Gewalt und Missbrauch:Spiking mit K.-o.-Tropfen: Unsichtbarer Albtraum
von Birgit Tanner
Sie kursieren in Clubs, Bars, Privatwohnungen: K.-o.-Mittel machen wehr- und willenlos, werden oft eingesetzt, um Frauen oder Männer zu vergewaltigen - mit schwerwiegenden Folgen.
Sie sind farblos, schmecken nach Nichts und sind hochgefährlich. Sogenannte K.o.-Tropfen werden missbraucht, um Frauen und Männer willenlos zu machen.
05.11.2025 | 43:15 min"Ich wusste nicht wieso. Aber ich wusste, es ist irgendwas Schlimmes passiert." Kates Körper bebt noch heute, wenn sie von jener verhängnisvollen Nacht spricht.
Mit einer Freundin wird sie nach einem Besuch in einer Bar zu deren Bekannten in eine Wohnung eingeladen. Dort trinkt sie einen Whisky-Shot. Am nächsten Morgen wacht sie in einem fremden Schlafzimmer auf. Was dazwischen passiert ist, daran erinnert sich Kate nicht mehr: Alles ist bis auf ein paar Bildfragmente gelöscht. Erst einen Tag später realisiert Kate: sie wurde in jener Nacht mit K.-o.-Tropfen betäubt und vergewaltigt.
Schockstarre nach K.-o.-Tropfen
Ein solcher "Filmriss" beschäftigt auch Nina seit vielen Jahren. Nach einem Abend in einem Club findet sie sich in einem Park wieder - mit zwei wildfremden Männern. Wie sie dorthin kam, weiß sie bis heute nicht. Aber sie erinnert sich verschwommen an Passanten, die gefragt haben, ob alles in Ordnung sei.
Ich konnte nicht sagen, dass nichts in Ordnung ist - dass ich nicht weiß, wer diese Männer sind. Und dass eigentlich gerade alles total schlimm ist.
Nina
Nur selten kommt es zu Verfahren wegen sexueller Gewalt. In Frankreich steht ein ehemaliger Chirurg vor Gericht. Er soll 299 Minderjährige - teils betäubt - sexuell missbraucht haben.
11.03.2025 | 2:16 minNina ist gefangen in einer Schockstarre, eine Form der Dissoziation, die das Fühlen, Denken und Handeln voneinander trennt. Frauen, die Gewalt erfahren, schalteten in akuten Stresssituationen in den sogenannten "Freeze-Modus", erklärt Psychologin Charlotte Hirz.
Wenn Kampf oder Flucht unmöglich erscheinen, sei die Rettung vor noch mehr Gewalt die Erstarrung.
Das ist einfach ein Schutz unserer Psyche, um diese Gewalt zu überleben.
Charlotte Hirz, Psychologin
Spiking: Hilfe für betroffene Frauen und Männer
Bundesweites, kostenfreies Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 116 016
www.hilfetelefon.de
Bundesverband der Frauenberatungsstellen:
www.frauen-gegen-gewalt.de
Bundesweites, kostenfreies Hilfetelefon "Gewalt an Männern": 0800 1239900
www.meannerhilfetelefon.de
Bundesweites, kostenfreies Opfertelefon: 116 006
www.weisser-ring.de
Sich zu wehren, ein klares Nein auszusprechen, ist dann kaum mehr möglich.
Traumatisierung mit jahrelangen Folgen
Die Folgen dieser Gewalt sind für die Betroffenen fatal. Ayda wird als 14-Jährige mit K.-o.-Tropfen ausgeknockt und vergewaltigt. "Ich wusste: Irgendwas stimmt nicht. Aber ich hatte keine Ahnung, was", erinnert sie sich.
Mehrere Wochen später bringt ein Test Gewissheit: Ayda ist schwanger. Jahre der Therapie folgen. Ayda kann für einige Zeit nicht mehr zur Schule gehen. Zwei Mal will sie sich das Leben nehmen.
Sexualisierte Gewalt ist so etwas Furchtbares letztendlich, was so tiefgreifende Folgen haben kann für die Betroffenen, dass manche eben zum Beispiel ihren Arbeitsplatz verlieren, weil sie nicht mehr arbeitsfähig sind, weil die so getriggert sind.
Charlotte Hirz, Psychologin
Wer Opfer von Vergewaltigung oder häuslicher Gewalt wird, schweigt oft aus Scham und wichtige Spuren bleiben ungesichert. In Hessen wird die vertrauliche Spurensicherung deshalb jetzt Kassenleistung.
26.08.2025 | 2:53 minSchon der ganz normale Alltag wird für viele zum Problem, schildert Kate. Den Müll rausbringen oder ein einfacher Gang zum Arzt ist ihr lange Zeit kaum möglich.
Pelicot-Prozess bricht Tabus
Die Französin Giséle Pelicot irrt lange Zeit von Arzt zu Arzt. Sie hat unerklärliche Beschwerden, niemand kann ihr helfen. Heute weiß die ganze Welt, dass sie von ihrem Ehemann jahrelang mit Beruhigungsmitteln betäubt und von fremden Männern vergewaltigt wurde.
