Femizid und häusliche Gewalt: Mehr Schutz für Frauen gefordert

Interview

Häusliche Gewalt gegen Frauen:Anwältin über Femizide: Wo Gerichte oft falsch liegen

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Gewalt gegen Frauen werde vor Gericht noch zu oft als Kavaliersdelikt behandelt, sagt Christina Clemm. Sie vertritt Betroffene vor Gericht. Und fordert einen besseren Schutz.

Kurzdoku Femizide - Demo "Stoppt Femizide"

Derya war eine von 113 Frauen, die 2021 von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet wurden. Auch ihr Sohn musste sterben, weil der leibliche Vater die beiden als Störfaktoren sah. Ein Femizid.

05.11.2025 | 19:13 min

Fast jeden zweiten Tag tötet in Deutschland ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin. Genaue Zahlen zu Femiziden gibt es nicht, da die Polizeistatistik die Motive der Täter nicht erfasst. Fest steht: Viele Femizide sind keine plötzlichen Handlungen, oftmals durchleiden Frauen jahrelang häusliche Gewalt.

Christina Clemm, Fachanwältin für Straf- und Familienrecht, vertritt seit fast drei Jahrzehnten Opfer von häuslicher Gewalt und Angehörige von Femiziden. Im Interview mit ZDFheute kritisiert sie, dass Gerichte oft keine niederen Beweggründe bei den Tätern sehen. Außerdem erklärt sie, dass Mütter mit Kindern in einer besonders schwierigen Lage sind - wegen des Umgangsrechts.

Anwältin: Umgangsrecht hebelt Gewaltschutz aus

Trennt sich eine Frau von ihrem Partner, sprechen ihm Familiengerichte immer wieder ein Umgangsrecht mit den gemeinsamen Kindern zu, selbst wenn er gegenüber der Mutter gewalttätig war. Eine große Belastung für die Mütter: Sie können keinen Abstand zum Täter herstellen und fürchten nicht selten um die Unversehrtheit ihrer Kinder.

Das Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Elternteilen steht sehr hoch und hebelt im Moment den Gewaltschutz aus.

Christina Clemm, Fachanwältin Straf- & Familienrecht

Das hält die Rechtsanwältin und Sachbuchautorin aus Berlin für falsch.

Julia Habermann bei ZDFheute live.

Sozialwissenschaftlerin Julia Habermann sagt, dass Frauen häufig im Zusammenhang mit Trennungen getötet werden. Zur Bekämpfung bräuchte es auch ein stärkeres Beratungsangebot.

17.03.2025 | 8:41 min

Häusliche Gewalt bei Gerichten "nicht oben auf der Agenda"

Ein weiteres Problem sieht Clemm in der mangelnden Kapazität der Gerichte. Häusliche Gewalt sei ein Massendelikt, die Gerichte seien aber mit anderen Dingen überlastet.

Sie steht nicht oben auf der Agenda. Weil es immer noch wichtiger ist, den Ladendiebstahl zu verfolgen, als die häusliche Gewalt.

Christina Clemm, Fachanwältin Straf- & Familienrecht

Frauen durchleben über Jahre Gewalt - Prozesse dauern zu lange

Die Frauen, die Christina Clemm vertritt, haben oft über Jahre hinweg psychische, physische und sexualisierte Gewalt durch ihre Partner erlebt. Häufig steigerten sich die Attacken im Laufe der Zeit.

Faru hat Flächschen in der Hand

Straftaten wie Vergewaltigungen und häusliche Gewalt werden häufig nicht dokumentiert, da Betroffene die Kosten dafür selbst tragen müssen. Kassenleistung ist es noch nicht in jedem Bundesland.

22.08.2025 | 3:06 min

Viele Betroffene seien schwer traumatisiert. Anzeige zu erstatten und auszusagen sei eine große Überwindung für die Opfer. Dann dauere es oft viel zu lange, bis Verfahren eröffnet würden.

Wenn ich heute wegen Körperverletzung meinen Mann anzeige, kann ich von Glück reden, wenn es nach zwei Jahren zur Verhandlung kommt.

Christina Clemm, Fachanwältin Straf- & Familienrecht

Schutz von Frauen: Istanbul Konvention verpflichtet Deutschland

Betroffene Frauen bräuchten mehr Unterstützung, so Clemm. Mit dem Inkrafttreten der Istanbul Konvention im Februar 2018 hat Deutschland sich eigentlich längst verpflichtet, alles zu tun, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern und zu bekämpfen. Umgesetzt sei das aber noch lange nicht.

