Tusk stellt Vertrauensfrage: Nach Präsidentschaftswahl in Polen
Vertrauensfrage nach Niederlage:Polen: Für Tusk steht viel auf dem Spiel
von Natalie Steger, Warschau
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Der liberale Kandidat von Tusks Regierungspartei hat die Präsidentenwahl verloren. Polens Ministerpräsident will nun wissen - wie loyal und stabil ist seine Regierungskoalition?
Polens Regierungschef Tusk will am Mittwoch im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Er reagiert so auf die Wahl des Rechtskonservativen Nawrocki zum Präsidenten vor zehn Tagen.11.06.2025 | 0:24 min
Am Wahlabend am 1. Juni verfrühter Jubel, da wähnte die liberalkonservative Regierung noch ihren Präsidentschaftskandidaten Trzaskowski vorne. Am Morgen danach folgte die Ernüchterung. Polens nächster Präsident wird mit Nawrocki wieder ein nationalkonservativer Mann von PiS-Übervater Kaczynski.
Noch am Tag des Scheiterns seines Kandidaten preschte Tusk nach vorne und kündigte an, die Vertrauensfrage zu stellen.
Ich möchte, dass alle sehen, dass wir auf diese Situation vorbereitet sind, dass wir keinen Schritt zurückweichen werden.
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Donald Tusk, Ministerpräsident Polen
Tusk will die Regierungsarbeit fortsetzen - aber im Parlament die Vertrauensfrage stellen. 03.06.2025 | 2:35 min
Tusk: Wahlniederlage mit Folgen für die Koalition?
Tusks Dreierkoalition ist politisch durchaus ein unterschiedlicher Mix aus Konservativen, Wirtschaftsliberalen, Grünen und Linken. Sie schafften es, sich zusammenzuraufen, um 2023 die PiS nach acht Jahren von der Regierungsmacht zu verdrängen. Die Wahlniederlage seines Parteifreundes Trzaskowski, dem Warschauer Bürgermeister, drohe zentrifugale Kräfte unter den Partnern freizusetzen, so der Politikwissenschaftler Piotr Buras vom European Council of Foreign Relations.
Es gibt auch Stimmen in der Koalition, dass Tusk zurücktreten sollte, um eine wahre Erneuerung zu ermöglichen. Diese Diskussion will Tusk durch das Vertrauensvotum im Keim ersticken.
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Piotr Buras, European Council of Foreign Relations
Was bedeutet Nawrockis Sieg für das Land, für Deutschland und für die EU? Natalie Steger berichtet aus Warschau.02.06.2025 | 1:56 min
Koalition in Polen: Ein Zweckbündnis
Nach den letzten Äußerungen aller Koalitionspartner dürfte Tusk das Vertrauen ausgesprochen bekommen, auch wenn es in der Koalition knirscht. Unterschiedliche Vorstellungen beim restriktiven Abtreibungsrecht, die Justiz konnte nicht reformiert werden, man hat nicht einmal einen gemeinsamen Regierungssprecher. Miese Kommunikation sei das, so hört man aus Regierungskreisen. Die Koalition ist ein reines Zweckbündnis.
Das Risiko ist zu diesem Zeitpunkt gering. Die kleineren Koalitionspartner müssten im Falle von Neuwahlen um den Einzug ins Parlament fürchten.
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Piotr Buras, European Council of Foreign Relations
Denn bei Neuwahlen könnten die zuletzt deutlich erstarkten rechtsextremen Kräfte in Polen der PiS wieder an die Regierungsmacht verhelfen.
heute in Europa mit dem Thema: Rechtsruck in Polen02.06.2025 | 14:04 min
Doch sollte Tusk erwartungsgemäß das Vertrauen ausgesprochen werden, wird die kommende Zeit bis zu den nächsten Parlamentswahlen im Herbst 2027 kein Spaziergang. Ein künftiger nationalkonservativer Präsident Nawrocki dürfte das Vetorecht des Präsidenten noch häufiger nutzen als es sein Vorgänger tat, ebenfalls ein Mann von Kaczynskis Gnaden. Das präsidentielle Veto kann jedes Gesetz blockieren.
Davon ist auszugehen. Sein erklärtes Ziel ist es, die Regierung Tusk zum Sturz zu bringen.
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Piotr Buras, European Council of Foreign Relations
Er könnte, so Buras, die Arbeit der Regierung unterminieren und Konflikte in der Öffentlichkeit schüren, etwa über Migration oder Amerika, um die Regierung zu schwächen.
Nawrocki hat sich im Wahlkampf als Hardliner präsentiert. Wenn er die Tusk-Regierung vor sich hertreibt, wovon auszugehen ist, dann ist diese Vertrauensabstimmung von Tusk erst der Aufgalopp zu schwierigen Jahren, weil Tusk seine Pläne und Versprechen nicht umsetzen kann.
Dann werden sich vor allem die kleineren Parteien neu orientieren und ihre Profile schärfen müssen. Dann kann es auch schon 2026 zum Koalitionsbruch kommen.
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Piotr Buras, European Council of Foreign Relations
Eine europäische Zusammenarbeit mit dem neuen polnischen Präsidenten Nawrocki könnte kompliziert werden, befürchtet die Vizepräsidentin des EU-Parlaments Katarina Barley.
Interview
Dann dürfte die PiS im Vorteil sein, die in der Opposition nicht schwächer geworden ist. Wenn sie mit den Rechtsextremen koalierte, würde es - Stand jetzt - für die Regierungsmacht reichen. Dann mit einem ihr gewogenen Präsidenten.
Tusk hat Polens Rolle in Europa wieder größer gemacht. Zu Hause steht für ihn viel auf dem Spiel.
Natalie Steger ist Leiterin des ZDF-Studios Warschau.