EU-Parlamentsvize Barley: Was Nawrockis Sieg für Europa bedeutet

Interview

EU-Parlamentsvize Barley besorgt:Was Nawrockis Sieg für Europa bedeutet

|

Eine europäische Zusammenarbeit mit dem neuen polnischen Präsidenten Nawrocki könnte kompliziert werden, befürchtet die Vizepräsidentin des EU-Parlaments Katarina Barley.

SGS Barley
Sehen Sie hier das Interview mit Katarina Barley in voller Länge. 02.06.2025 | 4:10 min
Nach dem Sieg des Rechtsnationalisten Karol Nawrocki bei der Präsidentschaftswahl in Polen hat Ministerpräsident Donald Tusk angekündigt, im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen. Die jüngsten politischen Entwicklungen in Polen werfen Fragen über die Zukunft des Landes und seine Rolle in Europa auf.
Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, spricht im Interview mit dem ZDF heute journal update über die möglichen Folgen für Europa und die Frage, ob eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidenten überhaupt möglich ist.
Sehen Sie das Interview oben in voller Länge oder lesen Sie es unten in Auszügen.
Katarina Barley betont, dass ...

... das Wahlergebnis für Polen schwierig ist

"Es ist erstmal das Ergebnis demokratischer Wahlen. Das erkennen wir an. Das haben wir anzuerkennen", sagt Barley. Auch wenn es aus europäischer Sicht "wünschenswert gewesen wäre, dass der andere Kandidat, der Warschauer Oberbürgermeister, gewonnen hätte", müsse man das Votum der polnischen Bevölkerung respektieren.
Donald Tusk in Sopot.
In Polen hat der rechtskonservative Nawrocki die Präsidentschaftswahl gewonnen. Regierungschef Tusk will jetzt im Parlament die Vertrauensfrage stellen.03.06.2025 | 0:18 min
Gleichzeitig warnt sie vor den politischen Konsequenzen: Das Wahlergebnis sei "für Polen schwierig", da es zu einer Blockade zwischen Regierung und Präsident kommen werde. Auch Europa stehe vor Herausforderungen, denn der neue Präsident sei "eher antieuropäisch, antideutsch und eher antiukrainisch eingestellt".
Dass Polen wieder in die Hände der PiS falle, sieht Barley nicht. Sie habe mit einem polnischen Kollegen über diese Frage gesprochen. Er sei der Meinung, dass "diese Koalition aus drei Parteien sehr stabil und fest entschlossen ist".
Regierungschef Donald Tusk kündigte allerdings an, die Vertrauensfrage zu stellen.

Porträt von Natalie Steger, Leiterin des ZDF-Auslandsstudios Warschau
Quelle: ZDF/Max Sonnenschein

"Diese Koalition hat sich zusammengerauft aus politischen unterschiedlichen Lagern, von konservativ, liberalkonservativ, links, um 2023 die PiS von der Macht zu verdrängen. Sie dürfte alles daran setzen, dass sie an der Regierung bleibt. Sprich: Sie dürfte Tusk eher das Vertrauen aussprechen, weil es ansonsten politischer Selbstmord wäre. Allerdings besteht das Restrisiko, dass die PiS versucht, einzelne konservative Abgeordnete in ihr Lager zu ziehen.

Wenn die Vertrauensfrage klappt, dann dürfte die Regierung neue Gesetzesinitiativen vorschlagen - auch bei drohendem Veto des dann neuen Präsidenten. Bisher hat die Regierung heikle Themen wie Abtreibungsliberalisierung und Justizrückbau auf EU-Standard nicht angefasst. 

Insgesamt wird die Regierung eher negativ bewertet, was auch daran liegen dürfte, dass Wähler der eigenen Koalition enttäuscht sind."

Natalie Steger ist ZDF-Korrespondentin in Warschau.

