Femizide: Rechtliche Lage zur Gewalt gegen Frauen in Deutschland

Gewalt gegen Frauen:Wie Femizide im deutschen Recht bewertet werden

von Louisa Hadadi

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Jeden Tag versucht ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten, jeden zweiten Tag gelingt es ihm. Ein Überblick über die rechtliche Lage.

Grafik zum Femizid an Saadiya: Ein Mann bedroht in häuslicher Umgebung seine Frau mit einem Messer

938 Frauen wurden 2023 Opfer von vollendeten oder versuchten Tötungsdelikten. Meistens sind Männer die Täter. Und sehr oft verbindet Täter und Opfer eine persönliche Geschichte.

18.11.2025 | 44:19 min

Die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist - Femiziden liegt häufig ein Besitzdenken oder die Vorstellung zugrunde, Frauen seien weniger wert. Wenn ein Mann denkt, über eine Frau bestimmen zu dürfen, kann er gewalttätig werden, wenn sie sich seinem Willen widersetzt.

Viele Gewalttaten finden in Partnerschaften statt: rund 16 Prozent der Frauen, die bereits einen Partner hatten, haben in der Partnerschaft sexuelle oder körperliche Gewalt bzw. Die Androhung davon erfahren. Bei psychischer Gewalt sind es 30 Prozent.

Femizide finden in allen Gesellschaftsschichten statt, so die auf Gewaltschutz spezialisierte Anwältin Asha Hedayati. Geschlechtsspezifische Gewalt basiere auf einem tiefsitzenden patriarchalen Verständnis.

Im Jahr 1976 verwendete die US-amerikanische Soziologin Diana Russel den Begriff "Femizid", um zu verdeutlichen, dass Frauen häufig aus anderen Gründen getötet werden als Männer. Bekanntheit erlangte der Begriff in Lateinamerika, wo er seit den 1990er Jahren genutzt wird und mittlerweile in einige Strafgesetze Eingang gefunden hat.

Das Bundeskriminalamt (BKA) nutzte den Begriff erstmals in seinem Bundeslagebild 2023 zu geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten. Es versteht Femizide als Tötungsdelikte an Frauen, denen die Annahme einer geschlechtsbezogenen Ungleichwertigkeit zugrunde liegt.

Mangels Daten zur Tatmotivation erfasst das BKA folgende Taten an Frauen als Femizid: Mord im Zusammenhang mit Sexualdelikten und sonstiger Mord, Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge. Ausgenommen sind unter anderem Sexualdelikte mit Todesfolge und Brandstiftung mit Todesfolge.


In 43 Prozent der vom BKA als Femizid erfassten Fälle war der (Ex-)Partner der Täter. Statistisch gesehen ist er damit die Person, von der eine Frau am ehesten getötet wird. Zum Vergleich: Sechs Prozent der getöteten Männer waren Opfer ihrer (Ex-)Partnerinnen.

Kurzdoku Femizide - Demo "Stoppt Femizide"

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05.11.2025 | 19:13 min

Höhere Strafe bei geschlechtsspezifischen Motiven

In Deutschland gibt es keinen eigenen Femizid-Straftatbestand. Die Tötung der (Ex-)Partnerin ist als Mord oder Totschlag strafbar. Geschlechtsspezifische Beweggründe werden jedoch beim Strafmaß berücksichtigt - und das bei allen Arten von Straftaten. Wer beispielsweise jemanden "nur" schlägt, weil er davon ausgeht, das andere Geschlecht sei weniger wert, wird ebenfalls höher bestraft.

Am 25. November 2025 ist der internationale Orange Day - der Tag, der auf Gewalt an Frauen aufmerksam macht und ein Zeichen dagegensetzt. Das ZDF begleitet diesen Tag unter dem Slogan "Alle Augen auf! Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen" mit einem umfangreichen Programmangebot im November.


Frauenfeindlichkeit als Mordmerkmal?

Außerdem können Femizide bereits jetzt als Mord gewertet werden, wenn Gerichte das Mordmerkmal der "niedrigen Beweggründe" annehmen. Dafür muss die Tötung besonders verachtenswert und menschlich nicht verständlich sein. Der Bundesgerichtshof urteilt jedoch regelmäßig, dass keine "niedrigen Beweggründe" gegeben sind - und daher kein Mord vorliegt -, wenn sich die Frau vorher vom Täter getrennt hat.

