Häusliche Gewalt: Prävention durch Täterarbeit und Männerberatung

Interview

Gewaltprävention durch Täterarbeit:"Männern klarmachen, dass sie eine Entscheidung treffen"

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Häusliche Gewalt nimmt seit Jahren zu. In Trainingsprogrammen lernen Männer, ihr Verhalten zu ändern und Verantwortung zu übernehmen. Damit Übergriffe gar nicht erst passieren.

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19.11.2025 | 43:30 min

Seit mehr als 25 Jahren arbeitet der Sozialpädagoge Helge Rettig mit Männern, die in Partnerschaften gewalttätig geworden sind. Er erklärt, warum Täterarbeit früh ansetzen muss und weshalb zu wenig Kapazitäten ein echtes Problem darstellen.

ZDFheute: Welches Training bietet die Beratungsstelle "man-o-mann" in Bielefeld an?

Helge Rettig: Das Männerprogramm für gewalttätige Männer ist ein psycho-edukatives Programm.

Es zielt darauf ab, den Männern klarzumachen, dass sie eine Entscheidung treffen.

Dass hinter ihrer Gewalttat eine Haltung steht und dass sie die Möglichkeit haben, ihr Verhalten zu beeinflussen.

Helge Rettig sitzt in einem blauen Hemd auf einem Hocker. Hinter ihm befinden sich drei große Pflanzen.
Quelle: ZDF

  • Helge Rettig ist Sozialpädagoge und ausgebildeter Gewalttherapeut.
  • Seit 1998 arbeitet er in der Männerberatung mit Fokus auf Prävention.
  • Er berät Männer in schwierigen Lebenssituationen sowie Täter häuslicher Gewalt. Dabei schult er Selbstwahrnehmung und Eigenverantwortung.
  • Er ist auch als Paartherapeut am Bielefelder Institut für Paartherapie tätig.


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ZDFheute: Wie funktioniert das Programm?

Rettig: Die Männer kommen zu drei Einzelsitzungen, in denen geschaut wird: Was ist das Problem, was ist das für ein Mann, um welche Form von Gewalt geht es?

Wir lassen uns sehr genau erzählen, wie die Ausübung von Gewalt gewesen ist.

"Ich hab sie geschlagen", ist kein Bild. Ich will dann schon wissen: Wie geschlagen? Mit der Hand, mit der Faust, wohin, wie oft, wie fest? Wenn jemand die Tat verleugnet und sagt: "Ich bin kein Täter", dann können wir nicht mit ihm arbeiten. Sind die Täter geeignet, gibt es 25 Gruppentermine, die jeweils zwei Stunden lang sind und wöchentlich stattfinden.

Zwei Männer stehen sich während einer Anti-Aggressionsübung mit jeweils zwei Stöcken gegenüber.

Auch ein Anti-Aggressionstraining gehört bei der Männerberatung dazu.

Quelle: ZDF

ZDFheute: Warum ist Täterarbeit wichtig?

Helge Rettig: Die Zahlen, was Partnerschafts- und häusliche Gewalt betrifft, sind in den letzten zehn Jahren im Durchschnitt um vier bis sechs Prozent gestiegen. Das heißt, der Bedarf wird immer größer.

Täterarbeit ist ein Baustein im Rahmen von Partnerschaftsgewalt.

Es gibt viele Stellen, an denen man ansetzen kann. Für Täterarbeit spricht natürlich, dass sie relativ am Anfang, am Ursprung ansetzt, damit die Gewaltkette gar nicht erst in Gang kommt.

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ZDFheute: Wie begegnen Sie den Männern?

Rettig: Wir sind hier kein Gericht. Wir unterscheiden zwischen Tat und Täter. Die meisten Männer, die das erste Mal herkommen, haben die Befürchtung, jetzt werden sie verurteilt. Sie machen dann die Erfahrung, dass wir zwischen Tat und Täter unterscheiden. Es ist unumstritten: Die Tat als solche erfährt Null Toleranz, wird Null akzeptiert von uns. Gleichwohl, so wie die Tat verachtet wird, wird der Täter geachtet. Ganz normal wertgeschätzt, wie jeder andere Mensch auch.

Am 25. November 2025 ist der internationale Orange Day - der Tag, der auf Gewalt an Frauen aufmerksam macht und ein Zeichen dagegensetzt. Das ZDF begleitet diesen Tag unter dem Slogan "Alle Augen auf! Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen" mit einem umfangreichen Programmangebot im November.

Die Doku "Frauen schützen, Schweigen brechen" von plan b können Sie am 23. November um 15:30 Uhr im ZDF sehen oder jederzeit im ZDF-Streaming-Portal.


ZDFheute: Was soll durch das Training erreicht werden?

Rettig: Das Ziel ist, dass die Männer im optimalen Falle nie wieder gewalttätig werden. Wir können das nicht nachhalten. Aber wir haben natürlich einiges an Erfahrung und einen Eindruck von den Männern, wenn sie 25-mal im Gruppenprogramm waren.

Und wir kriegen auch Rückmeldungen. Ich würde schon sagen, dass es bei etlichen Männern tatsächlich so ist, dass sie nach Abschluss unseres Programmes nicht wieder gewalttätig werden.

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ZDFheute: Warum sind Projekte wie Ihre nicht so bekannt?

Rettig: Wir haben nur eine Dreiviertel Stelle für den Bereich Partnerschaftsgewalt. Unsere Befürchtung wäre, wenn wir mehr Öffentlichkeitsarbeit machen, dass sich mehr Männer hier melden würden. Und im Grunde müssten wir die Männer abweisen, ohne eine Alternative anbieten zu können. Für mehr Angebote müssten politischen Entscheidungen an anderer Stelle fallen.

Das Interview führte Anna-Maria Brandt.

  • Die Männerberatung richtet sich an Männer in persönlichen, sozialen oder psychischen Krisen.
  • Sie bietet vertrauliche Einzelgespräche, Gruppenangebote und Coaching an, um frühzeitig zu unterstützen, bevor Konflikte eskalieren.
  • Thematisiert werden unter anderem Gewalt, Partnerschaft, Vaterschaft und Identitätsfragen.
  • Ergänzend gibt es eine Schutzwohnung für Männer in akuten Notlagen. Träger ist der Verein VSGB e.V., der auf langjährige Beratungserfahrung zurückgreift.


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