Antikorruptionsgesetz: Selenskyjs Propaganda-Geschenk für Putin

Analyse

Kritik am Antikorruptionsgesetz:Selenskyj macht Putins Propaganda ein Geschenk

von Nils Metzger
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Das neue Antikorruptionsgesetz in der Ukraine löst Kritik und Proteste aus. Russische Medien stürzen sich auf das Thema, denn es passt genau in die Propaganda des Kremls.

Tausende von Ukrainern protestieren gegen die Umsetzung eines Gesetzes, das die Arbeit von Antikorruptionsinstitutionen regelt.
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat zwei wichtige Anti-Korruptionsbehörden entmachtet. Landesweit kommt es deswegen zu immer mehr Protesten gegen die Regierung.23.07.2025 | 1:55 min
Gegen massive Kritik aus dem In- und Ausland hat Wolodymyr Selenskyjs Regierungspartei am Dienstag die umstrittene Reform zweier Antikorruptionsbehörden durchs ukrainische Parlament gebracht. Sie verlieren dadurch ihren unabhängigen Status.
Russland kann diese Entwicklung optimal für seine Propaganda-Erzählungen ausnutzen.

Worum geht es bei dem neuen Gesetz?

Bislang hatte die Ukraine zwei von der restlichen Justiz unabhängige Organisationen zur Verfolgung von Korruptionsfällen. Das umfasste etwa eigene Ermittler. Künftig wird die reguläre Generalstaatsanwaltschaft ein Weisungsrecht bekommen und darf etwa Fälle abziehen.
ZDF-Reporter Toge Bode berichtet aus der Ukraine.
Der ukrainische Präsident will nach massiven Protesten ein neues Gesetz vorlegen. Das sei auch eine Reaktion auf den Widerstand vieler junger Mensch, so ZDF-Reporter Torge Bode.23.07.2025 | 4:42 min
Das Nationale Antikorruptionsbüro (Nabu) war 2014 in Reaktion auf die Maidan-Proteste geschaffen worden. Aktivisten und Opposition sehen nun den Kampf gegen Korruption erheblich geschwächt und werfen Präsident Selenskyj vor, Vertraute schützen zu wollen. Der verwies in einer Videobotschaft am Mittwoch darauf, die Behörden von "russischem Einfluss" säubern zu wollen.
ZDF-Reporter Torge Bode zu Gast bei ZDFheute live.
Die Menschen in der Ukraine hätten kein Vertrauen in die Regierung, so ZDF-Reporter Bode in Kiew. Neben dem Krieg belasten sie steigende Preise und Korruption. 17.07.2025 | 4:34 min

Wie reagiert Russland auf diese Entwicklung?

Für die russische Regierung ist die Entscheidung der Ukraine ein gefundenes Fressen. In einer ersten Reaktion am Mittwoch sah sich Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in seinen seit Jahren wiederholten Behauptungen bestätigt: "Das Geld amerikanischer und europäischer Steuerzahler wurde größtenteils in der Ukraine gestohlen. Das kann man mit einem hohen Grad an Sicherheit sagen."

Es gibt viel Korruption im Land. Daher ist Korruption ein heikles Thema für die Ukraine.

Dmitri Peskow, Kreml-Sprecher

Die staatlichen und staatsnahen Medien in Russland griffen die Kritik des Auslands und die Proteste der ukrainischen Zivilgesellschaft eifrig auf. "Weitere Proteste brechen in der Ukraine aus", "EU kritisiert Kiew", "Politiker fordert, wegen Protesten Finanz- und Militärhilfe für Regime zu beenden" - so einige der Tass-Schlagzeilen der vergangenen Stunden.
Die Agentur Ria Novosti schreibt ohne Belege von einer "Panikreaktion" Kiews wegen angeblicher Ermittlungen gegen Selenskyj und verweist auf Trumps viel kritisierte Aussage vom Februar, wonach dieser ein "Diktator ohne Wahlen" sei.
Sicherheitsexperte Nico Lange.
Der ukrainische Präsident Selenskyj befürchtet russischen Einfluss in seinen Behörden. Putin nutze alle Instrumente, mit Druck Leute gefügig zu machen, so Sicherheitsexperte Lange.23.07.2025 | 17:06 min
"Das wird jetzt hoch und runter berichtet. Es war immer eine Haupterzählung der russischen Propaganda, dass die Ukraine viel zu korrupt und keine richtige Demokratie sei", sagt Andreas Umland, Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien.

