Betroffene im Interview: Gewaltschutz nach Trennung schwierig

Interview

Problem Gewaltschutz nach der Trennung:"Warum sind wir die, die ständig auf der Flucht sind?"

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Andrea Stein hat den Angriff ihres Mannes überlebt. Heute lebt sie mit der Angst, dass er zurückkommt und sie tötet. Vom Staat fühlt sie sich im Stich gelassen.

"Weil du mir gehörst! - Wenn Männer ihre Frauen töten": Jochen Breyer steht in einem abgedunkelten Raum und schaut in die Kamera. Im Hintergrund stehen mehrere Stühle, ein weißer Stuhl wird angestrahlt.

104 getötete Frauen, drei Geschichten: Angehörige, Kinder und Freunde berichten - die Doku deckt Muster, Warnsignale und Versäumnisse auf.

25.11.2025 | 43:37 min

Es gibt eine Nacht in Andrea Steins* Leben, in der sich für sie alles ändert. In dieser Nacht im März 2023, so glaubt sie, habe ihr damaliger Mann sie umbringen wollen. Es war nicht das erste Mal, dass er sie angreift. Aber als sie mit blutüberströmten Gesicht in der Notaufnahme sitzt, ist für sie eine Grenze überschritten. Für sie ist klar: Sie muss raus aus dieser Beziehung.

Als sie sich trennt, bombardiert er sie mit Nachrichten und Drohungen. Das Gericht verhängt ein Annäherungsverbot - aber nur für neun Monate. Seit dem 1. Mai ist es ausgelaufen. Die alten Drohungen reichen nicht, um es zu verlängern.

ZDFheute: Frau Stein, wie haben Sie Ihren Ex-Partner kennengelernt?

Andrea Stein: Wir haben uns 2008 über einen Telefon-Chat kennengelernt. Er war humorvoll und freundlich. Ich wusste, dass er ein Drogenproblem hatte. Aber er hatte sich Hilfe geholt. 2009 ist er zu mir gezogen. Wir haben geheiratet, die Kinder kamen dazu. Am Anfang gab es ganz normale, schöne Familienmomente.

ZDFheute: Gab es Warnsignale, die Sie im Nachhinein anders beurteilen?

Stein: Es kam schon früher vor, dass er mich im Streit geschubst hat. Ich habe die Gewalt vertuscht, aus Scham.

Wenn Freunde etwas mitbekommen haben, habe ich ihn verteidigt. Ich wollte nicht, dass die Kinder ihren Papa verlieren.

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20.11.2025 | 2:35 min

ZDFheute: Wann wurde aus dieser Gewalt eine lebensbedrohliche Situation?

Stein: Das war im März 2023. Er war mit dem Auto unterwegs, alkoholisiert. Ich wollte verhindern, dass er weiterfährt - dann ist es eskaliert. Er hat mich zusammengeschlagen. Ich hatte Todesangst.

Am 25. November 2025 ist der internationale Orange Day - der Tag, der auf Gewalt an Frauen aufmerksam macht und ein Zeichen dagegensetzt. Das ZDF begleitet diesen Tag unter dem Slogan "Alle Augen auf! Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen" mit einem umfangreichen Programmangebot im November.


Und er hat gedroht: Wenn ich die Polizei rufe, fährt er los und tut den Kindern etwas an. In dem Moment war ich sicher, dass er dazu in der Lage ist. Später in der Notaufnahme habe ich mehrfach "nein" gesagt, als die Ärztin die Polizei rufen wollte - aus Angst vor ihm.

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Fast jeden zweiten Tag tötet in Deutschland ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin. "Es gibt zu viel Gewalt gegen Frauen. Im schlimmsten Fall ist sie tödlich", so Familienministerin Karin Prien (CDU).

20.11.2025 | 4:10 min

ZDFheute: Wie ging es nach dieser Nacht weiter?

Stein: Er hat sich entschuldigt, aber immer mit dem Zusatz: Hättest du mir nicht so viel Stress gemacht, wäre das nicht passiert. Ich habe mir Hilfe gesucht, bin in eine Selbsthilfegruppe gegangen, habe mir ein Netzwerk aufgebaut. Ein halbes Jahr später habe ich mich getrennt. Danach begannen Stalking und Drohungen.

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ZDFheute: Wie haben Sie sich geschützt?