Der Fall Giséle Pelicot erschüttert Frankreich: Sie wurde zum Symbol des Kampfes gegen Gewalt an Frauen. Ende 2024 fielen die Urteile - ein Signal gegen Missbrauch und Schweigen.
19.12.2024 | 1:32 minAlle 51 angeklagten Männer wurden für diese Sexualstraftaten verurteilt. Das hat Signalwirkung: Das Problem Spiking wird öffentlich thematisiert. Der Pelicot-Prozess steht exemplarisch dafür, wie alltäglich Gewalt gegen Frauen ist.
In den meisten Fällen kennen die Frauen die Täter vorher.
Charlotte Hirz, Psychologin
Spiking mit K.-o.-Tropfen
... ist das heimliche Verabreichen von sedierenden Substanzen an eine Person, die dafür keine Einwilligung gegeben hat. Spiking erfolgt meist über Getränke in flüssiger Form oder als Pulver in Speisen.
... ist ein Sammelbegriff für mehrere Hundert Substanzen. Zu den verbreitetsten Wirkstoffen gehören Benzodiazepine, Chloralhydrat und Barbiturate. Häufig werden auch so genannte Partydrogen benutzt wie GHB - bekannt als Liquid Ecstasy -, Bottle und Liquid X oder auch GBL (Gamma-Butyrolacton). Letzteres ist beispielsweise auch in Reinigungsmittel vorhanden, weil es als Grundstoff der chemischen Industrie dient.
... von K.-o.-Tropfen ist häufig zunächst berauschend, enthemmend oder euphorisierend. Je nach Dosis stimulieren sie auch sexuell. Erst nach einiger Zeit führen sie zu Schläfrigkeit, sie können auch zur Bewusstlosigkeit führen.
Bei hoher Dosierung kann eine Atemlähmung mit tödlichen Folgen eintreten. Die Wirkung von GBL hält bis zu vier Stunden an. Betroffene berichten von einem vernebelten Dämmerzustand, Erinnerungsverlust von mehreren Stunden, Übelkeit, Schwindel, Schmerzen, Verwirrtheit.
K.-o.-Mittel wie GBL bauen sich sehr schnell im Körper wieder ab. GBL kann im Blut nur innerhalb von sechs Stunden nach dem Spiking festgestellt werden, im Urin circa 12 Stunden. Generell sollten daher bei einem Verdacht sofort in einer Notaufnahme Proben genommen werden.
Bei Verdacht einer Sexualstraftat sollte eine medizinische Soforthilfe und eine vertrauliche Spurensicherung erfolgen, unabhängig von einer späteren Anzeige bei der Polizei. Wichtig: Nicht duschen und getragene Kleidung nicht waschen. Sie dient später im Fall einer Strafverfolgung der Beweissicherung. Auch die Kleidung deshalb zur Spurensicherung in einem verschlossenen Plastikbeutel mitbringen.
"Und es gibt eben eine gewisse Vertrautheit oder eben zumindest irgendwie auch eine Sympathie, die dann einfach ausgenutzt wird", sagt Hirz und verweist gängige Überzeugungen, dass fremde, dunkle Gestalten nachts in dunklen Gassen Frauen überwältigen, ins Reich der Mythen.
Gesetzesänderung gefordert: "Nur ja heißt ja" statt "Nein heißt nein"
Sexualisierte Gewalt beginnt schon weit vor einer Vergewaltigung. Allein der Gedanke, jemanden mit K.-o.-Mitteln wehrlos zu machen, ist der erste gewaltvolle Akt, erklärt die Psychologin. Und hofft, dass der Fall Pelicot mehr Betroffenen Mut gibt, Taten anzuzeigen. Viele traumatisierte Frauen schrecken vor der zusätzlichen Belastung eines langwierigen juristischen Prozesses zurück.
In Deutschland ist jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen einer Person strafbar. ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke über Formen der Ablehnung, die als "Nein" gelten.
04.09.2023 | 1:00 minIn Frankreich hat der Fall Pelicot nun zu einer Gesetzesänderung im Sexualstrafrecht geführt. Das Prinzip "Nur Ja heißt Ja" wertet jede nicht einvernehmliche sexualisierte Handlung als Übergriff.
Dieses Prinzip wünscht sich Nina auch für Deutschland. Der geltende Grundsatz "Nein heißt Nein" verfehlt in ihren Augen das Problem von sexualisierter Gewalt:
Wenn ich sexuelle Handlungen durchführe mit einer Person, die einfach nichts macht, die da liegt wie so ein toter Fisch, darf ich das als 'Ja' und Zustimmung interpretieren. Das finde ich fatal, weil ich selbst schon dieser tote Fisch war.
Nina
Teil 1 der Folge "Spiked: K.O.-Tropfen - unsichtbarer Albtraum" des ZDF-Dokuformats "Die Spur" können Sie am 5. November 2025 um 22:15 Uhr im ZDF sehen oder jetzt beide Teile hier streamen.
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