Nach Vertrauensfrage in Polen: Wie Tusk weiterregieren kann

Nach Vertrauensfrage in Polen :Tusk kann weiterregieren - mit blauem Auge

Jenifer Girke: Ukraine Update
von Jenifer Girke, Warschau
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Geschafft - Donald Tusk hat die Vertrauensfrage im polnischen Parlament überstanden. Aber: Lässt er jetzt nicht Taten folgen, kann diese Regierung trotzdem scheitern, so Experten.

Donald Tusk winkt, umstehende Abgeordnete applaudieren
Polens pro-europäische Regierung um Donald Tusk hat eine Vertrauensabstimmung im Parlament gewonnen. Mit dem neuen Präsidenten Nawrocki bahnen sich jedoch Konflikte an.11.06.2025 | 2:42 min
Polens Hauptstadtkorrespondenten brauchten heute viel Geduld - fast acht Stunden lang diskutierte das polnische Parlament über die Regierung von Donald Tusk. Fast 270 Abgeordnete meldeten sich zu Wort - ein Rekord.

Heute ist nicht der Tag, an dem jemand auf eine blumige Rede wartet. Heute ist ein Tag, an dem wir Klarheit darüber brauchen, wo wir nach den Präsidentschaftswahlen stehen.

Donald Tusk, Ministerpräsident Polens

Letztendlich behielten die Prognosen Recht. Von den 453 anwesenden Parlamentariern haben 243 Tusk das Vertrauen ausgesprochen, 210 nicht.
Trotzdem hat Polens Premierminister mit der Vertrauensfrage hoch gepokert - und er kann immer noch scheitern. In seinem zusammengewürfelten Mitte-Links-Bündnis findet man die gemeinsamen Nenner nur mühselig. Und mit einer Blockade-Haltung seitens des neu gewählten Staatspräsidenten Karol Nawrocki wird es nicht besser - im Gegenteil, auch nach der Vertrauensfrage.

Tusk redet vor leeren PiS-Stühlen

Etwas über eine Stunde sprach Donald Tusk zu Beginn vor den Parlamentsmitgliedern beziehungsweise vor denen, die anwesend waren. Denn viele Stühle der Oppositionspartei PiS blieben demonstrativ leer.
"Das ist ihre Einstellung zu ihrem Heimatland", zischte Tusk. "Mit solchen Menschen haben wir es jeden Tag zu tun. Wollen Sie ihnen Polen überlassen?"
Natalie Steger in Warschau.
Natalie Steger in Warschau: Was bedeutet die gewonnene Vertrauensfrage nun für die weitere Regierungsarbeit in Polen?11.06.2025 | 1:06 min
Tusks Ziel: Erfolge vermitteln, Geschlossenheit beweisen. Hauptthema: Sicherheit - denn hier kann er punkten. Tusk betont, dass er innerhalb eines Jahres die Ausgaben für Polens Sicherheit um 67 Prozent erhöht hat. Erwähnt die soziale Unterstützung für Familien und das wirtschaftliche Wachstum des Landes.
Nach seiner Rede holen vor allem Oppositionspolitiker zum Gegenschlag aus. Przemysław Czarnek der PiS mit einem altbekannten Vorwurf: "Sie, Herr Ministerpräsident, haben in Ihrer Rede verschwiegen, dass Sie deutschen und nicht polnischen Interessen dienen. Die Frage ist: Warum kommen Sie nicht mit Ihrer Ehre zurecht und treten zurück?"

Tusk: In der EU beliebt, im Land misstraut

In der Außenpolitik ist Polen ein geschätzter Partner, vor allem in den Bestrebungen um Frieden in der Ukraine.

Überall auf der Welt sagen die Menschen: 'Ja, Polen ist wieder an der Spitze der europäischen und der Weltpolitik.'

Donald Tusk, Ministerpräsident Polens

Dass Tusk fünf Jahre lang Präsident des Europäischen Rates war, stärkt sein Ansehen in der EU, schwächt ihn aber innerhalb der polnischen Gesellschaft, analysiert Politik-Expertin Joanna Stolarek der Heinrich-Böll-Stiftung: "Als er zurück aus Brüssel nach Warschau kam, war die Kritik: Du bist ja quasi fremd. Du kommst von außen und du wirst uns jetzt das Land gestalten nach deinen Vorstellungen, die du aus Brüssel mitbringst."
Tusk verspricht konkretes Handeln: Wohnbauprojekte, Investitionen, Landwirtschaft stärken. Auch zentrale Wahlversprechen stehen noch aus, zum Beispiel die Rückabwicklung der Justizreform oder eine Entkriminalisierung von Abtreibungen. Seine Erfolgschancen halten sich allerdings in Grenzen - der neue Präsident Karol Nawrocki, unterstützt von der PiS-Partei, kann per Veto Gesetze verhindern und kündigte an, "dass er hart durchgreifen und gegen die Regierung arbeiten werde", so Stolarek.
Vertrauensfrage in Polen: "Es kommen schwierige Zeiten"
Bartosz Dudek, Leiter der Polen-Redaktion bei der Deutschen Welle, zur Vertrauensfrage.11.06.2025 | 5:43 min

Tusk muss Vertrauensvotum nutzen

Die Zukunft von Tusk, und damit von Polen, ist also nach wie vor unsicher:

Tusk muss nun wirklich liefern. Denn sollte er mittelfristig scheitern und seine Koalition zerbrechen, könnte die PiS wieder die Macht übernehmen - zusammen mit noch rechteren Kräften im Land.

ZDF-Korrespondentin Natalie Steger

Donald Tusk wird neben Nawrocki einmal mehr zur Lame Duck - keine gute Position, um das Land zu einen. Dennoch sieht Stolarek in dem überstandenen Vertrauensvotum "ein sehr starkes Mandat", das er bestmöglich nutzen muss, zum Beispiel seine Koalitionspartner enger miteinbinden und aktiver den Austausch mit der Bevölkerung suchen.

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