Stein: Es kamen Nachrichten, Drohungen, eine Mailflut. Dann hat sein bester Freund mich angerufen und gesagt, ich soll mich in Sicherheit bringen, mein Ex-Partner würde mich ansonsten kalt machen.

Gemeinsam mit meiner Anwältin haben wir beim Amtsgericht einen Gewaltschutzantrag gestellt - als Eilantrag. Die Justizangestellte sagte, der Antrag werde zusammen mit der Kindschaftssache verhandelt, also mit Umgangsrecht und Sorgerecht - der Termin sei erst in etwa vier Wochen.

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Obwohl ich gesagt habe, dass das keinen Monat warten kann, hat sie gesagt: Das hat der Richter so entschieden. Irgendwann wusste ich mir nicht mehr zu helfen. Da habe ich gesagt, sie kann schon mal eine Notiz machen: Wenn ich zu diesem Gerichtstermin nicht erscheine, liegt es daran, dass der mit meiner Beerdigung kollidiert.

Erst als das Jugendamt dem Gericht geschrieben hat, dass sie sich Sorgen um meine körperliche Unversehrtheit machen, wurde der Gewaltschutz doch noch bewilligt.

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ZDFheute: Hat das Annäherungsverbot Sie geschützt?

Stein: Wir mussten ins Frauenhaus. Zu Hause war es zu gefährlich. Ich hatte ein Notrufarmband, mit dem ich die Polizei direkt alarmieren konnte. Auf dem Papier war klar: Er darf sich mir und den Kindern nicht nähern. In der Realität hat er sich nicht daran gehalten.

Einmal stand er nach einem Einkauf auf dem Parkplatz. Ich habe das Armband gedrückt, bin mit meiner Tochter ins Auto, habe abgeschlossen. Wir saßen mit Pfefferspray in der Hand nebeneinander und haben auf die Polizei gewartet.

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Später hieß es, wir seien im Frauenhaus nicht mehr sicher, weil er dort in der Gegend auftaucht. Da habe ich gefragt:

Warum sind wir die, die ständig auf der Flucht sind, wo es doch eindeutige Nachweise für die Gefahr gibt?

Ich habe nach Zwangsunterbringung gefragt. Da hieß es, das seien tiefe Eingriffe in seine Grundrechte. Ich habe gesagt: Wo sind unsere Grundrechte von mir und meinen Kindern?

Am Ende bin ich mit den Kindern wieder ins Haus zurück. Der Gewaltschutz wurde noch einmal verlängert und ist dann zum 1. Mai ausgelaufen. Danach hat man mir erklärt, die bisherigen Drohungen und Übergriffe würden zu lange zurückliegen. Deshalb könne das Verbot nicht noch einmal verlängert werden.

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ZDFheute: Wie geht es Ihnen heute?

Stein: Es ist ruhiger geworden, seit er eine neue Freundin hat. Als das alles erst einmal abgeebbt ist, bin ich vor Erschöpfung zusammengebrochen. Ich war in einer Tagesklinik, jetzt bin ich ambulant in Therapie, meine Kinder sind ebenfalls in Behandlung.

Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass der Staat mich im Stich gelassen hat. Ich habe drei Strafanzeigen gestellt und rund 450 Dateien hochgeladen - Chatverläufe, Screenshots, Audios. All das ist im Strafverfahren gelandet. Im Familiengericht, das über den Gewaltschutz entschieden hat, wurden diese Unterlagen gar nicht eingesehen. Wie kann das sein?

*Name aus redaktionellen Gründen geändert

Das Interview führte Linda Huber.

  • Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 116 016, Online-Beratung via Chat oder E-Mail
  • Bundesweite Frauenhaussuche
  • KI-Hilfe-Chat Maya: ein KI-Chat, der rund um die Uhr auf vielen Sprachen anonym und sicher verfügbar ist und hilft, passende Unterstützungsangebote zu finden.
  • Juristische Unterstützung: Die Feminist Law Clinic gibt kostenlose Rechtsberatung für Betroffene von Gewalt oder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung, auch zum Gewaltschutzgesetz. Die Beratung ist bundesweit online sowie in Köln, München, Hamburg, Tübingen und Göttingen in Person möglich. Weitere Infos via Mail an beratung@feministlawclinic.de erhältlich.
  • Weitere Unterstützung: Bundesweit gibt es unterschiedliche Anlaufstellen beispielsweise für Selbsthilfegruppen oder die anonyme Spurensicherung.


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