Wir haben immer noch viel zu wenig Frauenhausplätze, Mittel für Täterarbeit und Beratungsstellen. Viele wissen nicht, wo sie hinkönnen.

Christina Clemm, Fachanwältin Straf- & Familienrecht

Eine junge Frau sitzt am 28.08.2013 auf einer Treppe. Frauenhäuser in Sachsen sehen sich dennoch am Limit.

Von Gewalt betroffene Frauen finden zu wenige Anlaufstellen. Auf jede Frau im Frauenhaus kämen fast zweieinhalb abgewiesene. Auch seien die bürokratischen Hürden zu hoch.

23.11.2024 | 0:25 min

Anwältin: Gerichte sprechen zu wenige Mordurteile gegen Täter

Im schlimmsten Fall kommt es zu einem Femizid, also zur Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Für den Begriff gibt es in Deutschland keine einheitliche Definition. Femizide beruhen auf einem historisch gewachsenem Machtungleichgewicht zwischen Männern und Frauen.

Ein Femizid ist die finale Vollendung des Besitzanspruchs. Nach dem Motto: Wenn ich sie nicht haben darf, darf sie niemand haben. Dann darf sie nicht mal mehr leben.

Christina Clemm, Fachanwältin Straf- & Familienrecht

Stalking-Opfer Diana Kruse aus Torgelow fordert strengere Gesetze

Diana aus Torgelow wird jahrelang von ihrem Ex-Freund gestalkt, bedroht und belästigt. Nun ist ihr Stalker für 18 Monate im Gefängnis – zu kurz findet sie und fordert strengere Gesetze.

03.06.2025 | 5:33 min

Kommt es nach einem Femizid zum Prozess, werden die Täter häufig wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt, weil Richter in der Tötung keine niedrigen Beweggründe sehen, die ein Urteil wegen Mordes rechtfertigen. Begründet wird das immer wieder mit der Verzweiflung der Täter.

Männer, die töten, sind fast immer verzweifelt, das steht so in den Urteilen. Und man denkt: Also, wenn ich verzweifelt bin, dann bringe ich vielleicht mich um, aber doch nicht eine andere Person. Das sind einfach zutiefst patriarchal getragene Narrative.

Christina Clemm, Fachanwältin Straf- & Familienrecht

Was es braucht, um Frauen wirksam zu schützen

Um Frauen wirksam zu schützen, brauche es besser geschulte Ermittler, Richter und Richterinnen. Aber auch einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema, mit Kampagnen schon in Kitas und Schulen, fordert Clemm.

Wir wissen, dass in jeder Schulklasse drei bis vier betroffene Kinder sitzen. Man muss Räume eröffnen, damit sie über eigene oder miterlebte Gewalterfahrung sprechen können.

Christina Clemm, Fachanwältin Straf- & Familienrecht

Hate-Aid Aktivistin Anna-Lena von Hodenberg

US-Präsident Trump gebe frauenfeindlichen Bewegungen Aufwind, kritisiert HateAid-Chefin Anna-Lena von Hodenberg. Gegen Hass im Netz müsse die EU konsequent vorgehen.

07.03.2025 | 7:09 min

Einen Schritt in die richtige Richtung sieht die Rechtsanwältin im Gewalthilfegesetz, das im Februar dieses Jahres beschlossen wurde und Anfang 2032 in Kraft treten soll. Frauen und Kinder haben dann einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt.

Dann gibt es einen bestimmten Schlüssel, wie viele Schutzplätze und Beratungsstellen es geben muss. Das halte ich für sehr wichtig.

Christina Clemm, Fachanwältin Straf- & Familienrecht

Bisher ist die Bereitstellung von Frauenhausplätzen und Beratungsstellen eine freiwillige Leistung der Kommunen. Mit dem Gewalthilfegesetz wird es zur Pflicht, ausreichend Plätze zu Verfügung zu stellen. Das Gesetz tritt erst 2032 in Kraft, damit die Länder genug Zeit haben, ihre Hilfesysteme entsprechend auszubauen.

Männlicher Schatten greift nach weiblichem Schatten

Martina war 14, als sie von ihrem Ex-Freund ermordet wurde. Leider kein Einzelfall. Im Jahr 2024 wurden 113 Frauen in Italien getötet, 61 von ihnen durch den Partner oder Ex-Partner.

24.06.2025 | 2:03 min

Das Interview führte Svenja Dohmeyer aus dem Landesstudio Niedersachsen.

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