Ukraine-Krieg:Philosoph Merkel: Waffenruhe nur nach Lieferstopp
Waffenruhe in der Ukraine? Rechtsphilosoph Reinhard Merkel erklärt, warum das aus seiner Sicht nur denkbar ist, wenn der Westen die Waffenlieferungen an Kiew stoppt.
Waffenlieferungen an die Ukraine - nur ohne sie kann es für Jurist Merkel zu einer Waffenruhe kommen.
Quelle: dpaEuropas Ukraine-Unterstützer sind gefordert wie nie. Donald Trump drängt auf ein Ende des Krieges - notfalls mit Gebietsverlusten für Kiew. Die Idee: Die Frontlinie "einfrieren", um Waffenstillstands-Verhandlungen zu starten. Doch Moskau beharrt auf Maximalforderungen.
Reinhard Merkel, emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie, erklärt im ZDFheute-Interview, warum eine Waffenruhe aus seiner Sicht nur bei einem Stopp der Waffenlieferungen denkbar wäre. Außerdem sieht er die Möglichkeit, auf besetzten Gebieten neue Staaten zu schaffen - demokratisch, aber mit eingeschränkter Souveränität.
Das angekündigte Treffen zwischen Trump und Putin findet vorerst nicht statt. Voraussetzung für ein weiteres Treffen sei laut dem US-Präsidenten, dass es nicht "vergeudet" sei.
22.10.2025 | 0:28 minZDFheute: Weitere Gespräche zwischen Präsident Trump und Präsident Putin finden offenbar zeitnah nicht statt, wohl auch, weil Wladimir Putin bei seinen Maximalforderungen bleibt. Ist das ein Beleg dafür, dass Russland noch immer kein Interesse hat, seinen Krieg gegen die Ukraine zu beenden?
Politikwissenschaftlerin Claudia Major zeigt sich mit Blick auf ein mögliches Treffen zwischen Trump und Putin skeptisch.
17.10.2025 | 7:15 minReinhard Merkel: Man sollte keine Putin-Psychologie betreiben, sondern die politischen Ziele eines kalt kalkulierenden, hochintelligenten Potentaten erwägen. Natürlich hat er ein großes Interesse an der Vermeidung weiterer Waffenlieferungen in die Ukraine. Eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand müsste daher auch eine über einen Waffenlieferungsstillstand sein. Putin erwartet wohl, dass Russlands Interessen auch insofern berücksichtigt werden.
"Putin spielt mit Trump - ist Europa Kiews letzte Hoffnung?" ist das Thema bei "maybrit illner" am Donnerstag um 23:15 Uhr. Zu Gast u.a. Unionsfraktionsvize Norbert Röttgen (CDU), Andrij Melnyk, UN-Botschafter der Ukraine, und Jurist Reinhard Merkel.
23.10.2025 | 0:25 minZDFheute: Bereits im Dezember 2022 haben Sie ausgeführt, dass der Angreifer Russland, aber auch die angegriffene Ukraine eine Pflicht hätte, in Verhandlungen einzutreten, um den Krieg zu beenden. Warum sehen Sie das so?
Merkel: Putin ist völkerrechtlich verpflichtet, seinen Aggressionskrieg so schnell es geht zu beenden. Es gibt aber neben völkerrechtlichen auch politisch-ethische Pflichten. Eine solche sehe ich bei der ukrainischen Regierung gegenüber den Menschen im Land, und angesichts eines atomaren Risikos auch gegenüber dem Rest der Welt.
Hätte es in Russlands Krieg gegen die Ukraine längst einen Frieden geben können? Die Antwort im ZDFheute-Backgroundcheck.
24.06.2024 | 18:37 minAls Regierung zu sagen, wir sind in einer Notwehrlage und dürfen uns verteidigen, solange wir wollen, ist falsch. Das mag im individuellen Notwehrrecht gelten. Eine angegriffene Privatperson darf sich bis zu ihrem Tod verteidigen. Eine Regierung darf so etwas für alle Menschen in ihrem Land nicht entscheiden.
ZDFheute: Warum darf das eine Regierung nicht?
Merkel: Sie hat die Lebens- und Überlebensinteressen und die Zukunft vieler Millionen ihrer Bürger mit zu bedenken. Gewiss, dazu gehört der Schutz des Landes gegen Aggressionen von außen. Deshalb hatte die ukrainische Regierung zunächst die Pflicht zur Verteidigung.
Wenn aber der Krieg verheerend wird und verloren zu gehen droht, oder wenn ein atomarer Schlag seitens Moskaus droht, dann überwiegt die Pflicht der Regierung, mit der Bereitschaft zu Konzessionen in Verhandlungen einzutreten, um ihre Bevölkerung vor einer vernichtenden Katastrophe zu schützen.
Russland hat die Ukraine in der Nacht erneut mit Luftkörpern angegriffen. Auch das könnte zur Absage des Treffens beigetragen haben.
22.10.2025 | 1:49 minZDFheute: Europa und die Ukraine arbeiten nun an einem 12-Punkte-Plan für eine Waffenruhe. Sie haben bereits im Februar 2025 einen Plan publiziert, was schlagen Sie vor?
Merkel: Meine Hamburger Kollegen Bernd Lucke, Dirk Meyer und ich haben das Modell eines möglichen Friedensplans skizziert, der den Status quo des Krieges anerkennt, aber im Einklang steht mit den Prinzipien der EU: Wahrung des Völkerrechts, Demokratie und Selbstbestimmung für alle Ukrainer.
Auf den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten könnten durch Volksabstimmungen ein oder mehrere neue Staaten entstehen ...
... die in ihrer inneren Verfassung frei, rechtsstaatlich und demokratisch sind, aber in allen außen- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten der Zustimmung Moskaus bedürfen. Insofern wären das Staaten mit eingeschränkter Souveränität, aber gleichwohl Staaten, deren Bürger frei in einem demokratischen Rechtsstaat leben würden.
"Für Putin steht nichts auf dem Spiel": Einschätzungen von ZDF-Korrespondentin Claudia Bates (Washington) und Armin Coerper (Moskau).
22.10.2025 | 3:24 minZDFheute: Worin läge der Vorteil für beide Kriegsparteien?
Merkel: Beide Staaten würden Gebiete verlieren, die sie derzeit beanspruchen, aber nicht an den Feind, sondern an die neuen Staaten selbst. Russland würde durch eine vertraglich abgesicherte Truppenpräsenz in diesen Staaten sein Bedürfnis nach Sicherheit befriedigt sehen. Umgekehrt sollte die Nato der Ukraine ihren Schutz zusichern, aber keine Nato-Truppen auf ukrainischem Territorium stationieren, was die Nato übrigens 1990 ähnlich für die frühere DDR zugesagt hat.
… ist emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg. Er war von 2012 bis 2020 Mitglied im Deutschen Ethikrat. Merkel hat 2022 einen Offenen Brief an den damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz mitverfasst, der im Online-Portal der Emma veröffentlicht worden ist. Darin appellieren Intellektuelle und Künstler, bei seiner besonnenen Haltung zu bleiben und keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern, aus Sorge vor weiteren Eskalationen und der Gefahr eines Atomkriegs.
ZDFheute: Was wäre, wenn Russland die Ukraine dann erneut angreifen würde?
Merkel: Dann wäre die Nato von dieser Zusage entbunden.
Das Interview führte Berit Suhr aus der Redaktion "maybrit illner".
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