Militärexperte analysiert Kiews Lage:Gressel: "Diese Angriffe sind der große Hebel der Ukraine"
Hohe Verluste, Häuserkämpfe bei Pokrowsk und ein unklarer Friedensplan: Militärexperte Gressel sieht Kiew unter erheblichem Druck, in einer Sache aber auch auf Kurs.
Sehen Sie das ganze Gespräch mit Gustav Gressel hier im Video - oder lesen Sie nachfolgend die wichtigsten Aussagen.
27.11.2025 | 14:18 min"Die Ukraine ist zweifelsohne unter erheblichem Druck": Militärexperte Gustav Gressel schätzt die Situation der Ukraine, insbesondere bei Pokrowsk als schwierig ein. Den derzeit diskutierten Waffenstillstandsplan hält der Politikwissenschaftler für viel zu schwammig. Einem Vorgehen spricht der Hauptlehroffizier des österreichischen Bundesheeres jedoch große Bedeutung zu.
Bei ZDFheute live erklärt der Militärexperte ...
… wie Pokrowsk ukrainische Reserven verschlingt
In Pokrowsk herrsche ein unübersichtlicher Häuserkampf. Dabei würden aus ukrainischer Sicht wichtige militärische Kräfte wie "Eliteverbände, Sturmbrigaden und Fallschirmjäger, die dort im Einsatz sitzen, zum Teil auch Spezialkräfte des Nachrichtendienstes" verschlungen.
Diese Reserven fehlten dann andernorts für die Abwehr. So hätten die Russen mehrere Fortschritte erzielt, wie etwa im Süden von Pokrowsk, in Richtung Dnipro und Saporischschja oder auch bei Liman. Diese zeigten, "dass die Ukraine einfach wenig Reserven hat, um sich um viele heiße Frontabschnitte gleichzeitig zu kümmern."
Seit Monaten ist die Stadt in der Region Donezk heftig umkämpft. Der Kampf um Pokrowsk im Zeitraffer.
14.11.2025 | 3:05 minZwar sei der Festungsgürtel um die Stadt Pokrowsk noch in Kraft. Aber insgesamt bereiteten "die neuen russischen Taktiken, diese Infiltrationstaktiken, das Aufholen der Russen im Bereich der Drohnenkriegsführung den Ukrainern erhebliche Probleme".
Mit Blick auf ein Waffenstillstandsabkommen sagt Gressel, wenn die Ukraine Russland in Verhandlungen zwingen wolle, die nicht "russische Maximalforderungen" seien, müsse man die russische materielle und personelle Überlegenheit zerstören. Dazu brauche man ein positives "Abnutzungsverhältnis". Das sehe er momentan nicht.
Nicht nur die Situation rund um die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk sei "schwierig", berichtet ZDF-Reporterin Anne Brühl.
12.11.2025 | 3:47 min... wie wichtig die Angriffe auf die Öl-Infrastruktur sind
Gressel misst den Angriffen der Ukraine auf russische Raffinerien und Energiestandorte große Bedeutung für den Kriegsverlauf zu.
Diese Angriffe sind quasi der große Hebel, den die Ukraine hat.
Gustav Gressel, Militärexperte
Langfristig würden diese Angriffe für Moskau "vor allen Dingen ein finanzielles Problem", so Gressel. Denn: Der Großteil der russischen Steuereinnahmen komme aus dem Export von Öl. Gas sei auch wichtig, aber nicht so stark.
Unter anderem der Öl-Export-Hafen von Noworossijsk wurde von der Ukraine getroffen.
Quelle: dpaDie Ölexporte bringe man unter Druck, wenn man die Infrastruktur für den Export beschädige. Zudem sei Infrastruktur für die Verarbeitung von Öl "für die Stabilität der russischen Wirtschaft entscheidend" und "auch für den inneren Frieden".
Billiges Benzin, billige Heizmittel, billige Energiepreise für Industrie sind das, was in der Gesellschaft als einer der großen Vorteile des Regimes Putins gesehen wird.
Gustav Gressel, Militärexperte
Das beende man, indem man die Verarbeitungsinfrastruktur angreife.
Russland sei ein sehr zentralisierter Staat mit einer Wirtschaft, die sehr stark auf Öl, Gas und die Verarbeitung von Öl und Gas ausgerichtet sei. Zudem sei die Energie-Infrastruktur auf den europäischen Exportmarkt ausgerichtet gewesen. Daher befindet sie sich "in Reichweite der ukrainischen Drohnen" - im Unterschied zur Rüstungsindustrie, wo sich viele Anlagen in Sibirien oder zumindest außerhalb der Reichweite ukrainischer Drohnen befänden.
- Mehr zur Thematik: Wie die Ukraine russische Ölexporte behindert
Die Einschätzung von Gressel im Video.
27.11.2025 | 22:47 min... warum Russland plötzlich über einen Waffenstillstand spricht
Dass Russland überhaupt willig sei, über einen Waffenstillstand zu reden, hängt für Gressel mit der Kombination aus Sanktionen gegen Rosneft und Lukoil ab, die von den USA verhängt wurden, sowie den erwähnten Schlägen gegen die Infrastruktur. Die russische Delegation habe auch in den Verhandlungen immer wieder die "Aufhebung von Sanktionen" gefordert.
Viele Ukrainer glaubten nicht, dass Russland vorhabe, einen Plan zu unterschreiben. Der größte Wunsch sei deshalb: mehr Druck auf Russland, berichtet ZDF-Reporterin Alica Jung.
27.11.2025 | 4:57 minDas Problem des aktuellen Waffenstillstand-Plans sieht Gressel aber darin, "dass er genauso wie das Minsker Abkommen keine Reihenfolge und keine Junktims der unterschiedlichen Punkte aufgestellt hat."
Es gibt lose Bestimmungen, die sehr unklar formuliert sind, und es gibt keine klare Hierarchie.
Gustav Gressel, Militärexperte
Das führe dazu, dass "Russland sehr schnell auf den Punkt Ende der Sanktionen drängen und die anderen Punkte irgendwie unter den Tisch fallen lassen will", so Gressel. Deshalb bemühten sich Europäer und Ukrainer, an dem vorgelegten Plan nachzufeilen.
Das Interview führte Christina von Ungern-Sternberg, in Auszügen zusammengefasst hat es ZDFheute-Redakteurin Michaela Schmehl.
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