Femizide in Kenia: Top-Läuferinnen werden Opfer von Gewalt

Chelimo will Frauen Stimme geben:Femizide in Kenia: Läuferinnen werden Opfer

Porträt von Susann von Lojewski, ZDF-Auslandsstudioleiterin Nairobi
von Susann von Lojewski
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Die Zahl der Femizide in Kenia nimmt dramatisch zu. Auch international erfolgreiche Läuferinnen wurden Opfer. Allzu oft fallen sie auf selbsternannte Trainer und Berater herein.

Joan Chelimo Melly

Joan Chelimo hat wie viele andere kenianische Top-Läuferinnen Gewalt durch Männer erfahren. Mit einer Initiative will sie junge Sportlerinnen stärken.

11.09.2025 | 2:10 min

Eine Laufgruppe in bunten Sportshirts joggt leichtfüßig durch die satte grüne Landschaft der kenianischen Marathon-Hochburg Iten. Allesamt Frauen. An ihrer Spitze: Joan Chelimo, eine der besten Langstreckenläuferinnen der Welt.

Femizide in Kenia nehmen dramatisch zu

Auf den letzten zehn Kilometern des Marathons, so erzählt die gebürtige Kenianerin, denke sie immer an die Frauen in ihrer Heimat. An ihre Freundinnen Agnes Tirop, die 2021 von ihrem Ehemann erstochen wurde. Oder an Rebecca Cheptegei, die 2024 von ihrem Partner mit Benzin übergossen und angezündet wurde. Tage später erlag sie ihren Brandverletzungen.

Tirop und Cheptegei waren Topläuferinnen, internationale Stars. Ex-Weltrekordlerin die eine, Olympiateilnehmerin in Paris die andere. Beide hatten sich aus bescheidenen Verhältnissen an die Spitze geschuftet, konnten von den Gagen der Laufwettbewerbe sehr gut leben. Und genau das wurde ihnen zum Verhängnis. Dass sie selbstbewusst über ihr eigenes Geld entscheiden wollten, passte ihren Partnern nicht. So wie es vielen kenianischen Männern nicht gefällt, wenn Frauen sich von ihnen emanzipieren.

Chelimo: Vom eigenen Mann misshandelt

"Es gibt viele Fälle von Frauenmorden, in meinen Augen handelt es sich um eine Pandemie", sagt die 34 Jahre alte Joan Chelimo. "Sie sollte von allen angeprangert werden."

Jeder und Jede sollte einfach hervortreten und darüber sprechen.

Joan Chelimo

So wie Chelimo selbst. Auch sie wurde von ihrem Ex-Mann misshandelt und brauchte lange, um sich von den Schrecken ihrer Ehe zu erholen. Gemeinsam mit ihrer Freundin Viola Lagat, ebenfalls international erfolgreich, gründete sie die Organisation "Tirop's Angels", benannt nach der ermordeten Agnes Tirop.

Gesponsert werden die "Engel" von einem deutschen Sportartikelhersteller. Das Ziel: Frauen selbstbewusster zu machen, auch bei der Verwaltung ihres eigenen Geldes, und nicht blind selbsternannten Coaches, Beratern oder Physiotherapeuten zu vertrauen.

Laufen gegen die Armut

"Wir hatten hier eine junge Frau, die talentiert war, aber kein Geld hatte", erzählt Joan Chelimo, die inzwischen für Rumänien startet. "Ihr Physiotherapeut zwang sie dazu, mit ihm zu schlafen - quasi als 'Bezahlung' für seine Behandlung", sagt Lauf-Star Chelimo. "Wenn man talentiert ist, aber kein Geld hat, ist das ein Problem."

Auch die Hoffnung von Alice Chebii ruht darauf, eines Tages mit dem Laufen Geld zu verdienen. Die 29-Jährige hat Furchtbares erlebt. Sie wurde vergewaltigt und von ihrem Ehemann misshandelt. Als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern schlägt sie sich mit Feuerholzsammeln oder Wäschewaschen für andere Menschen durch.

Immer wieder bricht sie während des Gesprächs zusammen. Das Lauftraining mit Joan Chelimo aber gibt ihr Kraft und auch Hoffnung auf einen kleinen Wohlstand. "Für mich bedeutet Laufen, dass ich meine Probleme lösen kann. Zum Beispiel die Probleme, die ich mit meinen Kindern hatte", erzählt Chebii.

Ich möchte laufen, damit meine Kinder nicht die gleichen Probleme durchmachen müssen, die ich hatte.

Alice Chebii

"Tirop's Angels" unterstützt die junge Frau, der Verein zahlt ihre Miete, aber auch ganz einfache Dinge wie Hygieneartikel. So soll Alice Chebii sich ganz auf den Laufsport konzentrieren können.

Den Frauen eine Stimme geben

Auch die psychologische Betreuerin Selina Kiche hilft Alice und den anderen Talenten. Alle paar Wochen setzt sich "shosh", wie sie liebevoll genannt wird, mit den Frauen an einen Tisch, hört sich ihre Sorgen an, versucht, sie aufzubauen. "Es liegt an unserer Gesellschaft", sagt sie. "In Kenia sind Frauen nichts wert, und damit haben sich die Meisten stillschweigend abgefunden."

Auf den Spuren der Wunderläufer

Im Land der Marathon-Läufer*innen hoffen viele junge Menschen durch Laufen auf ein besseres Leben. Mit viel Training, Disziplin und Talent könnte es gelingen.

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Unterstützung von der kenianischen Regierung oder auch vom Laufverband gibt es wenig. "Es wäre schon gut, wenn es eine Notfallnummer gäbe, an die sich die Frauen wenden können", sagt Joan Chelimo. "Es ist wichtig, dass wir mit 'Tirop's Angels' den Frauen eine Stimme geben, damit sich endlich etwas ändert."

Susann von Lojewski ist Korrespondentin im ZDF-Studio in Nairobi.

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Quelle: Reuters

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