Karol Nawrocki wird Präsident in Polen
Der Rechtsnationalist Nawrocki wird Präsident in Polen - das sorgt in der EU für Schockwellen. Die Rechtspopulisten jubeln, das Europa der Mitte fürchtet eine Spaltung der EU.02.06.2025 | 1:26 min

... der Wahlkampf stark von Stimmungsmache gegen Geflüchtete geprägt war

Barley sieht in der aktuellen politischen Situation eine gewisse Ironie:

Die Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler darüber, dass die Regierung nichts umgesetzt bekommen hat oder sehr wenig, hängt ja damit zusammen, dass schon der bisherige Präsident blockiert hat.

Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments

Mit dem neuen Präsidenten Nawrocki werde sich diese Blockade voraussichtlich noch verschärfen.
Sie geht davon aus, dass die Regierung künftig "noch weniger von ihren Gesetzesvorhaben durchbekommen" werde und insbesondere der "dringend notwendige Umbau zurück zu einer vollständigen Demokratie" kaum gelingen könne. Sie verweist auf die Vorgängerregierung der PiS, die beispielsweise die Justiz stark politisiert habe.
Auch in der Ukraine-Politik sieht sie Unsicherheiten. Zwar sei Polen insgesamt sehr kritisch gegenüber Russland, doch der Wahlkampf sei "stark von einer Stimmungsmache gegen die ukrainischen Geflüchteten im Land geprägt" gewesen. Was das für die praktische Politik bedeutet, müsse sich erst noch zeigen.
WARSZAWA WYBORY PREZYDENCKIE 2025 DRUGA TURA WYBOROW PREZYDENCKICH WIECZOR WYBORCZY KANDYDATA NA PREZYDENTA RP KAROLA NAWROCKIEGO PRESIDENTIAL ELECTIONS 2025 - SECOND ROUND OF PRESIDENTIAL ELECTIONS IN POLAND ELECTION NIGHT OF THE CANDIDATE FOR THE PRESIDENT OF THE REPUBLIC OF POLAND KAROL NAWROCKI N/Z KAROL NAWROCKI
Wer ist Polens neuer Präsident?02.06.2025 | 2:40 min

... Nawrocki "nicht besonders entgegenkommend sein wird"

Barley betont, dass Deutschland selbstverständlich zur Zusammenarbeit mit dem neuen polnischen Präsidenten bereit sei: "Er ist der demokratisch gewählte Präsident. Er wird es sein. Und natürlich werden ihm alle die Zusammenarbeit anbieten." Zugleich äußert sie Zweifel an seiner Kooperationsbereitschaft.
Nawrocki habe bereits angekündigt, dass seine "Hauptaufgabe darin bestehen wird, die jetzige polnische Regierung möglichst schnell zu stürzen". Wie er sich künftig verhalten werde, sei daher schwer einzuschätzen. Barley rechnet nicht damit, dass er besonders entgegenkommend sein werde.

Aber wir hoffen, dass er in wichtigen Fragen, z.B. in Sicherheitsfragen doch gesprächsbereit und kompromissfähig sein wird.

Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments

... Duda wichtige Gesetzesvorhaben blockiert habe

Die begrenzte Mobilisierungskraft von Donald Tusk und den Kräften der Mitte sieht Barley vor allem in den strukturellen Blockaden der vergangenen Jahre begründet. "Die Regierung Tusk war dadurch limitiert, dass es immer den Präsidenten Duda gab, der gegen ganz wichtige Gesetzesvorhaben immer ein Veto eingelegt hat", erklärt sie.
Das habe bei vielen Wählerinnen und Wählern Frust ausgelöst, weil die Koalitionsregierung aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen ihre Wahlversprechen nicht erfüllen konnte. Barley betont, dass der "ultrakonservative, der Rechtsaußen-Präsident" zentrale Vorhaben systematisch blockiert habe.
Das sei ein Umstand, der ihrer Einschätzung nach eine "ganz gewaltige Rolle" im Wahlverhalten gespielt habe.
Das Interview führte ZDF-Moderator Stefan Leifert.
Themen

Mehr zur Wahl in Polen