Wer einen Menschen tötet, macht sich grundsätzlich des Totschlags nach Paragraph 212 Strafgesetzbuch strafbar. Der Totschlag wird mit mindestens fünf Jahren Gefängnis bestraft. Für die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag ist nicht entscheidend, ob jemand absichtlich handelte - auch der Totschlag muss vorsätzlich begangen werden.

Die Tötung ist nur dann ein Mord, wenn die Umstände oder Motive der Tatbegehung besonders verwerflich oder gefährlich sind. Paragraph 211 Strafgesetzbuch listet alle entsprechenden Mordmerkmale auf. Wer beispielsweise grausam oder aus Habgier tötet, kommt wegen Mordes lebenslang in Haft. Frühestens nach 15 Jahren kann der Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden.


Solche Bewertungen kritisiert der Deutsche Juristinnenbund (djb). Gleichzeitig ist das für Dilken Çelebi, Vorsitzende der djb-Strafrechtskommission, aber auch ein Grund, warum es keinen Änderungsbedarf im Strafgesetzbuch gibt.

Wer Femizide nicht als Mord einstuft, weil er die niedrigen Beweggründe falsch einschätzt, wird möglicherweise auch einen Femizidtatbestand nicht richtig anwenden.

Dilken Çelebi, Deutscher Juristinnenbund

Stattdessen brauche es entsprechende Fortbildungen, so Çelebi. In Spanien etwa gibt es speziell ausgebildete Richter*innen, die geschlechtsspezifische Dimensionen der Tat erkennen. Richter*innen in Deutschland sind zwar verpflichtet, sich regelmäßig fortzubilden. Konkrete Inhalte werden ihnen aber nicht vorgeschrieben.

Frau sitzt in einem Raum auf einem Stuhl, im Hintergrund sieht man ein Whiteboard

In Ludwigshafen gibt es eine neue Selbsthilfegruppe für Betroffene von häuslicher Gewalt und deren Angehörige - gegründet von Diana König, aus ganz persönlichen Motiven.

04.12.2024 | 4:04 min

Femizide als Ende der Gewaltspirale

Asha Hedayati zufolge starten Gewaltbeziehungen oft ganz normal. Nach einigen Monaten fange subtil psychische Gewalt an: Isolation von Freund*innen und Familie, Erniedrigungen, emotionale Erpressung. Sobald die Frau kaum noch Kontakt zu anderen habe, falle ein wichtiges Korrektiv weg. Sie traue ihren Wahrnehmungen nicht, erkenne erst spät, dass sie Gewalt erfährt.

Psychische Gewalt ist vielleicht nicht so tödlich, aber genauso zerstörerisch.

Asha Hedayati, Rechtsanwältin

Wenn sich eine Frau zurückzieht, sei es wichtig, im Gespräch zu bleiben. Asha Hedayati weiß aus ihrer jahrelangen Arbeit mit Betroffenen, dass sie sich oft schämen für die Gewalt, die sie erfahren - nicht der Täter.

Wir müssen die Erzählung ändern: Es gibt nichts so Radikales wie eine Betroffene, die irgendwann aufsteht und geht.

Asha Hedayati, Rechtsanwältin

  • Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 116 016, Online-Beratung via Chat oder E-Mail
  • Bundesweite Frauenhaussuche
  • KI-Hilfe-Chat Maya: ein KI-Chat, der rund um die Uhr auf vielen Sprachen anonym und sicher verfügbar ist und hilft, passende Unterstützungsangebote zu finden.
  • Juristische Unterstützung: Die Feminist Law Clinic gibt kostenlose Rechtsberatung für Betroffene von Gewalt oder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung, auch zum Gewaltschutzgesetz. Die Beratung ist bundesweit online sowie in Köln, München, Hamburg, Tübingen und Göttingen in Person möglich. Weitere Infos via Mail an beratung@feministlawclinic.de erhältlich.
  • Weitere Unterstützung: Bundesweit gibt es unterschiedliche Anlaufstellen beispielsweise für Selbsthilfegruppen oder die anonyme Spurensicherung.


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