Wenn Kindesmissbrauchs-Opfer Eltern werden - Studie

Wenn Betroffene Eltern werden:Als Kind missbraucht, jetzt Mutter

Dorthe Ferber
von Dorthe Ferber
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Wie geht es Opfern von sexueller Gewalt im Kindesalter, wenn sie erwachsen sind und eigene Kinder haben? Eine Studie liefert nun erstmals Erkenntnisse.

Eltern mit ihren Kindern
Eltern, die als Kind sexuellen Missbrauch erlebt haben, stehen oft vor besonderen Herausforderungen.
Quelle: imago

Wer sexuelle Gewalt als Kind erfahren musste, kann davon lebenslang betroffen sein. Was bedeutet das, wenn Betroffene selbst Eltern werden? Das erforscht erstmals eine umfassende Studie mit über 600 Beteiligten.
Ein Ergebnis der Studie, die von der "Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs" herausgegeben wurde: Betroffene, die Eltern werden, können mit Erinnerungen, Ängsten und Folgen des eigenen Missbrauchs in Berührung kommen.
Elternschaft ist für sie oft eine besondere Herausforderung, zugleich bietet sie auch Chancen.
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Helikoptermutter oder gar selbst Täter?

Da sind die Befürchtungen: Kann ich mit meiner Vergangenheit überhaupt ein guter Vater, eine gute Mutter sein? So kann schon die Geburt Ohnmachtserlebnisse aufgrund der eigenen Gewalterfahrung auslösen. Andere berichten von Schwierigkeiten beim körperlichen Umgang mit ihren kleinen Kindern.
Oder von der Angst, zu einer "Helikoptermutter" zu werden, weil das Vertrauen fehle, das Kind Dritten zu überlassen. Eine Befragte erzählt:

Ich habe alle, die sich meinem Kind näherten, beobachtet, ob sie sich so verhalten wie mein eigener Täter.

Studien-Teilnehmerin

Väter befürchten zum Teil, selbst zu Tätern zu werden, als eine Art Automatismus. "Ich hatte Angst vor dem Vatersein", sagt ein Studienteilnehmer: "Weil man ständig irgendwo liest, wenn es um Kindesmissbrauch geht: 'Der Täter war selbst betroffen, der hatte eine schlimme Kindheit.'"
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Wie viel sollen die eigenen Kinder wissen?

Fast ein Viertel der befragten Eltern berichtet von der Herausforderung, dass ihre Kinder Kontakt zum Täter hatten. Weil der etwa Teil der Familie ist und die Taten ignoriert, verharmlost oder verschwiegen wurden. "Wie kann ich mein Kind vor sexueller Gewalt schützen, diese Frage zieht sich durch alle Interviews", resümiert die Soziologin Barbara Kavemann, eine der Autorinnen der Studie.
Als Eltern stehen Betroffene zudem vor der Frage, ob sie ihren Kindern altersgerecht sagen sollen, was ihnen selbst als Kind passiert ist. Ungefähr die Hälfte der Befragten hatte sich dafür entschieden. Weil sie erklären wollten, warum es keinen Kontakt mehr zu Oma und Opa gibt. Oder warum sie immer wieder in die Klinik mussten.

Hilfsangebote fehlen

Eine weitere Erkenntnis der Studie: Es fehlt an Hilfsangeboten, dabei haben Betroffene oft kaum Vertrauenspersonen oder ein soziales Netzwerk. Weniger als die Hälfte hat Unterstützung erhalten.
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Erziehungs- und Familienberatungsstellen sehen sich für diese Zielgruppe kaum zuständig. "Das Thema überfordert schnell", sagt die Betroffenenvertreterin Ava Anna Johannson. Das müsse sich ändern, fordern die Autorinnen der Studie. Es brauche mehr Angebote und Fachwissen, Betroffene müssten dabei einbezogen werden.
Die fordern vor allem Schutzkonzepte für Kinder: "Ich würde mir wünschen, dass auf irgendeinem Elternabend mal gefragt wird: Wie ist denn hier das Schutzkonzept?", sagt Claas Löppmann, der sexuelle Gewalt als Kind erlebt hat. Diese Frage habe er aber noch nie gehört. Löppmann ist beruflich für kommunale Kitas verantwortlich - die haben natürlich ein Schutzkonzept. Solche Konzepte sind bundesweit aber nicht vorgeschrieben:

Ich finde es schockierend, dass Kitas und Schulen es sich weiter leisten können, kein Schutzkonzept zu haben.

Claas Löppmann, Betroffener

Die Studie zeigt auch: Kinder zu haben, bedeutet für Betroffene nicht nur, dass Erinnerungen an erlebte Gewalt hochkommen können. Noch häufiger berichten sie von den guten Seiten ihrer Elternschaft, die auch Kraft spenden kann. Von der heilsamen Erfahrung, die eigenen Kinder gut aufwachsen zu sehen - so ganz anders als in der eigenen Kindheit.
Dorthe Ferber ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin.

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Quelle: dpa

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