Die ukrainische Regierung hat Russland einen Propaganda-Erfolg geschenkt. Dabei gibt es in Russland viel mehr Korruption und auch keine vergleichbaren Organe zur Verfolgung von Korruption.

Andreas Umland, Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien

Gibt es eine russische Unterwanderung der Behörden?

Als Grund für die Reformen nennt Selenskyj angeblichen russischen Einfluss auf die Antikorruptionsbehörden. Ist das plausibel? Eine definitive Antwort darauf ist schwierig. Familiäre, politische oder wirtschaftliche Verbindungen in Richtung Russland von einzelnen Behördenmitarbeitern, teils in der Vergangenheit oder über mehrere Ecken, werden in der Ukraine derzeit kontrovers diskutiert.

Neue Regierungschefin der Ukraine
:Stühlerücken statt echtem Regierungswechsel?

Die bisherige Wirtschaftsministerin Julija Swyrydenko rückt an die Spitze der ukrainischen Regierung. Ob sich für die Menschen in der Ukraine etwas ändern wird, ist fraglich.
Torge Bode und Veronika Mironva, Kiew
Yulia Svyrydenko nach ihrer Wahl zur neuen Premierministerin der Ukraine im Ukrainischen Parlament in Kyiv am 17.07.2025.
"Ich halte es für möglich und wahrscheinlich, dass Russland versucht, solche unabhängigen Institutionen zu infiltrieren. Sie sind ein logischer Schwachpunkt im ukrainischen Staat", sagt Experte Umland. "Aber das scheint mir noch lange keine hinreichende Begründung für so ein weitreichendes Gesetz."

Eine Gegenmaßnahme war sicherlich notwendig, aber jetzt geht man zu weit. Da wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Andreas Umland, Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien

In Militär oder Geheimdienst seien während des Krieges bereits viele Fälle von russischen Anwerbungen aufgedeckt worden, so Umland. "Mit der Unterwanderung unabhängiger Behörden könnte Russland gezielt inner-ukrainische Konflikte fördern. Es könnte bei einer Infiltration womöglich gar nicht um das Gewinnen von Informationen gehen, sondern die Spaltung in der Gesellschaft zu befördern, die wir jetzt erleben."
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Korruption ist in der Ukraine ein ernsthaftes Problem. Um dem EU-Beitritt näher zu kommen, versuchte Kiew 2023 gegen Korruption vorzugehen.14.12.2023 | 2:42 min

Bewahrheitet sich nun die russische Propaganda?

Es ist unstrittig, dass die Ukraine ein Problem mit Korruption hat. Seit 2014 wurden viele Schritte unternommen, um dagegen vorzugehen - mit Blick auf den Beitrittsstatus zur Europäischen Union wurden viele Maßnahmen intensiviert. Trotz mancher Skandale gibt es für die Kreml-Behauptung, dass ein Großteil der westlichen Militärhilfen in dunklen Kanälen verschwinde, seit Jahren keine belastbaren Belege.
Der festgefahrene Kriegsverlauf hinterlässt Spuren: "Im Verlauf des Krieges erleben wir eine zunehmende Zentralisierung und Fokussierung auf Sicherheitsaspekte in allen Bereichen", betont Umland. "Die Regierung sagt jetzt, dass Sicherheit wichtiger ist als Korruptionsbekämpfung, wichtiger als lokale Selbstverwaltung, wichtiger als ein vielfältiges Kulturleben."
"Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass sich russische Propaganda-Lügen jetzt nachträglich bewahrheiten. Die beiden Institutionen wird es in anderer Form weitergeben. Korruptionsbekämpfung wird weiter stattfinden", so Umland.

Ich nehme an, dass internationale Partner jetzt so viel Druck machen, dass das Gesetz wieder zurückgenommen wird.

Andreas Umland, Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien

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