmade-Mensch ist."

Mehr als mit einem Donald Tusk, der schon Richtung Ruhestand geht. Klingt brutal, aber so ist es.

Joanna Stolarek, Politik-Expertin Heinrich-Böll-Stiftung Warschau

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Jenifer Girke, Warschau
Donald Tusk
mit Video
Umso wichtiger war es diese Woche für Tusk, dass ihm die Mehrheit des Parlaments das Vertrauen ausgesprochen hat. Hätte es das nicht, wäre seine Koalition sofort geplatzt. Jetzt müsse er diesen Moment nutzen, um Vertrauen zurückzugewinnen: Bei seinen Mitregierenden, bei seinen Wählern und bei denen, die ihn momentan abwählen würden - darunter sehr viele junge Menschen. Sonst "sehen wir die nächste Regierung in Polen, die dann aus der Rechtsaußen- Konfederacja und der PiS besteht plus weitere extrem rechte Bewegungen", so Stolarek.

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