Militärexperte: "Diese Verhandlungen sind Scheinverhandlungen"

Interview

Militärexperte zu Treffen in Istanbul:"Diese Verhandlungen sind Scheinverhandlungen"

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Russland und die Ukraine wollen heute erstmals seit Jahren direkt verhandeln. Doch Militärexperte Reisner hat wenig Hoffnung: Nur militärischer Druck bringe Moskau an den Tisch.

Oberst Markus Reisner bei ZDFheute live.
Sehen Sie hier das ganze Gespräch mit Markus Reisner im Video - oder lesen Sie es nachfolgend in Auszügen.15.05.2025 | 22:46 min
Es wäre das erste direkte Treffen von Delegierten der beiden Länder seit drei Jahren: Die Verhandlungen über ein mögliches Ende des Ukraine-Krieges sollen nach einer ersten Verschiebung heute in Istanbul beginnen. Auch die Türkei werde mit am Tisch sitzen, heißt es aus dem Außenministerium in Ankara.
Militärexperte Markus Reisner sieht jedoch kaum Chancen für Fortschritte. Von echten Friedensgesprächen könne keine Rede sein. "Lassen Sie mich klar und deutlich sein, diese Verhandlungen sind Scheinverhandlungen", sagt er bei ZDFheute live. Die Zusammensetzung der russischen Delegation zeige das deutlich:

Die Russen haben lauter Vizeminister geschickt, die sind also nicht satisfaktionsfähig im Vergleich zu dem, was die Ukrainer geschickt haben.

Markus Reisner, Militärexperte

Zentrale Akteure wie die USA blieben zudem im Hintergrund. Reisner verweist auf US-Präsident Donald Trump, der sich bewusst zurückhalte. Auch China äußere sich bislang nicht.
Der russische Präsidentenberater Wladimir Medinski gibt vor Journalisten im russischen Konsulat in Istanbul, Türkei, eine Erklärung ab.
Nach dem gescheiterten Treffen in Istanbul ist ein neuer Anlauf für Gespräche über ein Ende im Ukraine-Krieg geplant. Moskaus Vertreter Medinski kündigte seine Mitarbeit an. 16.05.2025 | 0:29 min

Experte: Russland kontrolliert die Frontverläufe

Für einen erfolgreichen Verhandlungsprozess müsse Russland in eine Lage gebracht werden, in der es etwas zu verlieren habe, so Reisner. Derzeit sehe sich Moskau im Vorteil, sei militärisch und wirtschaftlich in einer stabileren Lage als weithin angenommen und kontrolliere die Frontverläufe.

Wir sehen, dass Russland seit dem Sommer letzten Jahres in der Offensive ist, auch wenn sie nur langsam voranschreitet.

Markus Reisner, Militärexperte

Zudem verfüge Russland über erhebliche Ressourcen und eine stabile Basis unterstützender Staaten, darunter China und Nordkorea. Das stärke das Selbstbewusstsein in Moskau. Für den Militärexperten steht fest:

Damit Russland sich wirklich an den Verhandlungstisch setzt, muss es unter Druck gesetzt werden.

Markus Reisner, Militärexperte

Timm Kröger
"Das ganze fühlt sich hier so gar nicht danach an, als würde es bald zu einem Waffenstillstand geschweige denn zu Frieden kommen", berichtet ZDF-Reporter Timm Kröger aus Kiew.16.05.2025 | 3:25 min

Reisner: Militärischer Druck wirkungsvoller als Sanktionen

Wirtschaftliche Maßnahmen wie Sanktionen der EU gegen Russland seien in diesem Kontext ein "relativ zahnloses" Instrument. Zwar schadeten sie dem Aggressor, "aber eben [...] in einer Zukunft, die es möglicherweise nicht mehr gibt für die Ukraine", so Reisner. Über die Wirkung weiterer Sanktionen, wie sie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) später am Abend im ZDF angekündigt hatte, sagt er:

Das braucht Zeit - Wochen, Monate, vielleicht Jahre.

Markus Reisner, Militärexperte

Doch diese Zeit habe die Ukraine nicht. Während Europa seine Einigkeit betone, führe die Ukraine einen "Verzögerungskampf an der Front", so Reisner. Er fordert zügige Entscheidungen und nachhaltigen militärischen Druck: "Nicht punktuell, (...) sondern es braucht einen saturierenden Effekt."
Maybrit Illner, Bundeskanzler Friedrich Merz
Bundeskanzler Friedrich Merz war am Donnerstagabend zu Gast bei Maybrit Illner. Dort sprach er über die Herausforderungen als neuer Kanzler - und damit auch über die Ukraine.15.05.2025 | 64:51 min
Die vom Westen geforderte 30-tägige Waffenruhe - die von vielen als Grundlage möglicher Verhandlungen betrachtet wird - hält Reisner aus russischer Sicht für unattraktiv:

Diese 30 Tage könnten aus russischer Sicht den Ukrainern natürlich nützen, um sich neu zu konsolidieren, neues Gerät heranzuführen und die Luftverteidigung wieder in Ordnung zu bringen.

Markus Reisner, Militärexperte

Eine Pause, um "durchzuatmen für den nächsten Waffengang", wolle Russland natürlich verhindern.
Das Gespräch führte Christina von Ungern-Sternberg, zusammengefasst haben es Fränzi Meyer und Christian Harz.
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Quelle: ZDF
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