Sexuelle Gewalt gegen Kinder: Millionen laut Studie betroffen
Studie sieht großes Dunkelfeld:Millionen erleben sexuelle Gewalt in Kindheit
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Millionen Menschen in Deutschland haben laut einer Studie als Kind oder Jugendlicher sexualisierte Gewalt erlebt. Frauen sind demnach deutlich häufiger betroffen als Männer.
20 Prozent der Frauen haben als Kind oder Jugendliche sexualisierte Gewalt erfahren, wie eine Studie ergeben hat. (Symbolbild)
Quelle: Imago
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist in Deutschland weit verbreitet. Insgesamt haben einer neuen Studie zufolge 12,7 Prozent der 18- bis 59-Jährigen solche Taten als Minderjährige erlebt - das sind 5,7 Millionen Menschen. Bei den Frauen sind demnach 20,6 Prozent betroffen, bei den Männern 4,8 Prozent.
Das Ausmaß solcher Taten in Deutschland sei "erschreckend groß", sagte Studienkoordinator Harald Dreßing. Obwohl das Bewusstsein um die Problematik in den vergangenen Jahren in Deutschland gewachsen sei, müsse von einem "großen Dunkelfeld" ausgegangen werden.
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Dreßing leitet die Forensische Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Er war vor der Studie unter anderem an Missbrauchsstudien für die evangelische und katholische Kirche federführend beteiligt.
Sexuelle Gewalt in Kindheit: Viele mehrfach betroffen
Zum Zeitpunkt der ersten Tat waren die Betroffenen laut der Studie im Schnitt 11,2 Jahre jung. Die Mädchen seien meist etwas älter als die Jungen gewesen, so Dreßing.
Dabei erlebte rund jeder zweite Betroffene sexualisierte Gewalt nicht nur einmal. Mehrfach zum Opfer wurden vor allem jene, an denen so eine Tat schon in besonders jungen Jahren zum ersten Mal verübt wurde. Bei den von Mehrfachtaten betroffenen Personen dauerte der Missbrauch durchschnittlich 3,4 Jahre.
Für die Mannheimer Dunkelfeldstudie wurden von Mai bis Oktober 2024 deutschlandweit über 10.000 Personen zwischen 18 und 59 Jahren angeschrieben. 3.012 antworteten auf die Fragebögen des Umfrageinstituts Infratest dimap (Berlin).
Die Forscherinnen und Forscher fragten nach allen Taten gegenüber Unter-14-Jährigen sowie nach Taten gegenüber Unter-18-Jährigen gegen deren Willen. Gefragt wurde etwa nach sexueller Belästigung oder Nötigung, aber auch nach Annähern im Internet für spätere sexuelle Übergriffe.
Die Studie, die vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim (ZI) ausging, entstand in Kooperation mit Forscherinnen und Forschern des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit, der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik in Ulm und des Kriminologischen Instituts in Heidelberg.
Finanziert wurde sie aus Forschungsmitteln der Institute und mit finanzieller Unterstützung der Opferstiftung Weißer Ring, des Betroffenenvereins Eckiger Tisch und des Kinderschutzbunds.
Quelle: epd, dpa
Überwiegend männliche Täter
Die große Mehrheit der Betroffenen gab laut Studie einen männlichen Täter an. Nur 4,5 Prozent der befragten Personen hätten sexualisierte Gewalt durch eine Frau erlebt.
Die Befragung ergab zudem, dass in mehr als 95 Prozent der Fälle Berührungen stattfanden - in 23,7 Prozent der Fälle sogar eine Penetration.
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Mädchen öfter durch Familie betroffen, Jungen in der Freizeit
Mädchen erfuhren vor allem im Familien- und Freundeskreis sexuelle Gewalt - mit rund einem Drittel insgesamt der häufigste Tatkontext. Jungen erlebten Missbrauch häufiger in Sport- und Freizeiteinrichtungen, im kirchlichen Kontext und im Rahmen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe.
Überall dort, wo Kinder und Eltern eigentlich einen Schutzraum für Kinder erwarten dürfen, passieren Sexualdelikte.
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Harald Dreßing, Studienkoordinator
Über das Internet und soziale Medien haben nach eigenen Angaben bereits fast 32 Prozent sexualisierte Gewalt erlebt. Hier berichteten Betroffene am häufigsten über ungewollte Kontakte mit pornografischem Material (18 Prozent) sowie über ungewollte Fragen nach sexuellen Informationen und ungewollten Gesprächen sexuellen Inhalts (jeweils rund 10 Prozent).
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Forscher: Schweres Trauma, das Leben zerstören kann
"Die Tathandlungen sind gravierend", stellen die Forscherinnen und Forscher fest.
Wenn ein Kind Opfer sexualisierter Gewalt wird, dann ist das ein schweres Trauma. Es kann ein Leben zerstören.
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Harald Dreßing, Studienkoordinator
Laut der Studie schweigen viele Opfer - aus Scham- und Schuldgefühlen sowie aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, wie der Psychiater erläutert. Mehr als 37 Prozent der Betroffenen berichteten gegenüber den Mannheimer Forschenden zum ersten Mal über die erlittenen Taten. Strafanzeige hatten sieben Prozent erstattet.
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